Finale im Fahrerstreik: Spediteur akzeptiert Bedingungen

Mehr als einen Monat haben sie gestreikt, gekämpft, gehofft – und die Autobahnraststätte Gräfenhausen wurde weit über die Grenzen Hessens bekannt. Der Streik georgischer und usbekischer Lkw-Fahrer kommt nun zu einem Abschluss. Für die Männer ein Happy End?

Seit dem 18. März hatte sich eine zunehmende Zahl der Fahrer des polnischen Unternehmens mit ihren Fahrzeugen in Gräfenhausen dem Streik angeschlossen. (Foto: Edwin Atema)

Edwin Atema, der Unterhändler der seit mehr als fünf Wochen in Gräfenhausen streikenden Fernfahrer, hat gute Nachrichten für die Männer aus Georgien und Usbekistan, die seit Wochen auf der Autobahnraststätte für ausstehende Löhne streiken. Nun habe der polnische Speditionsunternehmer, für den sie fahren, die Bedingungen grundsätzlich akzeptiert. Letzte Einzelheiten sollen in den kommenden Stunden ausgearbeitet werden. Die Erleichterung ist groß: Einige Fahrer recken die Fäuste, aus einem Lautsprecher ertönt lebhafte Musik.

„Nur die Spitze des Eisbergs“

Mit dem Protest in Gräfenhausen bekamen die von prekären Arbeits- und Vertragsbedingungen betroffenen Fahrer plötzlich ein Gesicht. Denn ein Einzelfall sind sie nicht. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, betont Anna Weirich vom Beratungsnetzwerk Faire Mobilität, das die Fahrer wochenlang unterstützt hat, zusammen mit Gewerkschaftern.

Überhaupt, die Unterstützung: Der Streik der Fahrer löste eine Welle der Solidarität aus. Nicht nur Politiker und Gewerkschafter kamen, sondern auch Menschen aus der Umgebung, Fremde, die Nudelpackungen, Getränkekästen oder selbstgebackenen Kuchen vorbeibrachten. Andere Lastwagenfahrer, die vorbei an den streikenden Fahrern auf die Autobahn fuhren, reckten den Daumen, erhoben grüßend die Faust.

„Endlich schaut Deutschland hin“, sagte der rheinland-pfälzische Arbeits- und Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD), einer der vielen Politiker, die die Fahrer in den vergangenen Wochen besucht hatten. Und nicht nur in Deutschland war der Kampf der gut 60 Männer um ihren ausstehenden Lohn plötzlich Thema. Im Europaparlament in Straßburg gab es eine Debatte. Einhelliger Tenor: Es müsse mehr Kontrollen geben, um die Einhaltung der geltenden Vorschriften zu überwachen und durchzusetzen.

„Das ist einfach nur kriminell“

„Es ist völlig inakzeptabel, dass heute in Europa, in der Europäischen Union, Arbeiter nicht ihr Gehalt erhalten“, sagte etwa Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte. Gerade Arbeiter aus Drittländern seien von Ausbeutung bedroht, da sie die geltenden Regeln oft nicht kennen. „Es gibt Speditionen in der EU, die die Ausbeutung ihrer Fahrer zum Geschäftsmodell gemacht haben“, sagte die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke in Straßburg. „Was da passiert ist, ist nicht irgendeine Form von Marktwirtschaft, das ist einfach nur kriminell.“

Der polnische Speditionsunternehmer, in dessen Auftrag die Fahrer seit Monaten in Europa unterwegs sahen, sieht das naturgemäß anders. „Angesichts der schwierigen Marktsituation für Transportdienstleistungen im Januar und Februar dieses Jahres haben wir in Absprache mit den Fahrern und mit deren ausdrücklicher Zustimmung Sparmaßnahmen durchgeführt, um Unternehmen und Arbeitsplätze zu sichern“, schilderte der Anwalt des Unternehmens.

Dies sei unter anderem aufgrund des sinkenden Auftragsvolumens und der hohen Benzinpreise nötig. „Wir gingen davon aus, dass unsere Fahrer die Maßnahmen kannten und mit diesem Programm einverstanden waren, um die Unternehmen auf dem Markt für Transportdienstleistungen zu halten“, hieß es in der Stellungnahme des Unternehmens. „Zu unserer Überraschung war dies jedoch nicht der Fall.“

Der Unternehmer hatte auch Anzeige erstattet. Doch inzwischen ist er selbst Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen, seit er am Karfreitag mit einer polnischen Sicherheitsfirma auftauchte, um die Kontrolle über die Lastwagen wieder zu übernehmen. Die Polizei, die insgesamt 19 Menschen vorübergehend festnahm, sprach angesichts der schwarz gekleideten und teils maskierten Sicherheitsmännern von einer ziemlich paramilitärischen Gruppe.

DGB fordert Konsequenzen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte politisches Handeln: „Der Einsatz von paramilitärischen Schlägern durch den Arbeitgeber, um die Beschäftigten einzuschüchtern und um ihren Lohn zu prellen, muss Konsequenzen haben“, sagte DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell laut Mitteilung. Die Politik müsse nun endlich auf allen Ebenen dafür sorgen, dass kriminellen Arbeitgebern das Handwerk gelegt werde. Die polnische Unternehmensgruppe stehe „für die Fratze der Ausbeutung auf Europas Straßen. Dem Unternehmen gehört auf Dauer die Transportlizenz entzogen.“ Für die eingesetzten Sicherheitsmänner forderte Körzell ein Einreiseverbot in die Bundesrepublik. (dpa/fw/cs)

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