E-Fahrzeuge: Newcomer auf der Überholspur

Wenn es um die Entwicklung alternativer Antriebe geht, haben die etablierten Lkw-Hersteller gute Voraussetzungen. Dennoch läuft ihnen eine Reihe deutlich kleinerer Konkurrenten derzeit den Rang ab – vor allem, was die Schnelligkeit der Entwicklungen anbelangt. Ein Überblick.

Das Winsener Unternehmen Clean Logistics baut konventionelle Lkw wie diesen Daf XF zu Brennstoffzellen-Fahrzeugen um. (Foto: Clean Logistics)

Eines der Unternehmen, die neuen Schwung in den Markt bringen, ist die bayerische Paul Group. Das Unternehmen hat in diesem Sommer den mittelschweren, mit Wasserstoff betriebenen Lkw „Paul Hydrogen Power“ (PH2P) mit 24 Tonnen Gesamtgewicht vorgestellt. Der Verteiler-Lkw soll im Solobetrieb dank eines Tankvolumens von 30 Kilogramm H2 eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern haben.

Der Verbrauch des PH2P soll bei 85 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit bei rund 6,5 Kilogramm Wasserstoff auf 100 Kilometer liegen. Als Dauerleistung gibt Paul 120 Kilowatt an, in der Spitze sind 300 Kilowatt möglich. Das Fahrzeug soll mit sieben unterschiedlichen Aufbauten angeboten werden. Geplant ist auch ein Aufbau für Tiefkühltransporte, dessen Kühlaggregat ebenfalls mit Wasserstoff betrieben werden soll.

Komponenten aus Europa

Bei der Entwicklung des PH2P hat sich die Paul Group eng mit langjährigen Kunden abgestimmt, die unter anderem ein Chassis aus inländischer Produktion – sprich von Daimler Truck – wünschten. Auch bei den übrigen Komponenten hat Paul mit anerkannten Systempartnern wie Voith (Antrieb), Hanwha Solution (Tank) und Toyota (Brennstoffzelle) kooperiert. Für Systemarchitektur und Softwareintegration zeichnet Pepper Motion verantwortlich. Das oberbayerische Unternehmen, das sich gerne als „ersten digitalen OEM“ bezeichnet, hat sich bei Retrofitting-Konzepten für Fahrzeuge mit Elektro- und anderen alternativen Antrieben einen Namen gemacht. Unter anderem wurden zusammen mit BPW Vario-Transporter von Mercedes Benz vom Diesel- auf Elektroantrieb umgerüstet.

Das neue Fahrzeug ist ein Projekt des Next Mobility Accelator Consortium, dem außer der Paul Group auch der Mineralölkonzern Shell und Maier Korduletsch, ein mittelständisches Tankhandels- und -logistikunternehmen aus Passau, angehören. Ziel der drei Unternehmen ist es, skalierbare Wertschöpfungsketten von der Wasserstoffproduktion bis zum Fahrzeugbau anzubieten – zuerst in Bayern, später auch in anderen Regionen.

Die Serienproduktion für PH2P will Paul 2023 aufnehmen; der Fahrzeugbauer plant, langfristig weitere H2-Lkw in der leichten und mittelschweren Klasse zu entwickeln. Parallel zum Aufbau der PH2P-Produktion wollen die Partner des Konsortiums die Tankinfrastruktur hochfahren. Anfang 2023 will Maier Korduletsch die erste regionale Wasserstofftankstelle im Passauer Westen nahe der A3 eröffnen. Pro Tag können dann bis zu 40 Lkw tanken.

Shell plant an wichtigen europäischen Autobahnen die Eröffnung von 50 Tankstationen bis 2025 und von 150 Stationen bis 2030. Mit der Übernahme von 25 PH2P-Lkw will der Mineralölriese den Grundstock für eine europäische Mietflotte für Logistikunternehmen legen. Geplant ist ein weiteres Konsortium, welches bis 2025 bis zu 2.500 Lkw in unterschiedlichen Klassen anschaffen soll.

Clean Logistics am Start

Nach nur vier Jahren Entwicklungszeit hat das Winsener Tech-Start-up Clean Logistics seine erste serienreife Sattelzugmaschine mit Brennstoffzellenantrieb vorgestellt. Noch in diesem Jahr werden die ersten Fahrzeuge vom Typ „Fyuriant“ ausgeliefert.

Das Entwicklungstempo ist schnell erklärt: Anstatt die Sattelzugmaschine von Grund auf neu zu konzipieren, baut Clean Logistics Fahrzeuge europäischer Hersteller um. Dabei werden alle Teile des Dieselantriebs entfernt und der Platz für die Komponenten des Brennstoffzellen-Systems genutzt.

Der Brennstoffzellen-Verteiler von Paul Nutzfahrzeuge kommt auf eine Reichweite von 500 Kilometern. (Foto: Paul Nutzfahrzeuge)

Der erste Fyuriant, als dessen Basis ein Daf XF dient, ist unter anderem mit zwei Wasserstoff-Brennstoffzellen mit 2 x 120 Kilowatt Leistung sowie Wasserstofftanks mit einem Volumen von 43 Kilogramm ausgestattet. Damit kommt das Fahrzeug nach Aussagen von Clean Logistics gut 400 Kilometer weit, bevor es wieder betankt werden muss. Der Tankvorgang selbst dauert rund 15 Minuten.

Die mit Radnabenmotoren ausgestattete Hinterachse hat ein Drehmoment von maximal 17.000 Newtonmeter, so dass der Truck in jeder Fahrsituation über die notwendige Zugkraft verfügt. Ein intelligentes Steuerungssystem sorgt dabei dafür, dass das Gesamtsystem effizient arbeitet. So wird beispielsweise die zurückgewonnene Energie beim Bremsvorgang in einer Batterie zwischengespeichert und für den nächsten Beschleunigungsvorgang wieder bereitgestellt.

Und wie geht es weiter? Das Unternehmen baut in Winsen (Luhe) seine Kapazitäten derzeit massiv aus. Mit der neuen Produktionshalle mit einer Nutzfläche von mehr als 10.000 Quadratmetern wird Clean Logistics in der Lage sein, die Zahl der ausgelieferten Fahrzeuge ab Ende 2023 jährlich auf bis zu 450 zu steigern.

Quantron mit doppeltem Aufschlag

Der Gersthofener Lkw-Hersteller Quantron hat zwei neue Fahrzeuge aus dem Heavy-Duty-Bereich zur IAA Transportation mitgebracht: einen mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen-Truck für die Langstrecke sowie den vollelektrischen QHM BEV 50-392. Letzterer baut auf Basis des MAN TG3 (TGS & TGX) auf und ist bereits bestellbar. Dank seines geräuscharmen und emissionsfreien Antriebs eignet sich das Fahrzeug, das in verschiedenen Konfigurationen als Zwei- oder Dreiachser erhältlich ist, vor allem für den Werk- und Verteilerverkehr. Die Batteriekapazität liegt bei 392 Kilowattstunden, so dass die maximale Reichweite bei rund 350 Kilometern liegt. Geladen werden können die Akkus mit bis zu 350 Kilowatt. Zu den ersten Kunden zählt der bayerische Logistikdienstleister Ansorge.

Die neue Brennstoffzellen-Sattelzugmaschine für den Fernverkehr wurde von Quantron im Rahmen einer strategischen Partnerschaft mit dem Wasserstoffexperten Ballard Power Systems entwickelt und ist mit einer integrierten E-Achse ausgestattet. Der FCEV-Truck, der ab Mitte 2023 am Markt verfügbar sein soll, kann bis zu 50 Kilogramm Wasserstoff tanken und kommt so auf eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern pro Tankfüllung.

Beide Fahrzeuge sowie viele weitere Nutzfahrzeuge der Quantron AG werden in Deutschland durch das Programm für die Anschaffung von Nutzfahrzeugen mit alternativen Antrieben finanziell mit bis zu 80 Prozent der Mehrkosten gefördert. Anträge hierfür können seit dem 29. Juni 2022 gestellt werden.

BPW bringt Lkw für die Citylogistik

Den Namen „Bax“ können sich die Spediteure schon mal merken. Das ist ein neuer 7,5-Tonner mit vollelektrischem Antrieb, den die Projektpartner BPW und Paul Nutzfahrzeuge gemeinsam produzieren werden und der derzeit seine europäische Homologation durchläuft. Chassis samt Kabine stammen von Isuzu (N-Serie), der Antrieb mit E-Transport-Elektroachse wird aus Wiehl angeliefert, die Batteriepakete kommen von BMW.

Der Verteiler-Lkw ist für den Einsatz im urbanen Raum gut gerüstet: Er soll komplett mit Rückfahrkamera, Abbiegeassistent, mit Spurhalte- und Notbremssystem zu haben sein. Und zur IAA gibt es neue Finanzierungsangebote. Basismodell ist der Bax 7,5 mit einem Aufbau nach Wahl. Standardmäßig kann das Fahrzeug mit festem Kofferaufbau plus Ladebordwand geleast werden. Daneben können weitere gängige Branchenaufbauten geordert werden, deren Bandbreite beständig erweitert wird.

Die Faun-Tochter Enginius macht den Brennstoffzellenantrieb citytauglich. (Foto: Enginius)

Zur Wahl stehen zwei Batteriepakete, 126 Kilowattstunden für 200 Kilometer Reichweite (Long Range) oder 84 Kilowattstunden für 130 Kilometer (Medium Range). Mit DC-Schnellladetechnik und 100 Kilowatt maximaler Ladeleistung ist ein Bax mit Medium Range-Batterie in 30 Minuten wieder voll einsatzfähig. Er kann übrigens nicht nur geleast werden: Stand heute soll das Fahrzeug 170.000 Euro kosten, wobei der Staat den Kauf mit 80.000 Euro fördert.

FCEV-Verteiler von Enginius

Unter der neuen Marke Enginius bietet der auf Kommunalfahrzeuge spezialisierte Fahrzeughersteller Faun weltweit Lastkraftwagen mit Wasserstoffantrieb in Serie an. „Der Güterverkehr trägt zu rund 10 Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei. Unsere Vision ist der klimaneutrale Lastverkehr, und wir wollen mit Enginius bis 2030 europäischer Marktführer für wasserstoffbetriebene Lastkraftwagen auf der Kurz- und Mittelstrecke werden“, erklärt Patrick Hermanspann, CEO der Faun Gruppe, den Ansatz und das Ziel der neuen Marke.

Als Basis der Enginius-Trucks kommen wahlweise zwei Fahrgestelle von Daimler Trucks zum Einsatz, die in den Bremer Produktionshallen des jungen Unternehmens mit moderner alternativer Technik ausgestattet werden: Aus den Hochdrucktanks wird Wasserstoff in die Brennstoffzellen eingeblasen, wo durch die Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff Strom entsteht. Dieser wird in Pufferbatterien gespeichert, die ihrerseits den Elektromotor speisen. Je nach Ausstattung schaffen die Fahrzeuge eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern bei einer Nutzlast ähnlich einem Dieselfahrzeug. Das Befüllen der Wasserstofftanks dauert dabei weniger als 15 Minuten.

Neben dem auf Basis eines Econic-Fahrgestells aufgebauten, dreiachsigen Kommunalfahrzeug „Bluepower“ bringt Enginius das Modell „Citypower“ auf den Markt. Dieser Verteiler-Lkw baut auf einem zweiachsigen Atego-Chassis von Daimler Trucks auf.

Volta Trucks mit Verteilerlösung

Bereits vor einem Jahr wurden die mittelschweren Elektro-Verteiler-Lkw des schwedischen Herstellers Volta Trucks vorgestellt. Bis zum Ende dieses Jahres rollt eine Prototypen-Flotte von 25 Einheiten im Kundeneinsatz, um den letzten Feinschliff zu definieren. Anfang 2023 sollen dann die ersten Serienfahrzeuge des 16-Tonners Volta Zero Lkw, der Platz für bis zu 16 Europaletten bietet, bei Steyr Automotive in Österreich vom Band laufen. Deren reine Nutzlast liegt bei 8 Tonnen, der Laderaum weist ein Volumen von 37,7 Kubikmeter auf.

Der 9,20 Meter lange Motorwagen wurde konsequent an die Herausforderungen der urbanen Logistik angepasst. So sitzt die großzügig verglaste Kabine deutlich tiefer als bei einem herkömmlichen Lkw, so dass der Fahrer seine Umgebung sehr gut im Auge behalten kann – wozu auch das Kamera-Spiegel-System seinen Teil beiträgt. Zudem birgt das den Vorteil, dass der Fahrer schnell und problemlos ein- und aussteigen kann.

Das Standard-Batteriepaket des Fahrzeugs hat eine Kapazität von 150 Kilowattstunden, womit eine Reichweite von bis zu 150 Kilometern möglich wird. Darüber rangiert eine Version mit einer Batteriekapazität von 225 Kilowattstunden, die nach Herstellerangaben mit einer Batterieladung rund 200 Kilometer weit kommt. Die Höchstgeschwindigkeit des E-Lkw ist auf 90 Stundenkilometer abgeregelt.

Als weitere Modelle plant der Hersteller Varianten mit zulässigen Gesamtgewichten von 7,5, 12 und 18 Tonnen, wobei letztere Variante bereits Mitte 2023 auf den Markt kommen soll. Angeboten werden die E-Lkw im Rahmen eines Truck-as-a-service-Modells. Das heißt, der Hersteller ist auch für die Reparatur sowie das Recycling am Ende der Fahrzeuglebensdauer zuständig.

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