Gräfenhausen muss allen die Augen öffnen

Der Fahrerstreik am Rande der A5 zeigt es ganz deutlich: Es gibt im Straßengüterverkehr höchst zweifelhafte Geschäftsmodelle, die zulasten der Fahrer gehen. Ein Umdenken ist dringend erforderlich, findet der stellvertretende DVZ-Chefredakteur Lutz Lauenroth.

Die Arbeitsbedingungen vieler osteuropäischer Fahrer werden seit langem heftig kritisiert. Von Wanderarbeitern und moderner Sklaverei ist die Rede. Dabei geht es nicht nur um menschenunwürdige Verhältnisse auf Raststätten oder monatelange Abwesenheiten von zuhause, sondern darüber hinaus wird Fahrern aus osteuropäischen Ländern immer wieder der ohnehin nicht üppige Lohn ganz oder teilweise vorenthalten, hat die gewerkschaftsnahe Organisation Faire Mobilität schon im vergangenen Jahr geklagt.

Dahinter steckt oft ein komplexes System von undurchsichtigen Werkvertragskonstellationen, formal selbstständigen Fahrern und von in osteuropäischen Firmen angestellten Fahrern, die überwiegend und mindestlohnpflichtig in Westeuropa arbeiten. Wenn sie unterwegs sind, befinden sie sich in extremer wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihren Auftraggebern, so dass eine eigenständige Rückkehr in das Heimatland oft nicht möglich ist. Faire Mobilität spricht von „organisiertem Sozialdumping“.

Die Systeme bekommen Gesichter

Diese Systeme sind bekannt, doch vielfach wird weggeguckt. Seit dem 20. März hat diese Vorgehensweise Gesichter, die Gesichter der rund 60 Fahrer aus Usbekistan und Georgien. Sie haben ihre Lkw auf dem Rasthof Gräfenhausen-West an der A5 zwischen Frankfurt und Darmstadt abgestellt und wollen erst dann weiterfahren, wenn ihr polnischer Auftraggeber bisher vorenthaltenen Lohn gezahlt hat.

Die öffentliche Präsenz der Aktion muss auch dem letzten Auftraggeber von Transporten – ob Verlader, Speditionen oder sonstige Transportvermittler – die Augen öffnen. Preise von 50, 60 oder 80 Cent pro Kilometer für Komplettladungs-Lkw, wie sie in Frachtenbörsen für innerdeutsche und westeuropäische Transporte immer wieder gefordert (und akzeptiert) werden, können nicht auf legalem und menschenwürdigem Weg entstehen.

Das Argument der „Rückladungsfracht“ mag da nur in Einzelfällen gelten. Diese Preise können nur auf dem systematischen Ausnutzen von Grauzonen fußen, der Umgehung gesetzlicher Vorschriften und letztlich zulasten der meist machtlosen Fahrer. Und auf dem Vertrauen auf zu wenige Kontrollen und zu niedrige Sanktionen.

Folgen für die Branche und ihre Auftraggeber

Die Berichterstattung rund um die Situation an der A5 hat Folgen für die Logistikbranche und ihre Auftraggeber. So wird deutlich ausgesprochen, wer von diesem System profitiert. Diese Lkw sind direkt oder indirekt für bekannte Industrie- und Handelsunternehmen tätig; in den Frachtpapieren stehen nach Gewerkschaftsangaben außerdem sehr namhafte Speditionen, auch mit staatlicher Beteiligung, als Auftraggeber.

Es sind Unternehmen, die sich häufig Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben haben. Für sie ist es daher ein Super-GAU, in diesem Zusammenhang genannt zu werden. Es kratzt ihr Image mächtig an.

Gleichzeitig ist dieses System ein wesentlicher Grund für den akuten und sich verschärfenden Fahrermangel in Europa – wer will den Job unter diesen Wettbewerbsbedingungen denn noch machen?

Schließlich geraten große Verlader und Speditionen durch das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) unter Druck. Die Auftraggeber sind mitverantwortlich für das Tun ihrer Dienstleister in Sachen Menschenrechte. Mit den Bildern aus Gräfenhausen liegen quasi erste konkrete Beschwerden vor.

Aktion wird nachwirken

Selbst wenn in den kommenden Tagen die ausstehenden Löhne gezahlt und die Aktion beendet werden sollte – sie wird nachwirken. Die Politik ist weiter gefordert; sie muss nicht nur gesetzliche Regelungen wie das Mobilititätspaket oder das LkSG schaffen und permanent nachjustieren, sie muss vor allem die Einhaltung konsequent kontrollieren und schärfer sanktionieren. Derzeit ist das Risiko, erwischt zu werden, sehr gering.

Auftraggeber werden es sich künftig nicht mehr so leicht machen können, indem sie ihren Dienstleister einfach einen Verhaltenskodex unterschreiben lassen. Dieser ist bei einer teilweise mehrfachen Weitergabe von Transporten oft wertlos. Und es reicht nicht, wie es jetzt heißt, den Fall ernsthaft zu prüfen und sich von diesem Dienstleister zu trennen. Es muss zu einem Umdenken kommen in Richtung wirksames Risikomanagement und höhere Frachten. Denn Profite auf Kosten von Fahrern wie denen, die jetzt an der A5 zu sehen sind, sind schlechte Profite.

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