Vorsicht vor ungeklärten Haftungsfragen

Spediteure können sich auch ohne vorherige Mahnung des Verladers in Verzug befinden. Ein Rechtsfall vor dem BGH zeigt, was Spediteure und Kunden zu beachten haben.

Wer im Schadensfall das Recht auf seiner Seite hat, ist nicht immer eindeutig. Abwarten kann beide Seiten viel Geld kosten. (Illustration: iStock, Carsten Lüdemann)

Standhaftigkeit und Klarheit sind im Geschäftsleben eigentlich gute Eigenschaften. Sie können unter Umständen aber schnell in die Haftung führen, wie folgender Rechtsfall zeigt.

Zwischen einem Spediteur und seinem Automobilkunden besteht ein Rahmenvertrag. Der Spediteur soll Automobilteile aus dem europäischen Ausland nach Bremen befördern und sie von dort auf dem Seeweg weiter nach Mexiko transportieren. Am 30. Juni 2017 teilt der Spediteur dem Kunden mit, dass die beiden Container wegen eines Maschinenschadens nicht mit dem geplanten Schiff transportiert werden können. Er schlägt eine Abfahrt in der darauffolgenden Woche vor, die letztlich ebenfalls nicht genutzt werden kann. Eine weitere Alternative ist dem Kunden zu spät. Er fordert den Spediteur auf, eine frühere Verschiffungsmöglichkeit zu prüfen oder dringend benötigte Automobilteile per Flugzeug zu transportieren, um einen Produktionsausfall zu vermeiden.

Der Spediteur weist darauf hin, dass dieser Schritt noch länger dauern würde als die von ihm vorgeschlagene alternative Abfahrtsmöglichkeit und lehnt es gegenüber dem Kunden ab, den Transport der in Mexiko akut benötigten Automobilteile anderweitig zu organisieren. Dieser beauftragt daraufhin eine dritte Partei mit dem Luftfrachttransport der Teile. Anschließend reicht er die zusätzlichen Kosten bei seinem Transportversicherer ein, der den Spediteur auf Schadensersatz beim Landgericht (LG) Hamburg verklagt.

Expertentipps

  1. Wenn ein Spediteur den Seetransport nicht wie vereinbart durchführen kann, sollte er sich fragen, ob es kostengünstiger wäre, den Luftfrachttransport selbst zu organisieren. Denn wenn der Kunde eine dritte Partei dafür beauftragt, fallen im Regelfall höhere Kosten an.
  2. Drohende Schadensfälle sollte der Spediteur mit seinem Verkehrshaftungsversicherer besprechen, bevor er die Organisation eines Luftfrachttransports ablehnt.
  3. Das HGB regelt keine spezielle Verspätungsschadenshaftung, wenn sie nach Seerecht zu beurteilen ist. Die Rechtsprechung zieht für die Beurteilung von Verspätungsschadensfällen folglich die einschlägigen Haftungsregelungen des BGB heran. Das bedeutet, dass die Haftung des Spediteurs unbegrenzt ist, sofern er mit dem Verlader keine abweichende Haftungsvereinbarung vor Schadenseintritt rechtswirksam fixiert hat.
  4. Der Spediteur sollte dem Verlader keine festen Transporttermine einräumen, denn das Risiko, dass ein eingeplantes Containerschiff nicht pünktlich in den Löschhafen einfährt, ist sehr hoch. Die Konnossementsbedingungen der Reedereien, die oft englisches Recht vorsehen, schließen eine Haftung für Verspätungsschäden in Gänze aus.
  5. Eine Mahnung, um den Vertragspartner erfolgreich in Verzug zu setzen, ist überflüssig, wenn sich der Spediteur „ernsthaft und abschließend“ weigert, die vereinbarte Transportleistung zu erbringen.

Sowohl das LG als auch das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg verurteilen den Spediteur, den Vermögensschaden in Höhe von 12.600 US-Dollar zu erstatten. Der Spediteur legt zwar Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein, doch dieser bestätigt das Urteil des OLG am 2. April 2023 im Ergebnis (AZ: 6 U 44/21).

Der BGH stellt jedoch klar, dass der Spediteur „bereits aus dem Gesichtspunkt des Verzugs“ gemäß Paragraf 280 Absatz 1 und 2, Paragraf 286 Absatz 1 und 2 Nummer 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hafte – anders als es das Oberlandesgericht beurteilt hatte. Fest stehe, so die BGH-Richter, dass der Spediteur seiner vertraglichen Pflicht, die beiden Container auf dem Seeweg nach Mexiko zu transportieren, nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Die Verzögerung sei auf der Seestrecke eingetreten. Folglich sei Spediteur verpflichtet gewesen, die Container bis zum vereinbarten Termin zu liefern. Sollte kein fester Liefertermin vereinbart worden sein, hätte er innerhalb der Frist liefern müssen, die einem sorgfältigen Carrier unter Einbeziehung der Umstände vernünftigerweise zuzugestehen sei.

Die rechtliche Auslegung des Logistikvertrages ergibt, dass dem Spediteur „eine wöchentliche“ Anlieferverpflichtung oblag, so der BGH. Der Verlader sei nicht verpflichtet gewesen, den Spediteur zu mahnen, um ihn gemäß Paragraf 286 Absatz 1 Satz 1 BGB in Verzug zu setzen. Im Absatz 2 der vorstehenden Regelung gibt es Ausnahmefälle, die eine Mahnung des Gläubigers überflüssig machen. Eine Ausnahme bestehe dann, wenn der Spediteur die vereinbarte Transportleistung „ernsthaft und endgültig“ ablehnt.

Toolbox Management & Recht

In der monatlichen Artikelserie erläutert die DVZ, mit welchen Aspekten sich Logistikunternehmen im rechtlichen Umfeld strukturiert beschäftigen sollten und welche Ressourcen es dafür braucht – angefangen beim Risikomanager über notwendige Versicherungen bis hin zu den ADSp und den Logistik-AGB. Die Beiträge dieser Serie finden Sie unter dvz.de/toolbox

Laut BGH hat der Spediteur bereits vor „Fälligkeit“ erklärt, dass er nicht rechtzeitig leisten werde. Es wäre eine „reine Förmelei“, wenn der Verlader trotzdem gezwungen gewesen wäre, den Verzugseintritt von einer Mahnung nach Fälligkeit der Leistung abhängig zu machen. Die entstandenen zusätzlichen Transportkosten seien notwendige Kosten im Sinne des Paragrafen 254 Absatz 2 Satz 1 BGB gewesen, um einen größeren Schaden abzuwenden. Ein noch höherer Verzögerungsschaden wäre nach Überzeugung des BGH eingetreten, wenn der Verlader keinen Luftfrachttransport in Auftrag gegeben hätte.

Darüber hinaus stellt der BGH klar, dass der „Verzögerungsschaden“ ein „Schadensersatzanspruch“ sei, der dem geschädigten Kunden nach Paragraf 280 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit Paragraf 286 BGB zusätzlich zum „Erfüllungsanspruch“ zustehe. Der geschädigte Kunde habe eine Schadensminderungs- und Schadensabwendungspflicht gegenüber dem Spediteur.

Diesen Pflichten steht das Recht des geschädigten Kunden gegenüber, die Kosten für seine Schadensminderungs- und Schadensabwendungsmaßnahmen vom Spediteur erstattet zu bekommen. (ab)

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