Prof. ten Hompel: Decoupling macht ineffizienter

Bis Donnerstag dreht sich bei den Dortmunder Gesprächen alles um die zwei großen Zukunftsthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Einen inhaltlichen Vorgeschmack lieferten gestern bereits die Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML).

Institutsleiter Prof. Michael ten Hompel: Die traditionsreichen „Dortmunder Gespräche“ werden bereits zum dritten Mal in Folge rein online veranstaltet. (Foto: Fraunhofer IML)

Ab heute dreht sich bei den 40. Dortmunder Gesprächen alles um die zwei großen Zukunftsthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Einen inhaltlichen Vorgeschmack lieferten gestern bereits die Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) bei einem virtuellen Pressegespräch.

Das Fraunhofer IML richtet das auch als Zukunftskongress Logistik bekannte Branchenevent gemeinsam mit dem Digital Hub Logistics in Dortmund aus, in diesem Jahr noch einmal rein digital. Bis einschließlich Donnerstag diskutieren Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft über aktuelle Entwicklungen der Logistik und die Potenziale einer Plattformökonomie. Das Motto lautet „Aufbruch ins Silicon Economy Continuum – Die Zukunft der Logistik ist digital, offen und nachhaltig“.

Die Krise habe noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig „die Logistik für das Funktionieren unserer Gesellschaft wirklich ist“, hebt Prof. Uwe Clausen hervor, der zugleich das Institut für Transportlogistik an der TU Dortmund leitet. Sein Kongressthema heute wird die nachhaltige Logistik für lebenswerte Städte und Regionen sein. Die Coronakrise habe das Thema Nachhaltigkeit anfangs zwar zunächst in den Hintergrund gedrängt. „Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Thema bleibt“, sagt er im Vorfeld.

Für mehr Nachhaltigkeit sei es nötig, die Prozesse effizienter zu gestalten, sagt Prof. Michael ten Hompel. Sorgen bereitet dem geschäftsführenden Institutsleiter dabei allerdings der Trend zum Decoupling, womit das Entkoppeln von anderen Märkten wie zum Beispiel Russland und China, aber auch von Produkten und Prozessen gemeint ist. Wenn sich dieser Trend weiter verstärke, „dann werden wir auch ineffizienter“, warnt ten Hompel. Durch die Globalisierung seien nun einmal effizientere Produktionssysteme entstanden. „Wenn wir dieses Decoupling durchziehen, wird das also nicht nachhaltig sein“, ist er überzeugt.

Nachhaltiges Handeln aufgeschoben

An Relevanz gewonnen hat die Nachhaltigkeit in Unternehmen in den vergangenen zwei Krisenjahren offenbar nicht. Das geht zumindest aus Ergebnissen einer heute veröffentlichten repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Commerzbank hervor. Demnach haben 40 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland eine Nachhaltigkeitsstrategie, 2020 waren es 43 Prozent. Bei 33 Prozent ist eine geplant (2020: 37 Prozent), 26 Prozent haben keine (2020: 19 Prozent).

Wesentlich stärker im Fokus als das Thema Nachhaltigkeit standen seit Ausbruch der Corona-Pandemie die globalen Lieferketten. „Wir brauchen ein neues Supply Chain Management“, sagt Prof. Michael Henke mit Blick auf die aktuellen Krisen mit immer wieder neuen, großen Herausforderungen. „Wir brauchen mehr Resilienz, mehr Wandlungsfähigkeit und natürlich mehr Nachhaltigkeit entlang von Wertschöpfungsprozessen“, betont Henke, IML-Leiter und zugleich Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmenslogistik an der TU Dortmund.

Dafür müsse das Rad aber nicht neu erfunden werden. „Wir haben hier am IML die technischen Grundlagen geschaffen, die Unternehmen jetzt aber auch schnell zum Einsatz bringen müssen.“ Die Hürden sieht er weniger in der Technik, als vielmehr in der fehlenden Bereitschaft zusammenzuarbeiten und sich neues Wissen anzueignen. Man könne durchaus auch von einer „Zeitenwende in der Logistik“ sprechen. Das solle Firmen aber nicht abschrecken. „Wir haben bereits ganz viele Tools und unterstützen gern“, fügt Henke hinzu.

Blockchain als technische Grundlage

Die Blockchain-Technik, die eine manipulationssichere, dezentrale Datenspeicherung ermöglicht, spielt Henke zufolge beim künftigen Lieferketten-Management eine zentrale Rolle. Sie sei letztlich die technische Grundlage. Denn die Blockchain stehe für Transparenz und Vertrauen. Beides sei notwendig für den nächsten Entwicklungsschritt. Die Technik sei im geschäftlichen Bereich auch relativ energiearm einsetzbar, stellt Henke klar. Dabei sei in der B2B-Anwendung eine Blockchain-Transaktion mit der einer Visa-Karte vergleichbar. Zudem sei es mit Hilfe dieser Technik möglich, die Material- und Informationsflüsse mit den Finanzflüssen zu synchronisieren. „Das werden wir realisieren“, ist Henke überzeugt.

Das Fraunhofer IML ist laut Prof. Michael ten Hompel mindestens europaweit, wenn nicht sogar weltweit das größte Logistikinstitut mit inzwischen mehr als 700 Mitarbeitenden. Das Gesamtjahresbudget des IML beziffert der geschäftsführende Institutsleiter auf mittlerweile mehr als 50 Millionen Euro.

„Wir stehen vor einem entscheidenden Punkt“, sagt ten Hompel. „Maschinen werden anfangen, sich jetzt wirklich mit Maschinen zu vernetzen und beginnen, mit Maschinen zu verhandeln.“ Und der Einsatz künstlicher Intelligenz führe mehr und mehr dazu, „dass sich die reale und die virtuelle Welt derart miteinander vermischen, dass letztlich tiefe neuronale Netze entstehen“. Die schließlich dienen dann als Grundlage für Entscheidungsfindungen. Sie spielten derart zusammen, dass sie vollständig autonom Supply-Chain-Netze organisieren, disponieren und steuern.

„Das alles erfordert eine Menge Technik, die wir hier am IML entwickeln“, betont ten Hompel. Die Folge aus alledem werde sein, dass sich die Prozesse enorm beschleunigen. Zudem werde sehr viel Energie in neue Innovationssysteme fließen, weil sich auch die Entwicklung neuer Prozesse und neuer Technik beschleunige. „Wir zum Beispiel entwickeln inzwischen im Wochenrhythmus und nicht mehr im Monats- und schon gar nicht mehr im Jahresrhythmus“, sagt ten Hompel.

Eines sei aber auch klar: Die Komplexität bei der Entwicklung Richtung Schwarmtechnik und humanoider Robotik werde kein Unternehmen mehr alleine bewältigen können. Viele Unternehmen und viele Menschen seien gefragt, diese Entwicklung international voranzutreiben.

Hierzu hat das IML die Open Logistics Foundation ins Leben gerufen. Diese wurde während des Deutschen Logistik-Kongresses 2021 offiziell gegründet. Sie bündelt mit einer Open-Source-Plattform der dahinterstehenden Community erstmals in der Logistik die Kräfte und agiert so unabhängig von monopolistischen Plattform-Anbietern. Ihr Ziel ist die Entwicklung und Nutzung gemeinschaftlicher Open-Source-Soft- und Hardware, um so offene, föderale Plattform-Ökosysteme zu gestalten. Dafür haben Dachser, DB Schenker, Duisport und Rhenus die Open Logistics Foundation als gemeinnützige Stiftung gegründet. Begleitet wird sie von einem Verein, in dem dann eine Vielzahl von Unternehmen zusammenkommen soll.

Noch großen Nachholbedarf sieht ten Hompel beim Datenaustausch. Firmen müssen seiner Ansicht nach dringend daran arbeiten, Daten automatisiert und echtzeitnah zu erheben, zusammenzuführen und zu tauschen. Nur so könnten Logistikdienstleister künftig überhaupt noch Erfolg haben.

Wer teilt, will einen Mehrwert

Auch das zweite bedeutende Zukunftsthema, die Digitalisierung, war Gegenstand der Forsa-Umfrage im Auftrag der Commerzbank. Demnach sieht der deutsche Mittelstand große Chancen in datenbasierten Geschäftsmodellen, etwa um Dienstleistungen kundenorientierter zuschneiden zu können (65 Prozent). Aber auch der Aufbau von digitalen Plattformen (60 Prozent) wird dabei besonders hoch gewichtet. Als wichtigste Aspekte für ein datenbasiertes Geschäftsmodell nennen die Befragten Datensicherheit und Cybersecurity (81 Prozent).

Obwohl datenbasierte Geschäftsmodelle positiv bewertet werden, sind sie für die meisten Unternehmen aktuell noch nicht relevant. So nutzen 48 Prozent der Befragten Daten noch überwiegend dazu, interne Prozesse zu verbessern. Aber nur 8 Prozent verwenden sie für eine Serviceleistung, die sie ihren Kunden verkaufen.

Einerseits werden Datenschutzauflagen für die Datennutzung als Hemmnis gesehen. Andererseits geben 56 Prozent der Unternehmen an, ihre eigenen Daten nicht preiszugeben zu wollen. Zugleich weckt jedoch ein erkennbarer Mehrwert bei 34 Prozent die Bereitschaft, die Daten zu teilen.

Es wurden 300 Unternehmen aus den Sektoren Industrie, Dienstleistung und Handel mit einer Jahresumsatzgröße ab 15 Millionen Euro zwischen dem 14. März und dem 25. April 2022 befragt.

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben