Digitalisierung: Die Branche ist aufgewacht

Analog, digital oder doch hybrid – wem gehört die Zukunft des Ladungsverkehrs? Über diese und weitere Fragen wurde beim diesjährigen DVZ-Forum in Köln angeregt diskutiert.

Ein engagiertes Streitgespräch über die digitalen Speditionen und deren Auswirkungen auf den Mittelstand führten Elvis-Chef Jochen Eschborn (links) und Sennder-Geschäftsführer Nicolaus Schefenacker (rechts), moderiert vom stellvertretenden DVZ-Chef­redakteur Lutz Lauenroth. (Foto: Daniel Koebe)

Dass die Digitalisierung mittlerweile auch in der Transportwirtschaft den Takt vorgibt, ist längst kein Geheimnis mehr. Digitale Speditionen wie Sennder setzen den klassischen Mittelstand nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Transportpreise und Kapazitätsengpässen zunehmend unter Druck. Und damit nicht genug: 2025 will Sennder mit einem Umsatz von 2 Milliarden Euro der größte FTL-Anbieter in Europa sein.

Doch bedeutet der Erfolg der digitalen Player auch, dass seit Jahrzehnten erfolgreiche Geschäftsmodelle durch neue, auf digitaler Technik fußende Ansätze abgelöst werden? Über diese und andere Fragen diskutierten die Teilnehmer des 7. DVZ-Forums zur „Zukunft des Ladungsverkehrs“ vergangene Woche in Köln.

Kritik am digitalen Ansatz

Die Sorge um die Zukunft des speditionellen Mittelstandes war Jochen Eschborn, CEO und Vorstand der Elvis AG, im Streitgespräch mit Nicolaus Schefenacker, Co-Founder der Digitalspedition Sennder, deutlich anzumerken. Der Erfolg der rein investitionsgetragenen Start-ups gehe zulasten der klassischen Speditionen, so die Kritik des Chefs des mittelständischen Speditionsverbunds.

Die Ansprüche der Kunden an digitale und nachhaltigere Transporte steigen immer weiter an – ebenso wie an möglichst günstige Transportpreise wie die von Sennder, die Eschborn zufolge einen falschen Markteindruck vermitteln: „Dem Verlader wird vorgespielt, dass der Preis, den Sennder anbietet, ein wirklich realer und auf Kosten basierender Marktpreis sei, der einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg für das Unternehmen sicherstellt“, kritisiert Eschborn, selbst mit der Spedition Maintrans International unternehmerisch tätig.

Denn auch wenn der digitale Ansatz des Jungunternehmens vielversprechend sei und „ein digitales Aufwachen“ im Mittelstand ausgelöst habe, so müsse am Ende des Tages dennoch ein kostendeckender Preis dahinterstehen. Alles andere sei ein „Spiel mit falschen Karten“, das mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun habe, wettert Eschborn. Das Konzept von Sennder sei eine „Mogelpackung“, die mit tatsächlich vorhandenen Kapazitäten nichts zu tun habe.

Der Erfolg der rein invesitionsgetragenen Start-ups geht zulasten der klassischen Speditionen. Jochen Eschborn, CEO und Vorstand der Elvis AG

Kapazitätsmangel ist überall spürbar

„Keiner der Investoren würde in uns investieren, wenn wir nicht beweisen könnten, dass wir unser Tagesgeschäft effizienter, schneller und profitabler hinbekommen, als es der Industriedurchschnitt kann“, kontert sein Kontrahent Schefenacker und weist die Vorwürfe zurück.

Auch das direkte Konkurrenzgefühl kann der erfolgreiche Jungunternehmer nicht nachvollziehen. „Der Vorwurf, dass wir die Preise kaputtmachen, ist nicht gerechtfertigt“, verteidigt er sich und betont, dass er die größten Wettbewerber von Sennder vor allem in den großen Transportunternehmen und Frachtführern wie DB Schenker oder Kühne + Nagel sieht.

Von dem Geschäftsmodell, das er zusammen mit David Nothacker und Julius Köhler entwickelt hat, zeigt sich Schefenacker trotz der Kritik unbeirrt überzeugt. Zudem habe auch Sennder mit den aktuellen Herausforderungen im Ladungsverkehr zu kämpfen: „Wir leiden genauso unter dem Kapazitätsmangel“, stellt Schefenacker klar und deutet an, dass auch Sennder durch die aktuelle Marktsituation bereits Aufträge ablehnen musste.

„Wir alle könnten wahrscheinlich 20 Prozent mehr Umsatz machen, wenn wir die Lkw dafür hätten“, resümiert der Jungunternehmer. Einen eigenen Fuhrpark oder die Expansion nach Asien oder in die USA schließt Schefenacker dennoch kategorisch aus. Der Fokus des mit über 1 Milliarde US-Dollar bewerteten Start-ups werde auch in Zukunft auf Komplettladungen in Europa liegen.

Wir alle könnten wahrscheinlich 20 Prozent mehr Umsatz machen, wenn wir die Lkw dafür hätten. Nicolaus Schefenacker, Co-Founder von Sennder

KI als nächster notwendiger Schritt

Die Frage, ob die Zukunft des Ladungsverkehrs nun den analogen oder den digitalen Speditionen gehört, beantwortet Andreas Karanas, Gründer des Unternehmens Loglign und Mitgründer von Cargonexx und Carrypicker, schließlich mit einem unterschwelligen „keinem von beiden“.

Die bloße Digitalisierung bereits bestehender Prozesse reiche nicht mehr aus, um unvorhergesehenen Ereignissen wie der Corona-Pandemie zu trotzen, so das Fazit des Experten. „Corona änderte für uns als digitale Spedition von einem Tag auf den anderen komplett die Spielregeln“, berichtet er. „Unsere Planungsalgorithmen waren plötzlich nicht mehr in der Lage, die Signale auf dem Markt richtig zu deuten.“

Der nächste Schritt müsse daher sein, die Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI) und damit von selbstlernenden und vorausdenkenden Systemen sowohl in die Prozesse der Digitalspeditionen als auch in die der klassischen Speditionen zu integrieren. Auf diese Weise könne auf aktuelle Herausforderungen wie steigende Energiekosten und den Klimawandel künftig angemessen und vorausschauend reagiert werden.

Corona änderte für uns als digitale Spedition von einem Tag auf den anderen komplett die Spielregeln. Andreas Karanas, Gründer von Loglign

Die Mitte ist der Weg

Thomas Kogler, Gründer und Geschäftsführer der Tiroler Neugründung Spedination, vertraut stattdessen auf den goldenen Mittelweg zwischen digitaler und analoger Spedition – getreu dem Motto „Nur so viel Digitalisierung wie nötig“, so dass der Mensch weiterhin im Mittelpunkt steht.

Digitale Speditionen seien ohnehin nicht so digital, wie sie behaupten, so die etwas überspitzt dargestellte These des 42-Jährigen: „Am Ende sitzen immer Nerds dahinter, die die Kuh vom Eis holen.“

Die Politik muss handeln

Am Ende des Tages können jedoch weder Digitalisierung noch KI alle Herausforderungen abwenden, mit denen die Branche aktuell zu kämpfen hat. Auch Unterstützung seitens der Politik sei daher dringend notwendig, fordert Wladimir Krieger, Mitglied der Geschäftsführung der Großspedition Hegelmann aus dem baden-württembergischen Bruchsal.

Zu den notwendigen Maßnahmen gehören für den erfahrenen Logistiker vor allem der erleichterte Zugang für ausländische Fahrer zum deutschen Markt, der Abbau bürokratischer Hemmnisse sowie die „sinnvolle Umsetzung des Mobilitätspaketes“. Insbesondere „praxisferne Regelungen“ wie das Verbot, trotz fehlender geeigneter Unterkünfte sowie ungeklärter Fragen zur Ladungssicherheit wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug zu verbringen, sind Krieger ein Dorn im Auge.

So unterschiedlich die Ansichten und Geschäftsmodelle aller Referenten des 7. DVZ-Forums auch waren, scheint sich am Ende doch eine gemeinsame Erkenntnis durchgesetzt zu haben: Ohne Digitalisierung ist auf Dauer keine Spedition mehr wettbewerbsfähig.

Wladimir Krieger, Mitglied der Hegelmann-Geschäftsführung, zeigte die Herausforderungen aus Sicht des Transportunternehmens auf. (Foto: Daniel Koebe)
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