Thomas Hagemann: „Onlinehandel hat die bessere Umweltbilanz“

Der Mitgründer und Co-CEO der Plattform für Cross-Border-Versand Seven Senders erklärt, wie sein Unternehmen klimaneutral werden soll und wie der E-Commerce der Zukunft aussehen könnte.

Thomas Hagemann, Mitgründer von Seven Senders. (Foto: Seven Senders)

Seven-Senders-Gründer Thomas Hagemann erklärt, wie sein Unternehmen klimaneutral werden soll und wie der Versandhandel der Zukunft aussehen könnte.

DVZ: Herr Hagemann, Nachhaltigkeit ist aktuell eines der großen Themen in der Transportbranche. War das schon bei der Gründung von Seven Senders als Delivery-Plattform für europäische Pakettransporte ein relevanter Aspekt?

Thomas Hagemann: Nach der Gründung 2015 lag unser Fokus ganz klar darauf, unser Geschäft aufzubauen. Um Kunden zu gewinnen, haben wir uns hauptsächlich nach deren Bedürfnissen gerichtet. Diese lagen 2015 bei den meisten noch woanders.Vor drei Jahren dann haben wir uns als Unternehmen dazu entschieden, dass wir in Sachen Nachhaltigkeit etwas bewegen möchten. Ausgelöst wurde diese Entscheidung durch die grundsätzlichen Debatten in der Gesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt haben wir auch die ersten Gespräche mit Kunden zu dem Thema geführt.

War das eine Business-Entscheidung oder Idealismus?

Eine reine Business-Entscheidung für Nachhaltigkeit kann heutzutage nicht funktionieren. Nachhaltiges Wirtschaften wird in Europa nicht subventioniert. Stattdessen ist es in der Branche möglich, dass jeder sein Geschäft frei betreiben kann. Bei uns ist daher – nicht nur bei uns Gründern – ganz klar auch Überzeugung dabei.

Anfang 2021 gab es den Kick-off für die Mission Zero bei Seven Senders. Was verbirgt sich dahinter?

Für unser Geschäft ist es entscheidend, dass wir den CO2-Ausstoß nur mit Hilfe unserer Kunden verringern können. Diese wünschen sich kurzfristig den Ausgleich von CO2-Emissionen und langfristig deren Vermeidung. Als Plattform sind wir davon abhängig, welche Maßnahmen unsere Partner umsetzen.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Zunächst haben wir Informationen über unser Unternehmen gesammelt, um herauszufinden, wie viel CO2 wir ausstoßen, welche Produkte wir anbieten und welche Faktoren wir beeinflussen können sowie ob es weitere Maßnahmen außer Offsetting gibt. Bei der Analyse haben wir festgestellt, dass ein langer Zeitraum für die Umsetzung notwendig ist. Um beispielsweise in der Logistik Emissionen zu vermeiden, sprechen wir mit den verschiedenen Dienstleistern. So finden wir heraus, welche Nachhaltigkeitsziele sie haben. Die Informationen, die wir aus den Gesprächen gewinnen, können wir dann an unsere Kunden weitergeben.

Was kann Seven Senders selbst verändern, um den eigenen CO2-Ausstoß zu verringern?

Da wir nicht im produzierenden Gewerbe tätig sind, ist unser eigener CO2-Ausstoß grundsätzlich relativ gering. Aus diesem Grund unterscheiden wir auch zwischen Unternehmen und Produkt. Die größten Faktoren für uns als Unternehmen sind Strom und Heizung in unserem Büro, Dienstreisen sowie Laptops, IT-Hardware und Software. Da unsere Leistung darin besteht, Pakete mit Lkw innerhalb Europas zu liefern, liegt hier der viel größere Hebel.

Konnten Sie Ihre Emissionen denn bereits reduzieren?

Wir haben an der einen oder anderen Stelle etwas bewegt. Der erste Schritt ist es, unseren CO2-Ausstoß des Vorjahres auszugleichen. Im zweiten Schritt gilt es dann, Maßnahmen zur Reduktion auf den Weg zu bringen. Konkret haben wir uns entschlossen, unseren Mitarbeitern nur noch Hybridfahrzeuge als Dienstwagen zur Verfügung zu stellen. Außerdem versuchen wir, in den Büros Plastik zu vermeiden, und sind auf einen grünen Stromanbieter umgestiegen. Aktuell überlegen wir, ob beispielsweise auch refurbished Laptops für uns infrage kommen.

Thomas Hagemann

Der 38-Jährige ist Mitgründer der 2015 entstandenen Delivery-Plattform Seven Senders – konzipiert wurde die Geschäftsidee ein Jahr zuvor auf einem Bierdeckel. Zuvor war Hagemann bei der Berliner Logistikberatung 4flow AG und als Research Scientist am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML tätig.

Wo können Sie noch besser werden?

Vor allem Dienstreisen sind für junge Unternehmen ein schwieriges Thema, da sie sich zur Kundengewinnung manchmal nicht vermeiden lassen. Außerdem ist die Quantifizierung des CO2-Ausstoßes unserer Softwareprodukte aufgrund des riesigen Softwaresystems sehr komplex. Sobald dieser ermittelt wurde, wollen wir ein Produkt entwickeln, mit dem unsere Kunden die Chance haben, die CO2-Emissionen der Software auszugleichen.

Mit welchen Offsetting-Projekten gleichen Sie Ihren Ausstoß aus?

Wir ermitteln den CO2-Ausstoß durch unser Dekra-zertifiziertes Verfahren selbst und gleichen ihn mit Climate Partner aus. Grundsätzlich ist es sinnvoll, sich zunächst auf die Ermittlung der CO2-Emissionen zu fokussieren. Für den Ausgleich stehen Unternehmen mittlerweile zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung. Bei der Wahl müssen sich Anwender auf die Standards, die die EU zulässt, verlassen können, da die eigene Kontrolle kaum möglich ist. Wir investieren in Projekte, die den Regenwaldschutz in Brasilien oder die Wasserversorgung in Äthiopien unterstützen.

Wie sind Sie bei der Ermittlung Ihrer CO2-Emissionen vorgegangen?

Wir haben neun Monate in einen Dekra-zertifizierten Prozess zur Ermittlung unserer Emissionen investiert. Den CO2-Ausstoß eines Pakets vom Lager eines Online-Versandhändlers in Polen bis zum Endkunden in Südfrankreich zu quantifizieren ist nicht einfach und es gibt viele unseriöse Ansätze am Markt. Da uns eine korrekte Berechnung wichtig war, haben wir in die Entwicklung des Verfahrens viel Zeit investiert. Dabei haben wir unter anderem herausgefunden, dass die Paketzustellung an einen Kiosk 40 Prozent weniger CO2-Emissionen verursacht als die Zustellung nach Hause.

Gerade beim Versandhandel wird aktuell viel über die letzte Meile diskutiert. Wie blicken Sie auf das Thema?

In der öffentlichen Wahrnehmung gilt der E-Commerce gegenüber den Alternativen immer als wenig nachhaltig. In der Realität ist es allerdings so, dass der Onlinehandel eine deutlich bessere Umweltbilanz als der stationäre Handel vorweist. Bei der Beurteilung muss unter anderem auch die Frage berücksichtigt werden, mit welchem Transportmittel die Kunden zum Laden oder Kiosk, in dem sie ihr Paket abholen, fahren. Ein großer Anteil des CO2-Ausstoßes im stationären Handel entfällt auf die Lagerung. Konkret heißt das, dass große Lager um das 16-Fache energieeffizienter sind als Geschäfte des Einzelhandels. Auch die Belieferung läuft deutlich effizienter und automatisierter als im stationären Handel. Beim Kauf eines Produkts im Internet werden durchschnittlich 36 Prozent weniger CO2 produziert als beim Erwerb im stationären Handel. Dennoch gibt es an vielen Stellen noch Optimierungspotenziale.

Welche Ansätze sehen Sie denn?

Es ist davon auszugehen, dass sich im E-Commerce Home Delivery sehr stark zu Out-of-home Delivery verschiebt. Gründe hierfür sind unter anderem die Verkehrsdichte in den Innenstädten, die Inflation sowie die Lohnkosten. Bei der Hauszustellung befinden sich 120 bis 160 Pakete in einem Zustellfahrzeug, das in vielen Straßen hält und im Durchschnitt pro Hausnummer 2 Pakete zustellt. Bei der Zustellung zu einem Kiosk können die Zustellfahrzeuge hingegen mit bis zu 700 Paketen beladen werden und bei einer Station bis zu 100 Pakete verteilen. Der CO2-Ausstoß der letzten Meile, der im E-Commerce den größten Anteil ausmacht, verteilt sich so auf viel mehr Pakete. Dadurch verringern sich unter anderem auch die Kosten für die Transportunternehmen.

Die Endkunden haben sich aber daran gewöhnt, ihre Pakete nach Hause geliefert zu bekommen. Wie schnell kann die Verschiebung zur Out-of-home Delivery gelingen?

Zalando wurde vor 14 Jahren gegründet und hat den Markt vollkommen verändert. Ich bin überzeugt davon, dass solche Entwicklungen immer schneller kommen und die Abstände zwischen den Innovationen kürzer werden. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, für Home Delivery Kosten einzuführen und Out-of-home Delivery kostenlos anzubieten. Viele Konsumenten kann das aus Kostengründen zum Umstieg bewegen.

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