Ein Open-Source-Standard für grüne Logistik

Das Thema Nachhaltigkeit sorgt bei vielen Logistikdienstleistern für Verunsicherung. Fehlende Vergleichbarkeit, zahlreiche unterschiedliche Schnittstellen und unklare Klimabilanzen stehen der Dekarbonisierung der Branche im Weg.
Die Arbeitsgruppe „Enabling Logistics Decarbonisation“ der Open Logistics Foundation (Halle B3, Stand 101/202) sieht den entscheidenden Hebel in einem Open-Source-Standard für den Austausch von Emissionsdaten. Ziel ist die Validierung und Implementierung des vom Smart Freight Centre und der SINE Foundation entwickelten iLeap-Datenmodells. „Da sind zwei Projekte auf sehr schöne Art zusammengekommen“, sagt Justin Lemmens, SHEQ (Safety, Health, Environment, Quality) Manager mit Fokus auf Nachhaltigkeit bei Lkw Walter. Die österreichische Spedition hat die Leitung der Arbeitsgruppe übernommen, der noch zwölf weitere Mitglieder angehören.
Künftig sollen die Daten über eine Schnittstelle auf die gleiche Art und Weise entlang der Lieferkette ausgetauscht werden können. „Wir wollen vermeiden, dass es 35 Standards oder kundenindividuelle Lösungen für Emissionsdaten gibt“, so Lemmens zur Zielsetzung des Projektes. „In der Vergangenheit mussten wir für jeden Kunden eine eigene Schnittstelle bauen – mit entsprechendem Aufwand für beide Seiten. Jetzt haben wir die Chance, bei diesem Thema von Anfang an einen Standard zu setzen, der die Transparenz, die wir bei Emissionsdaten brauchen, gewährleistet.“
Das Modell basiert auf dem bereits weltweit anerkannten GLEC-Framework und der damit verbundenen ISO-Norm 14083, einer Berechnungsmethode für Treibhausgasemissionen in der Logistik. Das Besondere am iLeap-Datenmodell: Die Lösung funktioniert weltweit und hat keine geografische oder unternehmensbezogene Limitierung.
„Die Schnittstelle ist keine Einbahnstraße. Sie geht nicht nur vom Logistiker zum Kunden, sondern kann beispielsweise auch Daten an Anbieter schicken, die CO2-Emissionsdaten berechnen“, erklärt Ingo Müller, Department Head Prototyping & Testing bei Dachser. „Theoretisch können die Emissionsdaten darüber auch durch die gesamte Supply Chain geschickt werden – das ist der Reiz des Ganzen.“
Stabile Gesetzgebung nötig
Bislang ist die Investitionsbereitschaft in den Klimaschutz aber noch lange nicht in allen Unternehmen angekommen. „Die Unsicherheit in der Gesetzgebung ist sicherlich ein Grund dafür“, meint Lemmens mit Blick auf die Verschiebung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), einer EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zu der Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet sind. „Die wirtschaftliche Lage ist da natürlich auch ein Thema.“
Die geplante Schnittstelle der Arbeitsgruppe sei zwar erst mal nur ein kleiner Schritt in Richtung Nachhaltigkeit, „einigen wir uns aber nicht auf diesen Grundstatus, sind wir weiter in einer Art Blindflug unterwegs, was die Emissionen angeht“, beschreibt Andreas Nettsträter, CEO der Open Logistics Foundation, den Status quo. Mit einer gemeinsamen Grundlage seien die Unternehmen dann außerdem in der Lage, Geschäftsmodelle zu entwickeln, mit denen sie sich am Markt abgrenzen können.
Das Problem liegt jedoch oft schon darin, dass zu wenig Emissionsdaten erhoben werden. „Die Daten müssen ja auch erst mal verfügbar sein“, erklärt Ulrich Buhrmann, Director Market Transport and Logistics beim IT-Unternehmen Iteratec. Die Schnittstelle und eine Einigung auf bestimmte Datenpunkte könne es für die Unternehmen, die noch nicht über alle Daten verfügen, jedoch einfacher machen, mit der Erhebung anzufangen.
Um investieren zu können, muss ich erst mal wissen, wo mein Problem ist. Ingo Müller, Department Head Prototyping & Testing bei Dachser
„Wenn die Daten dann tatsächlich vereinheitlicht und in der richtigen Qualität vorhanden sind, dann kann man damit anfangen, Auswertungen zu erstellen und Optimierungen im CO2-Verbrauch zu schaffen“, prognostiziert Buhrmann. Weiteres Potenzial für mehr Nachhaltigkeit sieht er in der besseren Ausnutzung vorhandener Ressourcen, beispielsweise durch eine höhere Auslastung von Lkw.
„Die CO2-Emissionsberechnung sollte keine Last sein, sondern dazu dienen, Reduktionspfade zu monitoren. Zum Beispiel, wenn es um Investitionen in batterieelektrische Lkw geht und darum, ob sich diese ausgezahlt haben“, so Müller. Die Transparenz der Daten sei dafür die entscheidende Grundvoraussetzung: „Um investieren zu können, muss ich erst mal wissen, wo mein Problem ist und ob ich überhaupt etwas investieren muss.“
Große Pläne für die Zukunft
Das Datenmodell iLeap als technische Grundlage bildet nur den Auftakt für die Ziele der Arbeitsgruppe: „Der nächste Schritt ist, die Schnittstelle mit Leben zu füllen“, verrät Lemmens. Dafür wurden bereits zwei Use Cases zum Austauch echter Emissionsdaten definiert, um darauf aufbauend eine Art Template erstellen zu können.
„Ein großes Ziel muss natürlich sein, auch an die konkreten Primärdaten ranzukommen. Zum Beispiel: Welcher Lkw verbraucht eigentlich wie viel?“, überlegt Buhrmann. Ein Schritt, bei dem ein verlässlicher Datenstandard unterstützen kann: „Die Transparenz über die Berechnung wird uns helfen, schneller in Richtung Primärdaten zu kommen und eine Vergleichbarkeit für Kunden darüber herzustellen, welches Unternehmen beispielsweise wie viele Daten zum Thema Emissionen liefert“, ist Lemmens überzeugt.
Bis dahin hat die neue Arbeitsgruppe aber noch reichlich zu tun: „Ich beschäftige mich mit dem ganzen Thema schon seit 32 Jahren. In vielen Produktionsbereichen war es immer so, dass die Logistik als fünftes Rad am Wagen gesehen wurde. Das nun aufzubrechen ist eine Herausforderung“, sagt Müller.
Aktuell ist die Open Logistics Foundation in Gesprächen mit dem Smart Freight Centre, um in Zukunft auch Logistikimmobilien in der Lösung berücksichtigen und sie damit um einen weiteren wichtigen Baustein ergänzen zu können.