Zukunftsangst klassischer Speditionen ist unbegründet

Digitalisierung ist nicht allein großen Unternehmen und Start-ups vorbehalten – und ohne Erfahrung und individuelle Lösungen geht es in der Logistik nicht.


Digitalisierung ist nicht allein großen Unternehmen und Start-ups vorbehalten – und ohne Erfahrung und individuelle Lösungen geht es in der Logistik nicht.
 (Illustration: DVZ)

Industrie, Handel und Logistik benötigen Informationen zum Versandstatus, Daten zu Lagerbeständen oder ganz allgemein operative Leistungsindikatoren, mit denen sie Lieferketten kontinuierlich optimieren können. Verlader und Logistiker stehen im internationalen Wettbewerb unter einem erheblichen Kostendruck, der durch eine bessere unternehmensübergreifende Vernetzung von Prozessen, Fachkräften sowie Transport- und Lagerkapazitäten abgefedert werden kann. Dies schließt die Entwicklung und den Einsatz von Plattformen ebenso ein wie künstliche Intelligenz (KI) oder das Internet der Dinge (IoT), die in automatisierten Beschaffungsvorgängen, Robotik, autonomem Fahren und virtueller Realität münden können. Vielfältige Dienstleisterbeziehungen in den Bereichen Transport, Umschlag und Lagerung werden jedoch oft als Hürden für die digitale Transformation klassischer Speditionen betrachtet. Auch begründet die Akkumulation riesiger Datenmengen das (gefühlte) Risiko, Datenmonopole würden zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen.

Bedroht nun die Digitalisierung Speditionshäuser mit klassischer Kompetenz? Die elek- tronische Prozessunterstützung jedenfalls ist seit Jahren in der Logistik etabliert und wird konsequent weiterentwickelt. Als Bedrohungsszenario scheidet sie somit aus. Auch sind Digitalspeditionen nur dann erfolgreich, wenn sie ihr digitales Leistungsvermögen mit Marktkenntnis, Fach-Know-how und individuellen Kundenbeziehungen verknüpfen können – eindeutig Kompetenzfelder etablierter Speditionen.

Geld ist nicht alles

Investitionsbereitschaft und -fähigkeit aber spielen eine entscheidende Rolle beim digitalen Wandel. Eine Stärke von Start-ups war bislang die Fähigkeit, große finanzielle Mittel bei Risikokapitalgebern einzusammeln, um mit umfangreichen Finanzierungsrunden zur Marktreife zu gelangen. Die agile Unternehmenskultur der Start-ups ist attraktiv für junge Talente und lockt sie in die Logistik – ein Umstand, an dem viele etablierte Speditionen heute scheitern. Indem Daten zwischen den Prozessbeteiligten (Verlader, Spediteur, Frachtführer, Empfänger) aggregiert werden, können Logistikprozesse unter Laborbedingungen analysiert werden. Doch die Komplexität der Transportwelt und ihre Heterogenität und Volatilität, also die fehlende Standardisierbarkeit und Industrialisierbarkeit, haben Gründer digitaler Speditionen vielfach unterschätzt. Zudem zeigt sich, dass auch Auftraggeber logistischer Dienstleistungen häufig alles andere als digitalaffin sind.

Geschäftsmodell entscheidet

Grundsätzlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Digitalisierungsgrad. Entscheidender Parameter ist vielmehr das Geschäftsmodell. Fortschritte in der digitalen Umgestaltung ihrer Organisationen machen derzeit dennoch vor allem meist wirtschaftlich starke Konzernlogistiker und größere Speditionshäuser und -verbünde. Sie können mithilfe neuer Technologien ihre auf der Grundlage von Skalenerträgen erzielten Kostenvorteile ausbauen und zu Kosten-Nutzen-Führern in bestehenden Märkten werden. Ihre Wettbewerbsposition wird durch Digitalspeditionen kaum ernsthaft bedroht.

Mit reichem Erfahrungsschatz ausgestattete kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) haben ebenfalls gute Voraussetzungen, um neue Märkte durch neue Technologien zu erschließen. Zwar fehlen selbst bei ausgeprägter Innovationsbereitschaft bei KMU vielfach Ressourcen. Doch durch die Verwendung von Open-Source-Software lassen sich IT-Kosten minimieren. Das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) etwa initiiert mit Mitteln des BMVI eine sogenannte „Silicon Economy“. Diese Plattform für Logistikanwendungen soll gerade den KMU-Spediteuren Open-Source-Lösungen kostenfrei zur Verfügung stellen. Ziel ist die Standardisierung von Datenformaten bei gleichzeitiger Reduzierung des Entwicklungsaufwands. Über Schnittstellen entsteht ein Ökosystem, in dem Unternehmen Daten zwar auch künftig weiter dezentral sammeln, aber diese vermehrt tauschen, um kooperativ von den Einsparpotenzialen der Vernetzung zu profitieren. Der elektronische Frachtbrief etwa wird mittels einer solchen Open-Source-Anwendung mit bereits vorhandenen Transport-Management-Systemen (TMS) kombinierbar sein.

Plattformen sind gut – aber nicht immer möglich

Digitale Plattformen fördern die Markttransparenz und können zur Effizienzsteigerung logistischer Prozesse auf ausgewählten Teilmärkten der Logistik beitragen.

Den gesamten Logistikmarkt beherrschen werden sie hingegen nicht. Für den Erfolg von Plattformen sind neben einem hohen Sendungs- und Ladungsaufkommen einheitliche Datenformate, Standards und industrialisierte Abläufe grundlegende Voraussetzungen. Diese einseitig auf Logistikmärkten gegenüber der verladenden Wirtschaft aus Industrie und Handel durchzusetzen, wird auch schnell wachsenden und finanzstarken digitalen Speditionen nicht gelingen. Zu sehr ist der Markt geprägt von einer Vielzahl von Logistikdienstleistern, die ihren heterogenen Kundengruppen individuelle Lösungen anbieten. Für die Etablierung monopolartiger Strukturen ist der Transport- und Logistikmarkt zu fragmentiert.

Die Stärken etablierter Speditionen bleiben Erfahrungen im Supply Chain Management – also Flexibilität und Wissen, das Technologie alleine nicht abbilden kann und auf das auch Plattformbetreiber künftig angewiesen sein werden. Die Speditionswelt der Zukunft wird kein entweder oder, sondern eine Kombination beider Welten sein. Eta- blierte Speditionen und digitale Marktbegleiter können voneinander lernen. Obsolet sind Speditionen also in Zukunft nicht. Vielmehr können sie ihre Geschäftsmodelle durch Plattformlösungen um zusätzliche Serviceangebote erweitern.Digitalisierung spielt in der Logistik eine entscheidende und marktrelevante Rolle – sie wächst evolutionär und beinahe geräuschlos. Etablierte Speditionen entwickeln sich zunehmend von reinen Softwareanwendern für die Disposition und Tourenplanung hin zu Logistikdienstleistern mit weitgehend digitaler Abwicklung der meisten Geschäftstransaktionen. Demgegenüber werden rein digitale Speditionen und Plattformen ihre Stärken vor allem in standardisierten und automatisierten Transportprozessen, wie etwa in FCL-Märkten mit Ladungsverkehren, entfalten und hier Marktanteile gewinnen. Der Digitalisierungsgrad der Logistikbranche ist bereits hoch und wächst weiter. Marktfähig bleiben vor allem die Speditionshäuser, die Marktkenntnisse, Fach-Know-how und individuelle Kundennähe mit digitalem Leistungsvermögen verknüpfen können – also Hybride. (kl)

Raoul Wintjes leitet den Bereich internationaler Straßengüterverkehr/Digitalisierung im DSLV Bundesverband Spedition und Logistik in Berlin.

Hybride

Bringen unterscheidbare Linien gemeinsamen Nachwuchs hervor, spricht man in der Biologie von Hybriden. Sie können interessante Merkmale der Eltern vereinen und eine besondere Vitalität haben. Hybride treten besonders häufig dort auf, wo Arten zuvor isoliert waren, daher keine Fortpflanzungsbarrieren gegeneinander entwickelt haben und sich nun etwa die jeweiligen Verbreitungsgebiete vergrößern oder verlagern und zu einem Zusammentreffen der Arten führen. Sie können dazu beitragen, dass Arten in ihrer ursprünglichen Form verloren gehen. Das muss aber nicht zwangsläufig negativ sein. Hybride könnten entscheidende Vorteile in evolutionären Prozessen haben. In der Zucht – ob Nutztiere oder Pflanzen wie Mais – spielen Hybride schon lange eine Rolle.

Mehr Infos finden Sie hier.

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