Disposition im 4-Tage-Test

In der Logistik sind Disponentinnen und Disponenten oft die unscheinbaren Schlüsselfiguren: Sie planen Touren, besänftigen Kunden, vermitteln zwischen Fahrern, Auftraggebern und Fuhrpark – und stehen dabei fast immer unter Zeitdruck.
„Der Disponent ist derjenige, der alles abbekommt“, weiß Maximilian Baldus, zweiter Geschäftsführer der Spedition Helmut Baldus. Das familiengeführte Unternehmen mit Sitz im Westerwald beschäftigt rund 60 Mitarbeiter und hat sich mit rund 50 Fahrzeugen auf den Transport von Entsorgungsprodukten, Baustoffen sowie Agrarerzeugnissen und Düngemitteln spezialisiert.
„Bei uns gibt es zwei Welten. Die Fahrerwelt ist eine relativ heile Welt, aber in der Dispositionswelt sieht es ganz anders aus“, beschreibt Baldus die Situation. Eines der größten Probleme sei die hohe Fluktuation: „Wir hatten das Problem, dass die Kollegen, die bei uns die Ausbildung gemacht haben, danach gegangen sind. Ein Grund dafür ist der hohe Stresspegel: Der Kunde meckert, der Fahrer meckert und teilweise gibt es unlösbare Situationen, mit denen man umgehen muss.“
Als Disponent stehe man häufig zwischen den Stühlen – in einer Hektik, die es in anderen Jobs nicht gebe. „Hinzu kommt, dass die Logistik kein Geschäft ist, das für hohe Margen bekannt ist.“
Die Idee
Spätestens als sein Vater 2023 wegen eines Herzinfarkts für mehrere Monate ausfiel, war dem heute 33-jährigen Maximilian Baldus klar, dass der Stresspegel reduziert werden muss. Um der hohen Jobbelastung allgemein entgegenzuwirken, testet die Spedition seit dem Frühjahr die Viertagewoche in der vierköpfigen Disposition. Das Ziel: weniger Stress, weniger Krankheitstage und Überstunden, höhere Zufriedenheit – und langfristig mehr Umsatz, Stabilität und Wachstumsmöglichkeiten im Unternehmen.
Es wird in der Branche viel über die Missstände gejammert, bisher gibt es aber wenige Lösungsansätze.
Maximilian Baldus, zweiter Geschäftsführer der Spedition Helmut Baldus
„Es wird in der Branche viel über die Missstände gejammert, bisher gibt es aber wenige Lösungsansätze. Meine Idee war, diesen Zyklus zu durchbrechen und den Job attraktiver zu machen. So bin ich auf den Gedanken mit der Viertagewoche gekommen“, sagt Baldus, der die Spedition seit 2016 gemeinsam mit seinem Vater führt.
Konkret sieht die Idee folgendermaßen aus: Alle 14 Tage haben die Mitarbeiter 4 Tage Wochenende, indem sie jeweils wöchentlich abwechselnd den Freitag und den Montag freihaben. „Die stressigsten Tage sind bei uns Dienstag, Mittwoch und Donnerstag – da passiert erfahrungsgemäß am meisten, sodass wir das volle Team brauchen“, erklärt Baldus. In der Summe wird so die normale Wochenarbeitszeit von fünf auf vier Arbeitstage verteilt.
Die Umsetzung
Um das zu ermöglichen, hat die Spedition interne Abläufe zunächst digitalisiert – unter anderem mit selbstentwickelten Programmen wie einem Dispoplan mit Kommentarfunktion. „Außerdem haben wir neue Leute eingestellt, um frischen Wind in die Disposition zu bekommen“, erzählt Baldus. „Die größte Herausforderung sind Bereiche, die sich schwer digitalisieren lassen. Zum Beispiel Hintergrundwissen über langjährige Kunden oder bestimmte Erfahrungswerte so zu vermitteln, dass alle Kollegen auf dem gleichen Stand sind.“
So etwas wie einen „Chefdisponenten“ soll es mit der neuen Viertagestruktur nämlich nicht mehr geben. Die Idee: Flache Hierarchien und Kollegen, die alle auf dem gleichen Wissensstand sind. „Die Verantwortung hängt so nicht mehr von der Position ab, sondern von dem Tag, an dem man Dienst hat“, erklärt Baldus. Um das zu schaffen, brauche es jedoch digitale Systeme, die so transparent sind, dass immerzu nahtlos an die Arbeit vom Vortag angeknüpft werden kann. „Mit einem Auftragsbuch und vielen Ordnern funktioniert das nicht“, ist Baldus überzeugt.
In einer ersten Testphase wurde schließlich getestet, ob die Disponenten in verschiedenen Team- und Zuständigkeits-Konstellationen problemlos harmonieren: „Dann haben wir uns bewusst ein paar Tage rausgezogen, um zu schauen, wie es funktioniert, wenn bestimmte Kollegen mal nicht da sind“, berichtet Baldus. Die Idee mit der Viertagewoche habe er gegenüber der Belegschaft aber bewusst erst spät kommuniziert – um Enttäuschungen vorzubeugen, falls es doch nicht funktioniert.
Das Zwischenfazit
Die erste Bilanz zur Pilotphase sei jedoch für alle Beteiligten positiv ausgefallen. „Was die Performance angeht, haben die Kunden keinen Unterschied bemerkt. Sie merken aber natürlich, dass der Ansprechpartner häufiger wechselt und man vielleicht nicht immer seinen Lieblingsdisponenten am Telefon hat“, berichtet Baldus. Bis Ende des Jahres sollen zwei weitere Mitarbeiter die Dispo verstärken, um die neue Struktur spätestens im kommenden Jahr dauerhaft zu stützen – dafür hat der junge Chef mit dispo-job.de auch eine eigene Website ins Leben gerufen. Denn aktuell sei das Modell gerade in der Urlaubszeit oder bei krankheitsbedingten Ausfällen noch nicht voll belastbar. Auch die Testphasen mussten mehrfach unterbrochen werden. „Aktuell würde die Lösung nur in einer idealen Welt funktionieren, in der alle Kollegen da sind – dafür ist das Arbeitspensum zu hoch.“
Dennoch ist der junge Chef überzeugt: Die Option auf mehr Freizeit am Stück verändert die Perspektive. „Die Viertagewoche erweitert die beruflichen und privaten Möglichkeiten für Arbeitnehmer, aber auch das Bewerberpotenzial für Unternehmen.“
Gerade im ländlichen Raum mit langem Pendelweg könne das zum entscheidenden Faktor werden, um Standortnachteile auszugleichen: „Wenn ich einen langen Arbeitsweg habe, aber diesen durch die Viertagewoche in Kombination mit Homeoffice nicht mehr an fünf Tagen in der Woche zurücklegen muss, dann ist es vielleicht nicht mehr so eine Hürde, wenn ich von Köln oder Frankfurt aus hier in den Westerwald zu Arbeit fahre.“
Dennoch sei das neue Arbeitszeitmodell kein Selbstläufer, sondern benötige Fleiß und vollen Arbeitseinsatz. „In einem Unternehmen unserer Größenordnung brauchen wir Mitarbeiter, die täglich 100 Prozent geben und die gewisse Führungskompetenzen mitbringen“, fordert Baldus ein. „Sonst kann die Lösung mit der Viertagewoche nicht funktionieren.“