Deutscher Logistik-Preis: Strauss leistet wieder ganze Arbeit

Die Workwear-Marke Strauss aus Biebergemünd (Hessen) hat den diesjährigen Deutschen Logistik-Preis der Bundesvereinigung Logistik (BVL) erhalten. Das Familienunternehmen wurde am Mittwochabend auf der Supply Chain CX in Berlin ausgezeichnet. Damit konnte sich Strauss den renommierten Preis zum zweiten Mal sichern. Bereits 2015 gewann der Anbieter von Arbeitsbekleidung zusammen mit der BLG Logistics Group, 2020 gehörte der Mittelständler zu den Finalisten. Fünf Jahre später hat sich Strauss nun im Finale gegen Siemens und Tchibo durchgesetzt.
Umbau statt Neubau
Das aktuelle Siegerprojekt „Logistics Next Level“ steht für eine Revitalisierung eines in die Jahre gekommenen Logistikzentrums im laufenden Betrieb. „Wir wollten unsere Logistik nicht nur erneuern, sondern revolutionieren“, sagt COO Matthias Fischer.
Das bestehende Logistikzentrum in Biebergemünd stammte im Kern aus den 1990er-Jahren. Mit überalterten Komponenten, papierbasierten Prozessen und energieintensiven Anlagen war es nicht mehr zukunftsfähig. Software lief teilweise noch unter MS-DOS, Ersatzteile waren schwierig zu beschaffen, aktuelle Sicherheitsanforderungen ließen sich nicht abbilden.
Strauss entschied sich für die Revitalisierung – eine Lösung mit tragfähigem Investitionsrahmen, kürzerer Umsetzungszeit und klaren ökologischen Vorteilen. Der Umbau im laufenden Betrieb stellte allerdings hohe Anforderungen an Planung, Qualifizierung und Risikosteuerung.
Das Projekt „Logistics Next Level“ begann im Januar 2022 und wurde in drei Stufen umgesetzt. Erstens: Stilllegung und Rückbau der Altanlagen sowie Räumung einzelner Bereiche. Zweitens: Aufbau des Shuttle-Systems, schrittweise Inbetriebnahmen und paralleles Hochfahren der neuen Prozesse. Drittens: Integration der Retourenprozesse und finale Abschaltung der Alttechnik. Möglich wurde all dies auch dadurch, dass Prozessanteile temporär an den Schwesterstandort im 30 Kilometer entfernten Schlüchtern verlagert wurden. Dort ließen sich Aufträge stabil abwickeln, bis die neue Technik in Biebergemünd die volle Leistung erreichte. Fischer resümiert: „Wir haben es geschafft, eine an ihre Grenzen gekommene Logistikimmobilie im Brownfield mit einem 100-Prozent-Rundumblick zu revitalisieren.“
Das technische Fundament
Kern des neuen Systems ist ein Leitstand, der täglich 45.000 Sendungen koordiniert und auftragsbezogen bündelt. Die Auftragsdurchlaufzeit sank von vier Stunden auf 40 Minuten, die Fehlerrate wurde um 80 Prozent reduziert, die Kundenzufriedenheit liegt bei 98 Prozent. Das mehrstöckige Shuttle-System stellt kurze Zugriffszeiten sicher und versorgt ergonomische Kommissionierstationen sowie kognitive Kommissionierroboter, die bis zu 550 Picks pro Stunde leisten. Autonome mobile Roboter (AMR) übernehmen den Transport zwischen 63 Retourenarbeitsplätzen und dem Lager, die Leistung liegt bei 274 Behältern pro Stunde.
Mit jeder Bewegung entstehen Daten, die in Prognosen, Kapazitätssteuerung und Wartungsplanung einfließen und die Stabilität der Abläufe erhöhen. „Unsere Roboter denken mit, lernen dazu und schaffen gemeinsam mit den Mitarbeitenden eine hocheffiziente Arbeitsumgebung“, betont Fischer.
Nachhaltigkeit durch Bestandserhalt und energieeffiziente Systeme
Strauss sparte durch die Revitalisierung gegenüber der Neubau-Variante nach eigenen Angaben 2.800 Tonnen Stahl und 25.000 Kubikmeter Beton ein. Damit habe das Unternehmen rund 26.000 Tonnen CO2 eingespart. Eine Photovoltaik-Anlage liefert jährlich 1,2 Millionen Kilowattstunden Strom. Ergänzend sorgen Geothermie, neue Beleuchtungskonzepte und ein Energiemanagementsystem nach ISO 50001 für Effizienz und Transparenz der Verbräuche.
Ein Materialschwerpunkt ist die Verpackung: Eine Maschine näht Papiertüten direkt im Versandprozess, ein Paketreduzierer passt Kartonformate an und recycelt die abgeschnittene Kartonage. In Summe werden so rund 300 Lkw-Fahrten oder etwa 400 Wechselbrücken pro Jahr vermieden.
Mitarbeitenden eng eingebunden
Über die App „Bird“ erhielten die Mitarbeitenden regelmäßig Informationen zum Fortschritt, konnten Schichtpläne, Pausenzeiten und Arbeitsplatzgestaltung mitbestimmen und in Workshops Feedback geben. Die Umbauphase nutzte Strauss für Qualifizierungen: Beschäftigte arbeiteten vorübergehend am Standort Schlüchtern in automatisierten Prozessen, lernten Systeme und Abläufe kennen und kehrten mit erweitertem Know-how zurück.
Ergonomische Arbeitsplätze mit höhenverstellbaren Plattformen und klimatisierten Bereichen verbesserten die Bedingungen. Die Effizienzgewinne erlaubten es, die Wochenarbeitszeit in der Logistik von 40 auf 37,5 Stunden zu reduzieren – bei vollem Lohnausgleich. Das von der Jury beauftragte Auditing-Team nahm die Einbindung als vorbildlich wahr und versah sie mit dem Vermerk „umfassender als in der Bewerbung dargestellt“.
Investition mit klarer Perspektive
Die Investition belief sich auf 55 Millionen Euro und wurde aus Eigenmitteln finanziert. Im Ergebnis verdoppelte sich die Versandleistung, die Stückkosten sanken. Die Amortisationszeit gibt COO Fischer mit rund fünf Jahren an. Damit positioniert sich Strauss als Beispiel dafür, dass leistungsfähige Logistik auch im Hochlohnland wirtschaftlich tragfähig ist, wenn Prozesse, Technik und Gebäudestruktur konsequent zusammengeführt werden.
Eindrücke aus dem Audit: Stärken und offene Punkte
Das Auditing-Team der BVL bestätigte, dass das dargestellte Konzept umgesetzt ist: moderne Prozesse, hoher Automatisierungsgrad, KI- und Robotik-Anwendungen in Kombination mit der Einbindung der Mitarbeitenden. Besonders positiv fiel die Verankerung im Team auf; mehrere Beschäftigte stellten ihre Bereiche selbst vor.
Kritisch hielten die Auditoren dagegen fest, dass die konkreten Effekte einzelner KI-Komponenten nicht in allen Bereichen durch Kennzahlen unterlegt wurden, beispielsweise bei der Reduktion des Packvolumens. Als weiterer Punkt wurde genannt, dass der Umbau auch dadurch erleichtert worden sei, dass in der Region ein zweiter, größerer Standort existiere, auf den Prozesse temporär ausgelagert werden konnten. In Summe überzeugte Strauss die Jury mit dem integrierten Ansatz aus Brownfield, Technologie, Ökologie und sozialer Dimension.
Die lernende Steuerung
Ein lernendes Verfahren, der KI-gestützte „Nearest-Neighbor-Ansatz“, bewertet in Echtzeit, welches Distributionszentrum die Order am effizientesten bedienen kann – aus Durchlaufzeit, Kosten je Auftrag, Bestandslage und Lieferzeit. So sinkt die Zahl der Teillieferungen, Kapazitäten werden besser genutzt, Liefertermine sind stabiler.
Vor der Inbetriebnahme simulierte und emulierte das Projektteam Teilbereiche, um Engpässe frühzeitig zu erkennen. Für den Betrieb setzt Strauss auf ein Computerized Maintenance Management System (CMMS). Wartungsintervalle, Ersatzteilverfügbarkeiten und technische Ereignisse werden konsolidiert erfasst. Störungen lassen sich dadurch schneller auflösen, es gibt weniger Stillstandszeiten. Das technische Sicherheitsniveau wurde gleichzeitig angehoben, unter anderem durch aktuelle Betriebssysteme, Patch-Prozesse und moderne Zugangskonzepte.
Mit den Beschäftigten: Arbeitssicherheit und Ergonomie
Die Arbeitsplätze wurden zusammen mit Mitarbeitenden neu gestaltet. Höhenverstellbare Plattformen, optimierte Greifräume und eine verbesserte Beleuchtung reduzieren Belastungen. Die Klimatisierung sämtlicher Arbeitsbereiche stabilisiert die Prozessqualität in heißen und kalten Jahreszeiten. Automatisierung dient als Arbeitshilfe – Robotik übernimmt körperlich anspruchsvolle oder monotone Tätigkeiten, während die Mitarbeitenden in Steuerung, Qualitätssicherung und Problemlösung stärker eingebunden sind.
Letzte Meile und Energie: Autarkie als Zielgröße
Das Energiemanagementsystem minimiert und überwacht Verbräuche, eine PV-Anlage und Geothermie tragen zur Eigenversorgung bei. Neue Beleuchtungskonzepte, sensorische Steuerung und intelligente Abschaltlogik senken Spitzenlasten. Für Transporte setzt Strauss auf E-Lkw, aber auch auf weitere emissionsärmere Lösungen. Die Verpackungsoptimierung reduziert Leervolumen, die Tütenmaschine – die erste ihrer Art, die Papiertüten näht – ist direkt in den Versandprozess integriert.
Fazit: Belastbares Modell für Brownfield-Entwicklung
„Wir verstehen Logistik als strategisches Rückgrat und Bekenntnis zum Mittelstand“, sagt Matthias Fischer. Mit „Logistics Next Level“ hat Strauss gezeigt, wie sich bestehende Gebäude in leistungsfähige, ressourcenschonende Logistikinfrastrukturen überführen lassen. Die Verbindung von Bestandserhalt, vernetzter Automatisierung, KI-gestützter Steuerung und Beteiligung der Mitarbeitenden schafft messbare Effekte in Leistung, Qualität und Nachhaltigkeit. Das Projekt gilt damit als ein belastbares Modell für Unternehmen, die mit Blick auf knappe Flächen, steigende Anforderungen und hohen Kostendruck zukunftsfähige Logistik entwickeln wollen. (cs)


