Dem Umbruch einen Sinn geben

Führung in einem Konzern mit mehr als 35.000 Mitarbeitenden bedeutet vor allem „Übersetzen und Erklären“. So bringt es Petra Scharner-Wolff, die Vorstandsvorsitzende der Otto Group, auf den Punkt. „Es reicht nicht, eine Strategie zu verkünden. Ich muss sie vor Ort vermitteln und zeigen, wie jeder Einzelne Teil davon ist“, sagt sie. Daher reist sie regelmäßig zu den Teams in den Logistikzentren und spricht mit Trainees ebenso wie mit dem Management. „Unsere Mitarbeitenden beobachten sehr genau, ob wir als Führungskräfte das vorleben, was wir sagen. Und sie merken sofort, wenn wir es nicht tun.“
Auch Jens Lund, CEO des dänischen Logistikriesen DSV, sieht die größte Herausforderung moderner Führung in der Kulturarbeit. „Transformation lässt sich nicht allein über Prozesse steuern“, so der Manager. „Wenn sich alles verändert, müssen wir bereit sein, zu experimentieren und Fehler zu akzeptieren.“ Entscheidend sei eine Atmosphäre psychologischer Sicherheit, in der Widerspruch erlaubt ist und Lernen möglich bleibt. „Am Ende zählt nicht, was auf einer Power-Point-Folie steht, sondern was in der täglichen Arbeit passiert.“
Verunsicherung der Mitarbeiter
Warum ist Leadership heutzutage überhaupt so wichtig? Es sind die Umbrüche und die teilweise rasante technologische Entwicklung, die Mitarbeiter schnell verunsichern können. „Motivation und Sinnvermittlung sind wichtiger denn je“, betont Ashwin Bhat, CEO von Lufthansa Cargo. Seine Definition von Leadership stellt hohe Ansprüche an den Umgang mit der Belegschaft. „Führung heißt, Frustration einzuatmen und Begeisterung auszuatmen“, sagt Bhat. „Unsere Aufgabe ist es, Optimismus auszustrahlen – gerade in schwierigen Zeiten.“ Mitarbeitende wollten heute verstehen, welchen Beitrag sie leisten und warum ihre Arbeit relevant ist.
Eine zeitgemäße Führung zeichnet sich zudem durch eine überzeugende interne Kommunikation aus. Die klassischen Top-down-Ansätze reichen nach Ansicht aller drei nicht mehr aus. Lufthansa Cargo identifiziert laut Bhat inzwischen „interne Influencer“. Das sind Mitarbeitende, die über ihre Netzwerke positive Stimmung verbreiten und damit Veränderungen mittragen. Junge Generationen ließen sich nicht durch Anweisungen, sondern durch Begeisterung erreichen.
Bei der Otto Group gibt es ein ähnliches Konzept. Die Schlüsselmitarbeiter heißen dort nur anders. „Wir nennen sie Botschafter, nicht Influencer“, sagt Scharner-Wolff, „aber sie übernehmen eine vergleichbare Rolle.“ Hybride Townhalls, also kombinierte Präsenz- und Online-Veranstaltungen, interne Social-Media-Kanäle und authentische Führung in digitalen Formaten sind heute unverzichtbar.
Globalisierung verändert ihre Form
Ein ganz anderes Thema, das Unternehmen und Belegschaft gleichermaßen intensiv beschäftigt, ist der Fortgang Globalisierung vor dem Hintergrund geopolitischer Verschiebungen sowie Krisen und Konflikten. Bhat unterstreicht, dass die Globalisierung keineswegs vorbei ist. Sie verändere lediglich ihre Form und damit auch ihre Auswirkungen. Der Carrier kann dies direkt beobachten: Globale Luftfrachtströme verschieben sich deutlich. „Wir sehen weniger Verkehr zwischen China und den USA, aber starkes Wachstum von Asien nach Europa und in andere asiatische Länder.“ Entscheidend seien Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
Dazu gehört beispielsweise die Diversifizierung von Lieferketten. Die Otto Group hat damit bereits vor Jahren begonnen. „Wir haben früh auf Vietnam und Kambodscha gesetzt“, berichtet Scharner-Wolff. „Das hilft uns heute, flexibel auf Zölle und Krisen zu reagieren.“
Dienstleister betrachten die geopolitischen Umbrüche aus logistischer Sicht, was einer Vogelperspektive ähnelt. „Konsum verschwindet nicht, aber die Herkunft und die Wege der Produkte verändern sich“, stellt Lund fest. Für europäische Unternehmen werde es entscheidend sein, relevant zu bleiben – durch Präsenz in wachsenden Märkten und die Fähigkeit, Transportströme schnell neu zu organisieren. Das kann allerdings für einzelne Marktakteure zur existenziellen Herausforderung werden.
Welchen Plan hat Europa?
Angesichts der geopolitischen Lage stellt sich auch die Frage nach Europas Rolle im globalen Wettbewerb. Gerade hat China einen neuen Fünfjahresplan vorgelegt, der deutlich macht, dass das Land seinen Fokus noch stärker auf Technologie und künstliche Intelligenz legt. Der Plan lässt sich als Kampfansage an die USA und den Westen interpretieren. Doch welchen Plan hat Europa?
Im Vergleich zu den Plänen Chinas geht es auf dem Alten Kontinent eher um Klein-Klein. Der Ruf nach weniger Bürokratie und einheitlichen Regulierungen ist immer wieder zu hören. Scharner-Wolff warnte vor einer Überregulierung beim Einsatz von KI, Bhat forderte faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber außereuropäischen Unternehmen und Lund mahnte, die Entscheidungsprozesse in Europa müssten „schneller, einheitlicher und mutiger” werden, um Veränderungen zu ermöglichen. All das sind keine neuen Forderungen, während China seinen Vorsprung in den kommenden Jahren deutlich ausbauen will.
Wie der Wettlauf der Systeme zwischen Asien und dem Westen ausgeht, ist unklar. Umso wichtiger ist Leadership. Damit zumindest Vertrauen in Organisationen geschaffen wird. Denn die Unsicherheit draußen in der Welt wird bleiben.
Die Supply Chain CX wird organisiert von der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und fand vom 22. bis 24. Oktober 2025 in Berlin statt.



