Wie das globale Projekt Green Shipping gelingen könnte

Die Dekarbonisierung der Schifffahrt kann nur erreicht werden, wenn es zu einem gut aufeinander abgestimmten Zusammenspiel von vier Parametern kommt. Einen Ausblick gibt Carlos Jahn.

Der Hafen von Antwerpen will bis 2030 die Hälfte seiner CO2-Emissionen, bezogen auf 2017, abscheiden und speichern. (Foto: Getty Images/iStockPhoto)

Die Dekarbonisierung der Schifffahrt wird von einem breiten Spektrum an Akteuren getragen. Neben der Politik – zahlreiche nationale Regierungen, die EU, die IMO – steht auch eine Vielzahl maritimer Unternehmen hinter diesem Ziel. Jüngst haben 150 Unternehmen, unter ihnen zahlreiche Global Player wie Maersk, Daewoo oder BP, mit dem „Call to Action for Shipping Decarbonization“ die Staats- und Regierungschef der Welt aufgefordert, mit der Industrie zusammenzuarbeiten und durch politische Maßnahmen die Dekarbonisierung der Schifffahrt voranzutreiben. Erste Unternehmen gehen bereits über das Ziel für 2050 hinaus. So hat Hapag-Lloyd im November das Ziel der Klimaneutralität ihrer Flotte auf 2045 verschärft.

Auch die verladende Wirtschaft positioniert sich zunehmend für die Dekarbonisierung der Schifffahrt. So bekennt sich beispielsweise die von Wissenschaftlern des US-amerikanischen Aspen Institutes angestoßene Initiative „Cargo Owners for Zero Emission Vessels“ zum Ziel, Waren bis 2040 klimaneutral zu transportieren. Zu den Unterstützern gehören unter anderem Unternehmen wie Tchibo, Amazon, Unilever oder Ikea.

Doch obwohl das Ziel klar ist, geht es bei der Umsetzung um ein globales Großprojekt mit zahlreichen Herausforderungen. Es handelt sich dabei um weit mehr als die bloße Einführung neuer Kraftstoffe. Zu den Herausforderungen und Unsicherheiten zählen:

1. Schiffs- und Bebunkerungstechnologien

Technologien für den Einsatz synthetischer Kraftstoffe im Schiffsbetrieb sind grundsätzlich verfügbar. Diverse Pilotprojekte für methanol-, ammoniak- oder wasserstoffgetriebene Schiffe zeigen das, und erste Bestellungen von Großschiffen weisen hier auf den Wandel hin. Beispielsweise hat Maersk acht 16.000-TEU-Schiffe (mit Option für vier weitere) für den Einsatz ab 2024 bestellt, die mit Methanol betrieben werden können. Um die globale Handelsflotte in den kommenden Jahren auf synthetische Kraftstoffe umzustellen, sind nichtsdestotrotz erhebliche Forschungs- und Entwicklungsaufgaben zu leisten. Schiffskonzepte und Bebunkerungslösungen einschließlich der vielfältigen auf den Einsatz dieser neuen Kraftstoffe optimierten technischen Systemkomponenten sind zu entwickeln und zur Serienreife zu führen. Dabei sind die Sicherheit, die Zuverlässigkeit und das Erreichen wirtschaftlicher Kostenniveaus für Beschaffung und Betrieb dieser Systeme zentrale Zielgrößen.

2. Kraftstoffverfügbarkeit und -markt

Die Dekarbonisierung der Schifffahrt kann nur gelingen, wenn die dafür benötigten, aus regenerativen Energien erzeugten Kraftstoffe global, in ausreichenden Mengen und zu vertretbaren Kosten zur Verfügung stehen. Die Technologien für die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe existieren zwar, allerdings noch nicht in dem für die Schifffahrt perspektivisch benötigten industriellen Maßstab. Hier besteht erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf, um die Systeme auf die großen Mengen zu optimieren, und zwar von der Erzeugung regenerativer Energie über deren Transport und Bereitstellung an Herstellungsorten, die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe selbst bis zu deren Distribution zu den Häfen für die Bebunkerung der Schiffe.

Die Kapazitäten der Kraftstoffherstellung und -verteilung sind mit der Inbetriebnahme der entsprechenden Schiffe aufzubauen. Idealerweise entwickeln sich hier Zug um Zug Angebot und Nachfrage zu einem gesunden Markt, der eine globale grüne Kraftstoffversorgung zu wirtschaftlichen Kosten sicherstellt. Aber genau darin besteht ein weiteres Risiko. Die enormen Investitionen für die Kraftstoffbereitstellung werden sich kaum aus der zunächst verhaltenen Entwicklung der Märkte decken lassen, so dass Unterstützung seitens der Politik erforderlich sein wird.

Zudem ist noch nicht klar, welche synthetischen Kraftstoffe sich zu welchem Zeitpunkt auf dem entstehenden Markt durchsetzen werden. Hinzu kommt: Wird es einen global dominierenden Kraftstoff geben mit den anderen als Nischenangebote? Oder werden mehrere Kraftstoffalternativen dauerhaft mit vergleichbarem Angebot nebeneinander existieren?

3. Große Herausforderungen für die Häfen

Die Aufgabe der Häfen besteht hier darin, die Bebunkerung mit synthetischen Kraftstoffen zu ermöglichen. Dazu gehört es, technische Lösungen und entsprechende Kapazitäten zu schaffen, um diese Kraftstoffe zu empfangen, zu lagern und bedarfsgerecht an die Schiffe abgeben zu können. Unterschiedliche Eigenschaften der verschiedenen Kraftstoffoptionen werden verschiedene technische Lösungen erforderlich machen. Da zudem in der jahrzehntelangen Übergangszeit bis zur Dekarbonisierung auch die herkömmlichen fossilen Kraftstoffe bereitgestellt werden müssen, sind parallel Lager- und Bunkermöglichkeiten für die vielfältigen Kraftstoffalternativen bereitzuhalten. Neben den technischen Fragen sind hier auch solche nach verfügbaren geeigneten Flächen in den Häfen zu beantworten. Für die immense Aufgabe der zumeist mit öffentlichen Geldern unterstützten Häfen werden erhebliche Mittel erforderlich sein.

4. Investitionen und Politik

Investitionen von Reedereien in mit grünen Kraftstoffen angetriebene Schiffe sind hinsichtlich Zeitpunkt, Umfang, Kraftstoffoption und der damit verbundenen Kosten noch mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet. Ebenso gilt dies für die Häfen bezüglich der Schaffung von Lager- und Bunkermöglichkeiten und die möglichen Hersteller der synthetischen Kraftstoffe für den Aufbau von Produktionskapazitäten. Eine zentrale Herausforderung für die nationale und internationale Politik ist es daher, die marktseitigen und technologischen Unsicherheiten der Dekarbonisierung zu reduzieren und verlässliche Perspektiven zu schaffen. Hierfür müssen Forschung und Entwicklung gefördert sowie Technologien entwickelt werden für die Distribution und Nutzung synthetischer Kraftstoffe für den Schiffsantrieb. Zudem müssen Anreize für das Entstehen der Märkte für synthetische Kraftstoffe gesetzt werden, etwa durch Investitionsförderung. Des Weiteren sind die Häfen bei der Schaffung von Lager- und Bebunkerungsmöglichkeiten zu unterstützen und einheitliche und verbindliche Regelwerke für die Dekarbonisierung in einem fairen Wettbewerb weltweit zu schaffen.

Die Dekarbonisierung der Schifffahrt ist ein umfassendes, globales Transformationsprojekt, das die faszinierende Perspektive bietet, die Schifffahrt als weltumspannendes Transportsystem mit ihren enormen Güterbewegungen absehbar in die Klimaneutralität zu führen. Das Ziel erscheint machbar und hat zahlreiche Unterstützer.

Erforderlich für das Gelingen wird der Schulterschluss der Akteure aus Politik, Schifffahrt, Häfen sowie Energie- und Kraftstoffindustrie sein. Und natürlich sind hier weltweit die verladende Wirtschaft und die Endkunden gefragt: Deren Bereitschaft, die durch den erforderlichen Technologiewandel bedingten Mehrkosten für die Klimaneutralität der Schifffahrt zu tragen, wird ein zentraler Erfolgsfaktor der Umsetzung sein. (ol)

Carlos Jahn leitet das Institut für Maritime Logistik der TU Hamburg sowie das Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen.

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