Audi-Logistiker: „Wir setzen klar auf die Schiene“
In der Audi-Zentrale in Ingolstadt dreht sich für gewöhnlich alles ums Auto. Aber im Interview soll es vor allem um die Bahn gehen. Und wie sieht es bei Christian Graeff und Peter Haselwanger privat aus: Auto oder doch Bahn? Auto, natürlich, aber mit Elektroantrieb. Bei dem Arbeitgeber überrascht die Aussage nicht. Doch in der Transportlogistik gelten andere Spielregeln.
Mission:Zero lautet das Umweltprogramm von Audi. Teil dieses Programms ist, dass bis 2025 alle Produktionsstandorte bilanziell CO₂-neutral arbeiten sollen. Schaffen Sie das bis dahin?
Graeff: Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Wir wollen zunächst nach Möglichkeit in den Werken CO₂ vermeiden oder reduzieren durch Umstellung auf CO₂-arme Technologien. Der zweite Schritt ist der Bezug von grünem Strom oder grüner Wärme, die wir zum Teil in den Werken selbst erzeugen. Als letzte Maßnahme gleichen wir unvermeidbare CO₂-Emissionen durch zertifizierte Klimaprojekte aus. In Ingolstadt und bei Audi Hungaria und Audi Brussels fertigen wir bereits bilanziell CO₂-neutral. Bis 2025 dann auch in Neckarsulm und San José Chiapa in Mexiko, dort fehlen uns nur noch wenige Prozente.
Wie sieht es bei den Transporten von und zu den Werken aus?
Graeff: Auch dort treffen wir entsprechende Maßnahmen. Wir versuchen zunächst, Verkehre zu vermeiden, durch Bündelung von Sendungen mittels intelligenter Steuerungsmethodiken. Da haben wir aufgrund der Fortschritte in der Digitalisierung neue Möglichkeiten, um unsere Logistikprozesse nachhaltiger zu gestalten. Zusätzlich wollen wir Transportmittel mit hohem CO₂-Ausstoß, wie beispielsweise Luftfracht, möglichst vermeiden. Stattdessen setzen wir mit Hilfe neuer Steuerungsmethodiken auf alternative Routen und Transportmethoden, die eine geringere Umweltbelastung mit sich bringen. Im Falle von dringenden Lieferungen zwischen China und Europa nutzen wir anstatt der Transsibirischen Eisenbahn aktuell Lkw-Transporte, da diese im Vergleich zur Luftfracht eine reduzierte CO₂-Belastung aufweisen. Für Überseelieferungen ist die Seefracht jedoch der Standard.
Ist die Mittel- oder Südroute per Bahn zwischen China und Europa ein Thema für Audi?
Haselwanger: Die haben wir getestet. Die Laufzeiten waren jedoch sehr hoch, über 50 Tage. Daher haben wir in kritischen Versorgungssituationen auf den Lkw umgestellt. Damit haben wir zwar nicht die 20 Tage erreicht, die wir per Zug durch Russland benötigt haben. Aber mit rund 28 Tagen waren wir immer noch schneller als per Schiff. Und so konnten wir Transporte per Luftfracht vermeiden.
Welche Verkehrsträger favorisiert Audi bei Transporten in Europa?
Graeff: Wir setzen klar auf die Schiene, in welchem Format auch immer: im Einzelwagenverkehr, im Ganzzugverkehr – dafür bedarf es aber eines entsprechenden Volumens und entsprechender Gleisanschlüsse – oder im Kombinierten Verkehr (KV). Aber: Wir werden nicht alle unsere Verkehre auf die Schiene bringen können. Der Lkw bleibt unverzichtbar. Hier beobachten wir einen Trend zur E-Mobilität. Als Brückentechnologie setzen wir auf den Einsatz biogener Kraftstoffe. Denn wir müssen jetzt handeln und nicht erst gegen Ende des Jahrzehnts, wenn der E-Lkw voraussichtlich flächendeckend zum Einsatz kommen wird.
Wie sieht derzeit der Modal Split bei Audi aus?
Graeff: Im Outbound, bei der Distribution der Fertigfahrzeuge, haben wir einen Schienenanteil von bis zu 75 Prozent bezogen auf die Verkehrsleistung. Im Materialzulauf für die Produktion liegt der Bahnanteil bei ungefähr 20 Prozent. Im Zwischenwerksverkehr kommt die Schiene auf circa 60 Prozent. Wir wollen unseren Modal-Split-Anteil der Schiene von gut einem Fünftel verdoppeln und somit mittel- bis langfristig etwa die Hälfte per Bahn transportieren.
Ist damit die Obergrenze für die Bahn erreicht?
Graeff: Aus heutiger Sicht würde ich sagen: ja. Aber das lässt sich so pauschal nicht festlegen. Das hängt beispielsweise von der Lieferantenstruktur ab und wo sich die Auslieferstandorte der Lieferanten befinden. Grundsätzlich versuchen wir die Lieferwege möglichst kurz zu halten und deshalb sind nach Möglichkeit unsere Hauptlieferanten in der Nähe unserer Produktionsstandorte angesiedelt. Wenn sich in Zukunft mehr Lieferanten in der Nähe unserer Werke ansiedeln, macht eine Verlagerung auf die Bahn aufgrund der geografischen Nähe wenig Sinn. Andernfalls könnte der Bahnanteil für weiter entfernte Lieferanten höher steigen.
Haselwanger: Für einen solch hohen Bahnanteil müssen aber die infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben sein. Mit einem Lkw fahre ich heute vom Lieferanten auf direktem Weg punktgenau ins Werk. Mit der Schiene können es gerne mal zwei, dreihundert Kilometer Umweg sein. Bezogen auf Deutschland muss die Schieneninfrastruktur auf jeden Fall noch deutlicher verbessert und ausgebaut werden. Dann sehe ich für uns einen Modal Split von annähernd 50 Prozent als realistisch an. Bis dahin werden wir versuchen, verstärkt Kombinierte Verkehre zu nutzen. Dann können wir auf der langen Strecke auf die Bahn gehen, so den Modal Split der Schiene sukzessive erhöhen und im Vor- und Nachlauf die Flexibilität der Lkw nutzen.
In einer idealen Welt wünsche ich mir grüne Transporte zu möglichst günstigen Kosten. Christian Graeff, Leiter Supply Chain Inbound bei Audi
Wie bei dem neuen KV-Zug von Helrom und Duvenbeck.
Haselwanger: Korrekt. Bei diesem Ganzzug zwischen Regensburg und Lébény in Ungarn legen wir seit Anfang April pro Zug 500 Kilometer zurück und sparen so 185.000 Lkw-Kilometer pro Woche. Nicht nur Umweltaspekte spielen dabei eine Rolle. Planungssicherheit muss auch gegeben sein. Die wird unter anderem beeinträchtigt durch äußere Faktoren wie Streiks wie zu Beginn des Jahres. Das gibt es in diesem Ausmaß auf der Straße nicht. Wir brauchen für eine zuverlässige Versorgung der Produktion eine robuste und resiliente Lieferkette.
Graeff: Wir sind uns bewusst, dass wir unsere Ziele der bilanziellen CO₂-Neutralität in Europa nur mit Hilfe der Schiene umsetzen können. Aber der Schienenverkehr hat noch einige Hürden zu überwinden, damit weitere Verlagerungen von der Straße funktionieren. Darauf bauen wir. Dann sind wir zuversichtlich, dass wir unsere gesetzten CO₂-Ziele erreichen.
Wie sehen Ihre bisherigen Erfolge zur CO₂-Vermeidung im Transport aus?
Haselwanger: In unserer Strategie 360factory ist Nachhaltigkeit fest verankert. Wir als Supply Chain können einen wichtigen Beitrag hierzu leisten und haben bereits einige Erfolge erzielt. Beispielsweise ist der Modal-Split-Anteil der Schiene gestiegen. Auch bei den Lkw-Transporten konnten wir durch den Einsatz von biogenen Kraftstoffen – wie beispielsweise HVO100 oder Bio-LNG – beachtliche CO₂-Vermeidung erzielen.
Graeff: Da die Produktion von E-Fahrzeugen immer weiter zunimmt, benötigen wir immer mehr Batterien. Der Transport von Batteriekomponenten soll nach Möglichkeit über die Bahn erfolgen. Dazu sind Gleisanschlüsse bei den Lieferanten optimal. Liegen diese nicht vor, entwickeln wir entsprechende KV-Konzepte, damit zumindest der Hauptlauf auf der Schiene erfolgt und die Vor- und Nachläufe mit umweltfreundlichen Lkw abgewickelt werden. Entsprechend unserer Roadmap werden wir diesen klimaschonenden Weg bei optimaler Gestaltung der Logistikprozesse zwischen unseren Lieferanten und unseren Werken konsequent weitergehen.
Woher kommen die Batterien?
Graeff: Wir montieren die Batterien in der Regel direkt an den Standorten, an denen wir E-Modelle bauen. Die Batteriemodule kommen derzeit von verschiedenen Lieferanten aus ganz Europa. In Brüssel beispielsweise wird der Audi Q8 E-tron produziert. Die Batteriemodule kommen aktuell aus Ungarn, 30 Kilometer nördlich von Budapest. Bei dem Lieferanten gibt es jedoch keinen Gleisanschluss. Daher transportieren wir aktuell die Batterien an unseren Standort in Győr, setzen sie dort auf die Schiene und fahren diese bilanziell CO₂-neutral nach Brüssel ins dortige Werk. Der Transport erfolgt im klassischen Waggon.
Bevorzugen Sie den KV, den Einzelwagenverkehr oder den Ganzzug?
Haselwanger: Wir sehen uns die Vor- und Nachteile der einzelnen Transportarten an: Im KV beispielsweise benötigt man in der Regel KV-Terminals. Die sind in Europa sehr gut frequentiert. Das führt schnell zu Überlastungen und damit zu Verspätungen. Wenn wir ausreichend Volumen generieren können für einen Ganzzug, würde ich immer einen Ganzzug vorziehen. Die sind im Vergleich zum Einzelwagenverkehr leichter zu steuern und haben eine höhere Robustheit. Neu ist für uns, was wir mit dem Ganzzug zwischen Regensburg und Lébény machen. Aufgrund der Helrom-Technik sind wir damit ein Stück weit terminalunabhängig. Das hat den Vorteil, dass wir auf der Straße ganz andere Partner gewinnen können, die nämlich keine kranbaren Trailer haben. Das gibt uns noch mal mehr Flexibilität. Letztlich setzen wir auf alle Formen im Schienengüterverkehr, um den Schienenanteil zu maximieren.
Ist Audi bereit, für grünen Transport und damit für die Vermeidung von CO₂ mehr Geld zu zahlen?
Graeff: Es geht um ganzheitliche Lösungen. Da spielen ökonomische Werte eine Rolle, aber auch ökologische Aspekte oder Themen wie Resilienz, Flexibilität oder Soziales. Wir bewerten immer das Transportkonzept in Summe gemäß unserem Grundsatz „Gesamtoptimum vor Einzeloptimum“.
Was erwarten Sie dann von Ihren Transportpartnern?
Graeff: In einer idealen Welt wünsche ich mir grüne Transporte zu möglichst günstigen Kosten. Ich hätte gerne schnelle, robuste und flexibel gestaltbare Abläufe. Ich wünsche mir vollkommene Transparenz aller Sendungen mit Hilfe der Digitalisierung. Ich möchte idealerweise so wenige Schnittstellenpartner wie möglich und nur mit einer Steuerstelle reden. Das hört sich anspruchsvoll an. Dennoch, in diese Richtung müssen die Diskussionen mit unseren Partnern gehen. Zum Schluss treffen wir gemeinsam eine Entscheidung, welches Konzept das beste ist.
Haselwanger: Uns ist bewusst, dass für die Zukunft die Schiene in vielen Fällen der richtige Weg ist, aber nicht immer und zu jedem Preis. Wir wollen gemeinsam mit unseren Dienstleistern effiziente und robuste Lösungen entwickeln. Das ist die Einladung an alle Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), mit uns Ideen zu entwickeln, wie wir noch mehr Volumen auf die Schiene bekommen.
Arbeiten Sie im KV lieber mit einer Bahn oder einem Operateur zusammen?
Haselwanger: Auch hier gilt: Das hängt von dem Projekt ab. Uns ist daran gelegen, die Zahl der Schnittstellen zu reduzieren. Im klassischen KV gibt es in der Regel mehr als zehn Schnittstellen, wenn ich den Terminalbetreiber mitrechne, die Spediteure, Bahnen und sonstige Dienstleister. Wir haben ein großes Interesse daran, nur mit einem Dienstleister zu sprechen. Das ist häufig derjenige, der die Kontrolle über die letzte Meile hat und damit das Zeitfenster bei uns im Werk bucht. Aber auch hier sind wir flexibel: Wenn die Transportkette effizienter und transparenter mit weniger Schnittstellen gestaltet werden kann, kommt auch ein EVU infrage.
Im Idealfall packe ich mehrere Relationen auf den KV-Zug und kann so die Ansprechpartner von fünf, sechs oder mehr auf einen verringern. Mit einem Ansprechpartner lässt sich das Thema Qualitätsmanagement deutlich einfacher umsetzen. Das gilt auch für Projekte in der Digitalisierung. Diese Erfahrungen haben wir auch bei dem KV-Zug Regensburg–Lébény gemacht. Mit der Schnittstellenreduzierung konnten wir Vorteile bei der Digitalisierung erzielen. Aber über das Ausmaß waren wir schon positiv überrascht.
Nicht nur Umweltaspekte spielen eine Rolle. Planungssicherheit muss auch gegeben sein. Peter Haselwanger, Leiter Transportplanung bei Audi
Welche Vorteile sind das?
Haselwanger: Wir sind jetzt beispielsweise dabei, dass die Lkw keine Zeitfenster mehr buchen müssen, sondern direkt über GPS-Echtzeittracking bei uns in die Werke reinfahren. Dass wir das in dieser kurzen Zeit hinbekommen, hätte ich nicht erwartet. Immerhin transportieren wir mit Deutschland, Österreich und Ungarn durch drei Länder mit insgesamt zwei Grenzübergängen und steuern über drei Netzgesellschaften. Es läuft derzeit sehr stabil. Die Züge sind pünktlich. Bei der Zusammenarbeit zwischen Helrom, Duvenbeck und Audi haben wir etwas Neues ausprobiert, und es funktioniert.
Graeff: Solche erfolgreichen Konzepte bestätigen und ermutigen uns, neue Wege zu gehen und nicht nur Konzepte auf Papier zu erstellen. Trotzdem hängen damit auch Risiken zusammen: Denn dahinter stecken Fabriken, die zuverlässig mit einer Vielzahl an Bauteilen von unterschiedlichen Lieferanten beliefert werden müssen.
Wenn es so gut läuft: Wann gibt es die zweite Verbindung mit Helrom?
Haselwanger: Wir arbeiten an einer zweiten Verbindung. Da ist Helrom auch ein Kandidat. Aber wir werden es wieder am Markt platzieren. Mehr kann ich derzeit nicht sagen.
Wann wird eine Entscheidung fallen?
Haselwanger: Bis zum Ende des Jahres planen wir so weit zu sein.
Im Sommer beginnt die Korridorsanierung: 40 Routen werden nach und nach für mindestens ein halbes Jahr komplett gesperrt. Macht Ihnen Angst, dass bestimmte Verkehre dann nicht mehr laufen oder deutlich schlechter?
Haselwanger: Einige Sorgen haben wir schon. Wir haben mit anderen Unternehmen im VDA (Verband der Automobilindustrie) in der Arbeitsgruppe Bahnverkehre darüber diskutiert. 40 Korridore für sechs Monate komplett zu sperren: Das ist aus unserer Sicht nicht umsetzbar. Wir werden dazu weiter Gespräche führen und hoffen, dass noch Anpassungen vorgenommen werden. Ansonsten müssten wir das machen, was wir in den Streikphasen auch gemacht haben: temporäre, alternative Lösungen finden. Aber natürlich ist das ein Szenario, das wir uns nicht wünschen und das mit einem hohen Aufwand verbunden ist.
Gibt es Korridore, die Ihnen besonders wichtig sind?
Graeff: Mit Blick auf die geplanten Korridorsanierungen ist uns die Region um Passau sehr wichtig. Denn dieses Gebiet durchqueren viele unserer Züge.