VDA-Präsidentin: „Nicht der Motor ist das Problem, sondern der fossile Kraftstoff“

Die Zukunft des Straßengüterverkehrs wird in erster Linie von den aktuell verfügbaren und den kommenden alternativen Antriebskonzepten mitbestimmt. Im Thesencheck ordnet Hildegard Müller ein, wohin die Reise gehen wird.

Seit dem 1. Februar 2020 ist Hildegard Müller Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). (Foto: Dominik Butzmann)

Die Zukunft des Straßengüterverkehrs wird in erster Linie von den aktuell verfügbaren und den kommenden alternativen Antriebskonzepten mitbestimmt. Im Thesencheck der DVZ ordnet Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, ein, wohin die Reise konkret gehen wird.

Die gegenwärtige Energiekrise wird in Europa den Umstieg auf alternative Antriebe und Kraftstoffe bei Lastkraftwagen deutlich beschleunigen.

Richtig. Das wird aber erst dann der Fall sein, wenn sowohl ausreichend Alternativen am Markt verfügbar sind als auch die Voraussetzungen geschaffen werden, diese entsprechend zu nutzen. Die Hersteller sind gerade auf dem Weg, ihre Produktreihen sukzessive auf alternative Antriebe umzustellen. Dabei haben natürlich alle das Ziel, die CO2-Flottengrenzwerte zu erfüllen. Gleichzeitig gilt: Die gegenwärtige Energiekrise zeigt deutlich, wie viele Herausforderungen Deutschland und die EU noch meistern müssen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist gefährdet. Insbesondere bei der Versorgung mit erneuerbarer Energie und Rohstoffen. Das Verhandeln und Abschließen von Abkommen und Partnerschaften mit anderen Ländern muss daher ganz oben auf der Agenda stehen. Die Energiekrise ist für die Unternehmen – insbesondere für den Mittelstand – eine teils existenzielle Belastung, die inmitten der Transformation gestemmt werden muss. Die Rahmenbedingungen sind also entscheidend – hier braucht es dringend Reformen für Wettbewerbsfähigkeit und für die konkrete Umsetzung ambitionierter Ziele.

Der Elektro-Lkw wird sich dank kluger Energiekonzepte und neuer Batterie- und Ladetechnik langfristig gesehen gegen das Konzept des Brennstoffzellenantriebs im Lkw durchsetzen.

Teils, teils. Auch hierbei braucht es entsprechende Voraussetzungen. Erstens ist bisher nicht absehbar, ob und wann es europaweit eine ausreichende Ladeinfrastruktur für Lkw geben wird. Zweitens zeigt uns gerade die aktuelle Energiekrise, dass althergebrachte Gewissheiten wie „Strom ist immer billig und Wasserstoff ist immer teuer“ komplett auf den Kopf gestellt werden können. Entscheidend ist auch hier wieder, dass die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Transformation ermöglichen. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit – und eine Politik, die sich dafür einsetzt, dass die Wettbewerbsfähigkeit verbessert und Transformation in der Logistik- und Transportbranche eine Erfolgsgeschichte wird. Dazu gehören insbesondere auch verbindliche Vereinbarungen zu einem vorauseilenden Ausbau der Ladeinfrastruktur. Das Ziel der Klimaneutralität hat dabei aber immer höchste Priorität.

Derzeit unterstützt die Bundesregierung den Umstieg auf alternativ angetriebene Lkw substanziell. Auch nach dem Auslaufen der Förderung wird sich der Markt positiv entwickeln.

Richtig. Fakt ist: Wir fordern keine dauerhafte Förderung. Für den Moment ist Unterstützung notwendig – als Ausgleich für die heutigen Wettbewerbsnachteile alternativ angetriebener Lkw im Vergleich zu konventionell angetriebenen Lkw. Die Wirtschaftlichkeit eines Produkts sollte im weiteren Verlauf auch ohne Fördermaßnahmen gewährleistet sein. Neben Förderprogrammen sind deswegen auch die Rahmenbedingungen im Transportsektor anzupassen. Entscheidend ist, dass bei diesem historischen Transformationsprozess alle mitgenommen werden: Hersteller und Zulieferer; Spediteure und Verlader; Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Da klimaneutrale Lkw nach dem Auslaufen der Förderung für das einzelne Fuhrunternehmen nicht mehr bezahlbar sind, werden die Lkw-Hersteller ihre Vertriebsmodelle von den klassischen Kauf- und Leasingangeboten auf Pay-per-use-Ansätze und Mietangebote umstellen.

Richtig. Neue Vertriebsmodelle gibt es heute schon im Pkw- und Lkw-Sektor. Inwieweit sich diese etablieren, ist zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar. Die Hersteller sind innovativ, und ich bin davon überzeugt, dass die Geschäftsmodelle entsprechend weiterentwickelt werden. Fest steht: Es müssen Transportlösungen geschaffen werden, die eine sichere Bewältigung der Transportaufgaben gewährleisten. Ich bin zuversichtlich, dass der Wettbewerb hier kreativ ist.

Hildegard Müller

Seit dem 1. Februar 2020 ist Hildegard Müller Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Die Diplom-Betriebswirtin startete ihre Karriere bei der Commerzbank. Sie wechselte 2002 erst als Mitglied des Bundestages für die CDU und später als Staatsministerin in die Politik, um anschließend von 2008 bis 2016 den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zu leiten. Bis Oktober 2019 war Müller COO beim Energieunternehmen Innogy.

Die gegenwärtigen Lieferengpässe der Nutzfahrzeugindustrie werden auf unbestimmte Zeit anhalten.

Falsch. Zwar sehen wir derzeit insbesondere bei der Halbleiterthematik leider keine kurzfristige Entspannung und die Halbleiter-Knappheit wird uns also sicherlich noch bis ins nächste Jahr begleiten. Gleichzeitig arbeiten die Unternehmen kontinuierlich an Lösungen, um der aktuellen Situation bestmöglich zu begegnen.

Um der dramatischen Fahrerknappheit im Straßengüterverkehr entgegenzuwirken, dürfen autonome Lkw bereits in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts über die Autobahnen rollen.

Unbestimmt. Das lässt sich aktuell nicht genau vorhersagen. Unabhängig davon: Autonom fahrende Lkw werden den akuten Fahrermangel kurzfristig nicht beheben. Auch künftig werden qualifizierte Fahrerinnen und Fahrer gebraucht. Autonom fahrende Lkw sind aber eine wegweisende Technologie, um Prozesse und Abläufe insgesamt effizienter zu gestalten und die stetig wachsenden Transportaufgaben erfolgreich zu managen. Auch hier gilt es: Neben dem Engagement der Autoindustrie und den politischen Rahmenbedingungen bedarf es einen entsprechenden Infrastrukturausbau.

Lkw-Drohnen wie die von Einride werden im Straßengüterverkehr der Zukunft keine Rolle spielen.

Im Gegenteil: Autonom fahrende Transporteinheiten werden abseits „offener“ Straßen sehr schnell ihr Anwendungsfeld finden und, sollten sie technisch zuverlässig funktionieren, auch einen Teil des Straßengüterverkehrs auf der öffentlichen Straße abbilden.

Alternative Kraftstoffe wie HVO und Bio-LNG müssen künftig eine größere Rolle im Straßengüterverkehr spielen, um dessen Dekarbonisierung rasch voranzutreiben. Auch langfristig werden diese Kraftstoffe und damit auch die Verbrennungsmotoren im Lkw Teil der Lösung sein können.

Richtig. Nicht der Motor ist das Problem, sondern der fossile Kraftstoff. Wir brauchen daher auch klimaneutrale Kraftstoffe, um die ambitionierten Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Nur mit E-Fuels können wir den bestehenden Fahrzeugbestand adressieren und in die Erreichung der Klimaziele einbinden.

Nicht nur die ziehenden, auch die gezogenen Einheiten (Auflieger) werden eine aktive Rolle bei der Dekarbonisierung spielen.

Absolut. Die Anhänger werden eine Rolle spielen – und die Anhängerhersteller sind auch bereit, diese Herausforderung anzunehmen. Bei der IAA Transportation ist eine Vielfalt an technischen Lösungen zu sehen, die den Anhänger effizienter machen. Die Unternehmen leisten da Beeindruckendes. Hinzu kommt: Die EU Kommission hat gerade erst im August die Vorschrift zur kommenden CO2-Zertifizierung von Anhängern veröffentlicht, dies wird dem Markt einen wichtigen Impuls geben.

Die urbane Versorgung in Deutschland wird noch vor 2030 völlig emissionslos stattfinden.

Teil, teils. Was die klassischen Verteilerverkehre zwischen Güterverteilzentren und zum Beispiel den Supermärkten in der Stadt betrifft, ist das durchaus realistisch. Aber andere Fahrzeuge wie Müllabfuhr, Straßenreinigung oder behördliche Fahrzeuge im Kommunalsektor sind bis dato eher für ihre Langlebigkeit bekannt. Hier wird es noch etwas dauern, schließlich hängt dies auch von der Finanzierung ab, und gerade die Kommunen haben dabei eine gewaltige Aufgabe vor sich. Das Bundesverkehrsministerium fördert aber auch den Kommunalsektor, und es ist zu erwarten, dass mit steigender Stückzahl nachhaltiger Fahrzeuge entsprechende Skalierungseffekte zu sehen sind.

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben