Mehr Zeit für geeignete Nachhaltigkeitsmaßnahmen

Große Aufgaben erfordern Durchhaltevermögen und belastbare Zusammenarbeit auch über Unternehmensgrenzen hinweg. Das gilt besonders für die Nachhaltigkeit, betonten die referierenden Expertinnen und Experten auf dem 5. Sustainability Day der DVZ. Gerade angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise mit besonders preissensitiver Entscheidungsfindung bei Logistikkunden dürften die Dienstleister ihre Bemühungen zur Reduktion von Treibhausgasen nicht verringern, meinte beispielsweise Pauline Schur, Teamleiterin Verkehrspolitik des Naturschutzbunds Deutschland (NABU), zu Beginn der Konferenz in Köln.
Mehr als 900 Milliarden Euro erwartete Folgekosten des Klimawandels bis 2050 sollten aus ihrer Sicht Grund genug sein, trotz der Aufschubs der Berichtspflichten zur Europäischen Nachhaltigkeitsrichtline CSRD an eigenen Maßnahmen festzuhalten. So werde der Verkehrssektor die aus dem Pariser Klimaschutzabkommen abgeleiteten Reduktionsziele für Treibhausgase bis 2030 nicht erfüllen. Hauptgrund dafür sei zwar der Individualverkehr, der Beitrag des Straßengüterverkehrs am Klimagasausstoß liege nach Studien des Umweltbundesamts aber immerhin bei 39 Prozent. „Die gleitende Langfristprognose des Bundesverkehrsministeriums sagt darüber hinaus bis 2050 eine Verdoppelung der Transporte auf der Straße voraus“, warnte Schur.
Profitabel nachhaltig wirtschaften
Für Patrick Quast, Logistikleiter für Deutschland, Österreich und die Schweiz beim Lebensmittelkonzern Danone, ist deshalb klar, dass auch die Industrie ihren Beitrag dazu leisten muss, profitabel nachhaltig zu wirtschaften. „Wir dürfen nicht mehr Nachhaltigkeit gegen Profitabilität stellen“, betonte er. In seinem Verantwortungsbereich nutze Danone deshalb eine Kombination diverser Maßnahmen, um klimaschädliche Auswirkungen der eigenen Logistik zu minimieren. Dazu zähle beispielsweise, die Fahrzeugauslastung bei Transporten weiter zu erhöhen, für kürzere Transportwege auch Direktanlieferungen ab Werk vorzunehmen und die Transportrouten IT-gestützt zu optimieren. Danone arbeite zudem gemeinsam mit seinen Dienstleistern an der Elektrifizierung der Straßentransporte und habe die Anzahl seiner multimodalen Sendungen seit 2021 auf 4.000 Sendungen vervierfacht.
Die Regularien der EU hält Quast für erforderlich, um die Auswirkungen eigener Maßnahmen zur Senkung klimaschädlicher Emissionen prüfen zu können. Der Lebensmittelkonzern habe sich beispielsweise das Ziel gesetzt, den eigenen Ausstoß bis 2035 zu verringern. Dennoch begrüßt er die mit dem ersten sogenannten Omnibus-Paket in Brüssel verabschiedete Verschiebung der Reportingpflichten für mittlere und kleinere Unternehmen. Diese Sichtweise teilt auch Jan-Frederik Konerding, Partner in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit Schwerpunkten beim Nachhaltigkeitsreporting der daran ausgerichteten Unternehmenssteuerung. „Die Geschwindigkeit der Regulatorik war zu hoch, viele Branchenstandards fehlten und entwickeln sich gerade erst, deshalb ist mehr Zeit für die Umsetzung total wichtig“, betonte Konerding.
Die Qualität der verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichte wäre in diesem Jahr absehbar schlecht gewesen, ist der Wirtschaftsprüfer überzeugt. Soziale Kriterien kämen nahezu überall bisher zu kurz, etwa die Betrachtung der Menschen in der Lieferkette. „Die Beschäftigung mit diesen Fragen ist ausgesprochen schmerzlich, weil vieles schlecht läuft und die European Sustainability Reporting Standards das auch noch transparent machen“, nannte Konerding als wesentliche Gründe und fragte rhetorisch: „Soll ich in meinen Bericht schreiben, dass ich die Menschenrechte mit Füßen trete?“ Frachtführer zeitlich hart heranzunehmen sei ein Renditefaktor und insofern mit ausschlaggebend dafür, dass die Unternehmen oft gar nichts für bessere Arbeitsbedingungen täten.
Der Wirtschaftsprüfer empfahl, insbesondere die CSRD nicht bloß als bürokratische Verpflichtung zu betrachten angesichts der Bestrebungen der EU, den Aufwand auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. Der Green Deal sei darüber hinaus ein Wirtschaftsförderungsprogramm, das frisches Kapital anziehen solle. „Nicht umsonst hat China rund 80 Prozent der vom European Sustainability Reporting Standard vorgegebenen Datenpunkte in eine eigene Regelung übernommen“, betonte der KPMG-Partner. Diese bildeten ein intelligent definiertes Steuerungskonzept, weshalb er mittelständischen Unternehmen empfehle, sich am freiwilligen abgespeckten VSME-Kriterienkatalog zu orientieren (Voluntary Small and Medium Enterprises). Unternehmen, die zur Berichterstattung verpflichtet sind, mahnte er dazu, die Regelung angesichts möglicher Sanktionen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: „Dänemark löscht Unternehmen, die ihre Unterlagen sechs Monate nach Fristablauf noch nicht eingereicht haben, aus dem Unternehmensregister.“
Motivation lässt in der Krise nach
Die Motivation seiner Kunden im Hinblick auf Nachhaltigkeit habe in der Krise nachgelassen, hat Christian Faggin beobachtet. Dabei sei sie nur über langfristiges Engagement zu erreichen, unterstreicht der Geschäftsführer der Spedition Alpensped. Sein Unternehmen hab sich deshalb das Ziel gesetzt, schon 2030 klimaneutral zu agieren. Der Dienstleister mit einem hohen Anteil im Osteuropageschäft kämpft dabei derzeit allerdings noch mit strukturellen Schwierigkeiten: „Im internationalen Fernverkehr ist die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs angesichts fehlender Ladeinfrastruktur noch sehr schwierig“, warf er ein.
Demzufolge müsse er Verkehre auf die Schiene verlagern und plane außerdem mit dem alternativen Pflanzenkraftstoff HVO100 als Zwischenlösung zur CO₂-Reduktion. Wer nachhaltigere Ressourcen nutze, müsse daraus in jedem Fall einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen können, wünschte er sich. „Unsere Kunden machen zwar regelmäßige Qualitätsaudits bei uns und ihren anderen Dienstleistern, aber nicht zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit“, bemängelte er und rief dazu auf, Transporteure zur Messung von CO₂-Emissionen zu zwingen.
Beim Automobillogistiker Schnellecke ist der leitende Nachhaltigkeitsmanager Philipp Unger dagegen froh darüber, dass sich seine Hauptkundenbranche schon seit einigen Jahren verstärkt mit Nachhaltigkeitsüberlegungen beschäftigt hat. Dennoch ist auch er froh, mit der Omnibus-Regelung mehr Zeit für die Umsetzung eines effizienten und klar strukturierten Nachhaltigkeitsreportings erhalten zu haben. „Inzwischen gibt es dafür erheblich bessere Digitalisierungsmöglichkeiten“, verdeutlichte er einen wesentlichen Vorteil. Dennoch würden derzeit noch zu viele Datenpunkte der CSRD unterschiedlich interpretiert. Unternehmen sollten sich deshalb in Verbänden organisieren und Branchenstandards entwickeln, empfahl er.
„Große Konzerne, die bereits das bisherige Non Financial Reporting erfüllen mussten, haben bei der Umsetzung der CSRD einen klaren Startvorteil“, hat er beobachtet. Für eine spürbare Wirksamkeit der Regelungen sollten sie aus seiner Sicht dennoch stärker mit der Unternehmensfinanzierung und den Vorgaben der Taxonomie-Verordnung integriert sein, nannte er sein Entwicklungsziel. Schnellecke habe sich deshalb dafür entschieden, bei sämtlichen Investitionsentscheidungen mit einem internen CO₂-Preis zu arbeiten, der die klimabezogenen Auswirkungen der Anschaffungen abbilde und der Entscheidungsfindung eine langfristig orientierte Perspektive hinzufüge.
21 Hersteller elektrischer Lkw
Wie komplex das Thema Nachhaltigkeit selbst für ausgemachte Themenexperten sein kann, demonstrierte Roel Castelein, Nachhaltigkeitsmanager und Marketingleiter der belgischen Ziegler Group. Bei einem interaktiven Quiz zu Fragen wie dem Anteil des Güterverkehrs an den weltweiten Transportemissionen (16,2 Prozent), des Straßengüterverkehrs an den Straßentransportemissionen (29,4 Prozent) oder der Anzahl Lkw-Hersteller, die weltweit Nutzfahrzeuge mit Elektroantrieb produzieren (21) konnte keiner der Teilnehmenden alle 15 Fragen richtig beantworten.
Finanzpolitische Charaden stärken die Schiene nicht.
Markus Krämer, Geschäftsführer HGK Logistics
Eine neue Stufe der Verankerung von Nachhaltigkeitsthemen in der Unternehmensführung hat Markus Krämer ausgemacht. Der Geschäftsführer der Kölner HGK Logistics and Intermodal berichtete, dass der Bereich inzwischen Einzug in die Zielvereinbarungen der Manager gehalten hat und diese nun die Aufgabe lösen müssten, Nachhaltigkeit in wirtschaftlichen Konzepten umzusetzen. Der Spartenchef von Europas größter Binnenreederei mit einer Flotte von 350 Schiffen und einem jährlichen Frachtvolumen von 44 Millionen Tonnen ist überzeugt, dass der Emissionsnachweis europäischer Großunternehmen die Logistik verändern wird. „Logistiker stehen in vielen Branchen für die Scope-3-Emissionen ihrer Kunden“, unterstrich er den engen Zusammenhang zwischen emissionsarmen Transporten und der Klimabilanz.
Scharfe Kritik übte Krämer an der Trassenpreiserhöhung infolge der Eigenkapitalerhöhung für die Bahntochter DB InfraGO, deren Verzinsung durch die Zusatzeinnahmen finanziert werden soll. „Finanzpolitische Charaden werden den Schienengüterverkehr nicht stärken“, nahm er den ehemaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ins Visier. Für seine Unternehmensgruppe sieht Krämer Klimaschutz als geschäftserhaltende Aufgabe an: „Die Klimaveränderungen stellen zunehmend eine unserer wichtigen Geschäftsgrundlagen infrage: die guten Pegelstände“, sorgte er sich um langanhaltende Trockenperioden.
Auch Contargo-Nachhaltigkeitsmanagerin Kristin Kahl, aktuelle Preisträgerin des DVZ Leo der Kategorie Managerin des Jahres, prognostizierte ein von Kleinwasser geprägtes Jahr für die Binnenschifffahrt. „In dieser Situation sind wir als trimodaler Logistikdienstleister besonders gefragt, ein hohes Maß an Flexibilität für unsere Kunden zu organisieren“, verdeutlichte sie die draus resultierende Aufgabe. Angesichts dauerhaft niedriger Wasserstände müssten immer mehr Binnenschiffe flachgängig werden, appellierte sie. Gleichzeitig wies Kahl darauf hin, dass vor allem kleinen Partikulieren in der Binnenschifffahrt angesichts ihrer hohen Investitionskosten keine finanziellen Spielräume für technologische Experimente bei der Dekarbonisierung der Schiffsantriebe zur Verfügung stünden. Sie erwarte, dass sich dafür mittelfristig eine heute noch nicht praktizierte Lösung durchsetzen werde. An Kunden der Transportdienstleister appellierte sie: „Der Anteil der Logistikkosten an den Produktkosten ist sehr gering, deshalb müssen Umwelt- und Sozialaufschläge für eine nachhaltige Logistik leistbar sein.“
Preistransparenz an Ladesäulen
Einen umfassenden Überblick der für den Straßengüterverkehr geltenden Gesetze und Regelungen zur Nachhaltigkeit bot Elisabeth le Claire, Projektleiterin für internationale Klimapolitik bei der Denkfabrik Agora Verkehrswende. Sie berichtete beispielsweise, dass an öffentlichen Ladesäulen Preistransparenz sowie eine Vereinheitlichung der Zahlungsprozesse zu erwarten sei. Sofern die Rückkehr zum Finanzierungskreislauf Straße erfolge, fließe zwar mehr Geld in die Sanierung von Strecken und Brücken, allerdings bestehe dann die Gefahr, dass Mittel für eine stärkere Verlagerung auf die Schiene fehlten.
Eine flächendeckende Bereitstellung von Stromtankstellen für Elektro-Lkw werde zum einen der deutsche Masterplan Ladeinfrastruktur ermöglichen; die Bereitstellung der dafür erforderlichen Stromanschlüsse an Parkplätzen und Rastanlagen erfolge seit 2024 bereits. Zum anderen fördere die EU sowohl den Ausbau eines Lkw-Schnellladenetzes als auch einer flächendeckenden Wasserstofftankstellenversorgung über die Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR) mit 570 Millionen Euro. Darin sei sowohl die Mindestanzahl der Lkw-Ladepunkte bereits ab 2025 sowie der Wasserstofftankstellen ab 2030 entlang der Verkehrsachsen des TEN-V-Netzes vorgeschrieben.
Auch die neue Bundesregierung wird wohl gute Fortschritte bei der Ladeinfrastrukturförderung erzielen.
Elisabeth le Clair, Agora Verkehrswende
Die Denkfabrik selbst arbeite gemeinsam mit Agora Energiewende an einer besseren Netzintegration der Lade- infrastruktur, setze sich für die Vereinfachung des Netzanschlusses ein und schlage anhand einer digitalen Netzkarte die Erhebung variabler Netzentgelte vor, um den Ausbau zu beschleunigen. „Auch die neue Bundesregierung wird wohl gute Fortschritte bei der Ladeinfrastrukturförderung erzielen“, ermutigte sie die Teilnehmer.









