In Polen gilt Lkw-Fahren als Dienstleistung
Gut ein Jahr ist es her, dass die Protestaktion von Fahrern der polnischen Unternehmensgruppe Mazur die Arbeitsbedingungen bei osteuropäischen Transportunternehmen deutschlandweit zum Thema machte: Sie haben monatelang kein Geld erhalten, mussten während ihrer gesamten Einsatzzeit im Lkw schlafen und konnten nie zu ihren Familien zurückkehren.
Wenn das Unternehmen bezahlte, legte es keine Abrechnungen vor und zog willkürlich Beträge für angeblich von ihnen selbst verursachte Schäden ab, berichteten die Fahrer. Sie wurden bedroht, sollten mit Gewalt aus ihren Lkw vertrieben werden, damit Ersatzfahrer ihre Touren fortsetzen könnten. Erst nach einer wochenlangen Auseinandersetzung wurden sie bezahlt. Bei einem zweiten Ausstand im September kam es sogar zum Hungerstreik.
Seither gilt Polen in der Transportbranche als Risikogebiet für Arbeitsschutz und Menschenrechte. Aus Polen selbst hat sich zu diesen Umständen bislang kaum jemand zu Wort gemeldet. Doch die Wahrnehmung ist dort eine ganz andere als in Deutschland. „Dass die Arbeitsbedingungen für Fahrer in Polen schlechter sind als in Westeuropa, ist ein Mythos“, meint beispielsweise Dariusz Gołębiowski, Fleet Director der Röhlig-Tochter Rohlig SUUS Logistics, einem der größten polnischen Logistikunternehmen. „Auch bei uns gelten wie in der übrigen EU die Bestimmungen des Mobilitätspakets, das die Arbeitsbedingungen regelt“, betont er im Gespräch mit der DVZ.
Viele Ukrainer und Weißrussen
Die polnische Transportbranche beschäftigt aktuell rund 1 Million Menschen, von denen ein großer Teil Lkw-Fahrer sind. Sie stammen auch aus Ländern, die nicht zur EU gehören. Darunter befinden sich nach polnischen Statistiken zu 80 Prozent Ukrainer und zu 18 Prozent Weißrussen. Auch aus Asien kommen zunehmend mehr Fahrer. Schätzungen zufolge gibt es in Polen zwischen 100.000 und 150.000 offene Stellen für Fahrer.
„Bei Rohlig SUUS haben wir keinen eigenen Fuhrpark“, berichtet Gołębiowski und fügt hinzu: „Deshalb sind die Transportunternehmen und ihre Fahrer unsere wichtigsten Geschäftspartner – und so behandeln wir sie auch.“ Dazu gehöre das Angebot weitreichender Anreize. „Unsere neuen Standorte verfügen über Ruhezonen für Fahrer, in denen sie entspannen oder eine warme Mahlzeit zu sich nehmen können, während sie die Verladung abwarten“, erzählt er. Solche Bedingungen sind bei Logistikdienstleistern auch in Deutschland noch längst nicht Standard.
Obwohl sich Unternehmen vehement gegen Vorwürfe aus Deutschland wehren, nehmen die Regierungen beider Länder das Thema Arbeitsbedingungen sehr ernst. Der Hungerstreik in Gräfenhausen hat zu einer Intervention auf höchster Ebene geführt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte im September 2023 seine polnische Amtskollegin Agnieszka Dziemianowicz-Bąk aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen.
Erst im März erreichten Heil erste Informationen aus Polen: Die Verwaltungsverfahren dauerten noch an, es seien aber bereits Sanktionen von den zuständigen polnischen Behörden verhängt worden. Bei einem Zusammentreffen in Brüssel betonten beide Minister, dass sie weiterhin eng zusammenarbeiten wollen. Auf eine aktuelle Anfrage der DVZ nach dem derzeitigen Verfahrensstand reagierte die polnische Regierung jedoch nicht.
Der zuständige Generalinspektor für den Straßenverkehr (polnisch: Główny Inspektor Transportu Drogowego, GITD) erklärt erst nach mehrmaliger Anfrage und einem erneuten Angriff des Firmenchefs Łukasz Mazur auf einen seiner Fahrer, dass seine Behörde die europäische Transportlizenz entziehen könne, wenn der Verkehrsunternehmer seine Berufszulassung verliere. Im Fall von Mazur „wurden die Zulassungsvoraussetzungen untersucht und der Transportunternehmer positiv überprüft“, schreibt er ohne weitere Begründung.
Aufgabe des Amtes ist es, für die Einhaltung der Vorschriften im Straßenverkehr zu sorgen; eine seiner Abteilungen hat ausschließlich den Auftrag, sich mit den anderen europäischen Straßenverkehrsorganisationen auszutauschen – also auch mit den deutschen Behörden.
Gräfenhausen kaum beachtet
Die polnischen Medien hatten seinerzeit zwar über die Fahrerproteste berichtet, allerdings nur mit Übersetzungen deutscher Zeitungsbeiträge. Eine eigene Berichterstattung und selbstständige Auseinandersetzungen mit dem Fall fanden in Polen nicht statt. Die Kommunikation zwischen beiden Ländern zu diesem Thema ist nicht sonderlich ausgeprägt.
So wissen deutsche Speditionen oft nicht genau, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen die Fahrer polnischer Transportunternehmen in Deutschland für sie unterwegs sind. Grundsätzlich sind sie nach polnischem Recht nicht verpflichtet, ihre Lkw-Fahrer auf Grundlage eines Arbeitsvertrages mit regelmäßiger Bezahlung zu beschäftigen.
Nach polnischem Recht spricht nichts dagegen, dass ein Fahrer seine Aufgaben auf der Grundlage eines auftragsbezogen abgerechneten Dienstleistungsvertrags erfüllt. Auch dieser erlaubt grundsätzlich den Zugang zur staatlichen Krankenkasse NFZ sowie zu anderen Sozialleistungen. Viele polnische Transporteure schließen außerdem Transportaufträge mit Subunternehmern ab, die sie über Frachtenbörsen finden.
Die meisten Fahrer in polnischen Unternehmen werden über Dienstleistungsverträge beschäftigt, berichtet Antonina Schneider, Fachanwältin für Transportrecht in der Kanzlei Staniszewski i Współnicy, gegenüber der DVZ: „Meiner Erfahrung nach stehen Arbeitsverträge erst an zweiter Stelle, und zwar insbesondere bei Unternehmen, die sich ihren eigenen Fuhrpark leisten können.“ Der Kreditversicherer Coface bewerte den polnischen Straßengüterverkehr tatsächlich als sehr riskant. Doch die Branche habe sich in den vergangenen Jahren mit dem EU-Mobilitätspaket grundlegend gewandelt.
„Seit Jahresbeginn macht sich auch in Polen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bemerkbar“, sagt die Fachanwältin. Deutschland gehöre zu den wichtigsten Handelspartnern Polens, ein Viertel der polnischen Warenexporte gehe in das Nachbarland. Das LkSG könne sich daher zu einer treibenden Kraft für Verbesserungen im polnischen Transportsektor entwickeln. „Deutsche Unternehmer, die ihre Compliance-Verfahren in Gang setzen, dürfen von polnischen Partnern erwarten, dass diese ihren Betrieb an die entsprechend hohen Standards anpassen“, bewertet Schneider. (loe)