Langwierige Trennung

Drei Monate nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ruckeln sich viele Veränderungen nur langsam ein. Handel, Distribution und Transport  werden komplexer und kostspieliger.

Foto: CharlieAJA/istock

Der Hafen von Rosslare im Südosten der Republik Irland gehört zu den klaren Brexit-Gewinnern. Viele Jahre habe der Umschlagplatz kaum Wachstum gesehen, sagte Glenn Carr, Geschäftsführer von Rosslare Port. Seit Januar ist das anders. „Die Nachfrage nach unseren neuen Verbindungen boomt.“ Im Januar legte das Frachtvolumen von Rosslare auf den europäischen Kontinent um beeindruckende 446 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu.

Auslöser dafür ist das endgültige Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union und das Ende der Übergangsfrist zum Jahresanfang. Die „Landbrücke“ - per Fähre von Dublin oder Rosslare nach Wales, auf der Straße bis Dover, mit der Kanalfähre nach Frankreich - über die traditionell ein großer Teil des irischen Warenhandels mit EU-Staaten abgewickelt wurde, hat seit Jahresbeginn erheblich an Bedeutung verloren. Zwar dauert eine direkte Überfahrt von Rosslare nach Dunkerque mit 24 Stunden fast doppelt so lange wie der Trip über die britische Insel. Doch wegen der neu anfallenden Kontrollen beim Grenzübertritt sind inzwischen längere Wartezeiten in den Häfen, bei der Ein- und Ausreise einzuplanen.

Auch Daten des Fähranbieters Stena Line aus den letzten Februartagen machen die Veränderung deutlich. Im Vergleich zur gleichen Woche des Vorjahres ist die Auslastung auf Verbindungen zwischen irischen und britischen Häfen um 49 Prozent gesunken. Gleichzeitig hat sich das Frachtvolumen auf den Relationen nach Frankreich verdoppelt. Die Anbieter haben rasch auf die Nachfrageverschiebung reagiert. Aus zwölf Fahrten pro Woche wurden 42 Touren auf den Kontinent. Sie gehen nach Roscoff und St, Malo, Cherbourg und Dunkerque, Zeebrugge und Santander.

Dank des Handelsvertrages, den Brüssel und London an Heiligabend nach monatelangen Verhandlungen unterzeichnet haben, werden bei der Ein- und Ausreise an der Grenze zwar keine Zölle fällig. Zollkontrollen und zahlreiche Checks sind dennoch hinzugekommen. Diese sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse reichen von veterinärmedizinischen Prüfungen für Agrarprodukte über notwendige, ausführliche Angaben zu Inhaltsstoffen bis zu umfangreichen Formularen, die es auszufüllen gilt. Das sorgt für Veränderungen im Warenhandel, bei der Distribution und im Transport.

„Die Folgen der nicht-tarifären Hemmnisse sind erheblich“, sagte Jonathan Portes, Professor für Volkswirtschaftslehre am King’s College in London. Um das gesamte Ausmaß zu beurteilen, sei es aber noch zu früh. Es fehle an Daten. „Die Ansicht der meisten Ökonomen ist, dass die Folgen des Brexit signifikant sein werden, nicht verheerend, nicht katastrophal, aber auch nicht vernachlässigbar, deutlich negative Folgen für Teile der britischen Wirtschaft.“

Auch nach dem formalen Abschluss des Brexits hat das Thema auf der Insel nicht an Emotionalität verloren. Über das Ausmaß der Auswirkungen wird derzeit erbittert gestritten. „Informationen, die wir regelmäßig von internationalen Spediteuren abfragen, deuten darauf hin, dass Ladungen in die EU um 68 Prozent eingebrochen sind“, schrieb Richard Burnett, Geschäftsführer des Branchenverbandes Road Haulage Association (RHA) Anfang Februar an den zuständigen Minister Michael Gove. Zudem habe der Verband Hinweise, dass sehr viel mehr Trucks als üblich leer zurückgeschickt würden. Damit dürfte das Problem also noch schwerwiegender sein, als die offiziellen Zahlen vermuten lassen. Die Branche bitte daher um Gespräche und Unterstützung.

Eine Woche später antwortete die Regierung mit einer geharnischten Replik auf ein halbes Dutzend Aussagen aus Burnetts Brief. „Es ist ein ganz normaler Aspekt des Frachtverkehrs, dass Lastkraftwagen leer aus Großbritannien in die EU zurückfahren - das ist immer so gewesen“, hieß es da. Französische Daten würden zudem nahelegen, dass der Einbruch in den ersten Wochen lediglich bei 50 Prozent gelegen habe.

Es werde noch viele Monate dauern, bis sich die Brexit-Folgen abzeichnen, sagte Portes. Die ersten Zahlen aus der Post-Brexit-Zeit wirken dramatisch. Im Januar sind die Exporte in die EU um 40,7 Prozent eingebrochen, die Einfuhren sind um 28,8 Prozent geschrumpft. Darin spiegelt sich aber auch eine vermehrte Vorratshaltung vor dem Brexit-Termin. Hinzu kommt eine veränderte Nachfrage durch die Coronapandemie und damit verbundenen Lockdowns in Europa.

Trotz aller Unsicherheit: Zahlreiche Aspekte sind unstrittig. Klar ist etwa, dass der Aufwand, Außenhandel mit der EU zu treiben, durch die neuen Regeln deutlich größer geworden ist. Fast drei Viertel aller britischen Produzenten hatten in den vergangenen Monaten wegen des Brexit mit Verzögerungen bei Lieferungen zu kämpfen, zeigen Zahlen von MakeUK, einem Verband der produzierenden Industrie. Über die Hälfte der Unternehmen klagen über höhere Kosten.

Die Schwierigkeiten bringen viele Firmen dazu, dass sie den Absatzmarkt EU erst einmal nicht weiter bedienen. Nach einer Umfrage des Arbeitgeberverbandes Institute of Directors (IoD) haben 17 Prozent der Unternehmen diesen Schritt gewählt. In der Hälfte dieser Fälle ist die Entscheidung dauerhaft, der Rest plant die Märkte wieder zu bedienen, wenn sich die Situation eingespielt hat. „Für die Regierung sollte das ein Aufruf zum Handeln sein“, warnte Roger Barker, Leiter Strategie des IoD. Sonst könnten der schrumpfende Außenhandel rasch zu einem dauerhaften Problem werden.

In der umgekehrten Richtung stellt sich das Problem genauso. Viele Firmen in der EU verschaffen sich erst einmal Zeit, in dem sie Lieferungen ins Vereinigte Königreich einstellen. Das gilt für den deutschen Porzellanhändler Arzberg genau wie für den Fahrradzubehör-Experten Dutch Bike Bits und das französische Wäsche-Label Maison Lejaby. „Wir benötigen erst einen neuen Prozess für die Abwicklung des Versands inklusive der nun erforderlichen Zollunterlagen“, teilte der Porzellanhersteller Arzberg aus dem fränkischen Selb mit, der Bestellungen aus der gesamten EU erledigt.

Die Zurückhaltung der Unternehmen führe jedoch nicht zu einem Überangebot an Transportkapazität, klagen Verlader. „Wir können kaum einen Spediteur finden, der bereit ist nach Frankreich zu fahren“, sagte Rob Law, Geschäftsführer von Trunki, einem Hersteller von farbenprächtigen Rollkoffern für Kinder. Über 2.000 Teile, die diesen Monaten ausgeliefert werden sollten, stecken in Großbritannien fest, klagte er im „Guardian“. Paletten, die nach Deutschland verschickt wurden, sind wegen Problemen in der Zollerklärung wieder zurück gekommen. Law hat gehandelt, künftig soll die Distribution für die EU, 42 Prozent des Gesamtumsatzes, aus einem neuen Lager in den Niederlanden erledigt werden.

Seit dem Jahresanfang treten Probleme mit den erforderlichen Papieren auf. Die Bahntochter DB Schenker und der Paketdienst DPD haben zum Jahresanfang vorübergehend Transporte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU eingestellt. „Lediglich rund zehn Prozent der Sendungen sind mit vollständigen und korrekten Papieren versehen“, erklärte ein Schenker-Sprecher. In allen anderen Fällen muss das Unternehmen nachfassen, um die Unterlagen zu vervollständigen.

Längst werden Pakete und Paletten wieder abgefertigt. Doch ein Grundproblem bleibt bestehen: Es fehlt an Zollagenten, die Hilfestellung leisten und die administrativen Arbeit übernehmen können. „Der Mangel an Zollagenten, die den Markt unterstützen könnten, zeigt bisher keine Anzeichen von Entspannung“, sagte Burnett von der RHA. Vertreter der Regierung hatten im vergangenen Jahr immer wieder davon gesprochen, dass bis zu 50.000 von diesen Experten gebraucht würden. Nur 10.000 von ihnen stehen nach Schätzungen des RHA bisher zur Verfügung.

„Nach meiner Erfahrung, aus Gesprächen mit Unternehmen, mit denen ich arbeite, ist das Verständnis für die Zollanforderungen erschreckend gering“, sagte Anna Jerzewska, Gründerin der Zoll- und Handelsberatung Trade & Borders. Das Problem dürfte noch deutlich um sich greifen. Großbritannien führt Prüfungen bei der Einfuhr nur schrittweise ein. Eigentlich sollten ab April umfangreichere Unterlagen für Nahrungsmittel nötig werden. Ab Juli waren auch physische Proben vorgesehen. Beide Termine wurden Mitte März um jeweils sechs Monate verschoben.

Für den Transitverkehr dürften die Anlaufschwierigkeiten bedeuten, dass die Durchfahrt durch England und Wales bis auf weiteres wenig attraktiv bleibt. Die Fährbetreiber stehen bereit. DFDS hat angekündigt, ab dem 1. April eine vierte wöchentliche Verbindung von Rosslare nach Dunkerque ins Programm zu nehmen. (fho)

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben