Deutschland unter geopolitischem Druck

Wirtschaftsexperten diskutierten auf der Supply Chain CX über die angespannte Weltlage. Dabei zeigen sich unterschiedliche Perspektiven

V.l.n.r.: Markus Bangen, duisport (Moderator), Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der taz, Carsten Klude, Chefvolkswirt M. M. Warburg Bank und Matthias Magnor, Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group. Foto: Dierk Kruse

Der Blick auf die aktuelle Lage der deutschen Wirtschaft und deren Perspektiven fällt je nach Blickwinkel sehr verschieden aus. Das zeigte eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Geopolitik und Standort Deutschland“ am Mittwoch auf der Supply Chain CX. Moderator Markus Bangen, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG stellte gleich zu Beginn fest, dass die internationale Ordnung ins Wanken geraten sei: „Innerhalb von 24 Stunden hat jemand 80 Jahre Vertrauen in den regelbasierten Welthandel zerstört – und das war nicht Putin, nicht Xi Jinping, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten.“

Seitens der Logistikdienstleisterschaft zeigt sich ein realistisches, aber nicht pessimistisches Bild der Lage. „Wir sehen im Export, vor allem in die USA, einen deutlichen Rückgang“, berichtete Matthias Magnor, Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group. Rund 20 Prozent der für den US-Markt bestimmten Fahrzeuge seien zuletzt nicht gebaut worden – mit Folgen für ganze Lieferketten. Gleichzeitig verlagerten deutsche Hersteller zunehmend Produktion in die USA. „Was in Deutschland weniger wird, wird in den USA mehr“, resümierte Magnor. „Das sind zwei kommunizierende Röhren – und wir versuchen, auf beiden Seiten dabei zu sein.“

Zu hohe Steuerlast

Auch die Osteuropäische Union profitiere von dieser Verschiebung: „Ungarn ist weit vorne – BMW baut in Debrecen, BYD in Szeged. Wir denken intensiv über eigene Standorte dort nach.“ Dennoch sieht Magnor Fortschritte in Deutschland: „Der politische Erkenntnisprozess ist durchaus da, die Finanzierung ist gesichert – jetzt kommt es auf die Umsetzung an.“

Wirtschaftlich scheint der Standort Deutschland zu stagnieren. „Wir haben seit 2018 kein reales Wachstum mehr“, stellte Carsten Klude fest, Chefvolkswirt bei der M. M. Warburg Bank. Deutschlands Probleme lägen auf der Hand – zu hohe Steuern, hohe Energiekosten, überbordende Bürokratie. „Wir wissen, was falsch läuft, aber uns fehlen die Ideen, wie wir nach vorne kommen.“ Klude mahnte, nicht nur auf die Politik zu zeigen: „Wir alle klagen, aber viele tun nichts. Vielleicht müssen wir selbst aktiver werden.“ Die angekündigte Senkung der Körperschaftsteuer sei zwar positiv, „aber sie wird uns nicht wettbewerbsfähig machen. Die Gesamtsteuerlast liegt bei 46 Prozent – das ist weltweit einer der schlechtesten Werte.“

Zudem werde die Politik erst dann handeln, „wenn die Herdplatte Arbeitslosenzahlen heiß genug wird“. Noch verdecke der stabile Arbeitsmarkt den Reformdruck, auch wenn strukturell viele Industriejobs bereits verloren gingen.

Kein billiges Gas mehr

Dass die aktuelle Bundesregierung sehr wirtschaftsfreundlich handelt, ist eine andere Perspektive. Steuererleichterungen und Investitionsförderungen seien „großzügige Geschenke an die Wirtschaft“, betonte Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der taz. Deutschland sei nach wie vor wettbewerbsfähig. „Wir haben einen Exportüberschuss von fünf Prozent des BIP.“ Dieses Modell sei allerdings nicht nachhaltig, weil es auf Verschuldung der Handelspartner beruhe. Ein wesentlicher Punkt ist für sie zudem die Energiepreisentwicklung. „Billiges Gas aus Russland wird es nie wieder geben. Die Energiepreise werden dauerhaft hoch bleiben.“

Ein neues Wachstumsfeld auch für die Logistikwirtschaft könnte der Verteidigungssektor werden. Doch warnte Herrmann vor überzogenen Erwartungen, da der Sektor zu klein sei, um deutliches Wachstum zu erzeugen. Selbst mit Aufrüstung blieben 96,5 Prozent der Wirtschaft zivil.

In der geopolitischen Analyse zeigten die Diskutanten Einigkeit: Deutschland stehe zwischen zwei dominanten Machtblöcken. „China folgt einem klaren Plan – und wir wollten das lange nicht sehen“, sagte Moderator Bangen. Herrmann warnte vor einer Eskalation: „Ich halte es für möglich, dass Xi Jinping Taiwan angreift – so irrational das auch wäre.“ Eine solche Entwicklung würde den Westen „in eine gefährliche Konkurrenz um knappe Rohstoffe“ zwingen.

Magnor sieht Europa in der Pflicht, industriepolitisch gegenzusteuern: „Wir haben uns zu lange auf den Markt verlassen. Aber bei kritischen Komponenten und Rohstoffen müssen wir uns schützen – sonst sind wir Spielball der Geopolitik.“ Er forderte eine „aktive europäische Industriepolitik für ausgewählte strategische Segmente“.

Verteidigung, Bürokratie und Realismus

Uneinigkeit herrschte bei der Frage, ob Verteidigungsausgaben einen wirtschaftlichen Impuls auslösen könnten. Magnor warnte: „Panzer sind konsumtive Ausgaben – das Geld steht am Ende im Wald.“ Nur Infrastrukturinvestitionen hätten nachhaltige Effekte. Klude hingegen sah positive Multiplikatorwirkungen: „Gerade bei Dual-Use-Technologien wie Cybersecurity oder Maschinenbau können Verteidigungsausgaben Wachstum schaffen.“

Zur Bürokratie äußerten sich alle ernüchtert. „Genehmigungsverfahren dauern zu lange“, so Magnor. „Wir spüren erst zarte Signale der Besserung – aber der Zug hat sich immerhin in Bewegung gesetzt.“ (rok)

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