Cyber-Disponenten im Einsatz

Das Automatisieren der Disposition mit Hilfe künstlicher Intelligenz kann sich lohnen. Der Getränkelogistiker TCT hat diesen Schritt gewagt. Ein Praxisbericht.

Die Lkw des Getränkelogistikers TCT werden mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz disponiert. (Foto: TCT)

Auf die Disponenten des Getränkelogistikers TCT kommt eine große Herausforderung zu. Einer der größten Auftraggeber des Unternehmens – ein weltweit bekannter Hersteller koffeinhaltiger Limonade – wird seinen Spediteuren ab Herbst 2024 nicht mehr die genaue Reihenfolge der Auslieferungen vorgeben. Hintergrund ist, dass die bisherigen Tourenpläne auf Wunsch der Transporteure häufig nachgebessert werden mussten, was auf beiden Seiten zu hohem Mehraufwand führt.

Statt fertig disponierter Touren erhalten die Dienstleister deshalb künftig nur noch die einzelnen Aufträge mit den zugehörigen Lieferrestriktionen. Im Fall von TCT sind das im ersten Schritt rund 200 Sendungen, die an sechs Standorten auf die vorhandenen Fahrzeuge verteilt werden müssen.

Automatisieren mit KI

Das zusätzliche Arbeitspensum ließe sich auf dem klassischen Weg nur dadurch bewältigen, dass das Personal in der Disposition um zwei bis drei Kollegen erweitert wird. Eine Alternative dazu ist die Automatisierung der Tourenplanung mit Hilfe künstlicher Intelligenz – eine Option, welche die Geschäftsführung von TCT aufgrund fehlender Fachkräfte und aus Kostengründen zog. Ausschlaggebend für diesen Schritt war, dass die bei TCT eingesetzte Speditionssoftware bereits eine KI-Komponente aufwies.

Allerdings musste dennoch ein erheblicher Entwicklungsaufwand betrieben werden, um diese Basiselemente an die neuen Aufgaben anzupassen. Bei KI-Lösungen geht es erst einmal darum, die jeweilige Situation und alle Rahmenbedingungen zu abstrahieren und dem IT-System begreiflich zu machen – und das gilt auch in der Logistik. Im Fall von TCT musste sich das System mit dem „Traveling Salesman Problem“ auseinandersetzen, wobei es notwendig war, detaillierte und vollständige Auftragsdaten zu erhalten.

Schnittstelle zum ERP-System

Im ersten Schritt musste eine Schnittstelle geschaffen werden, um die mit KI erstellten Touren an das ERP-System des Verladers zu übermitteln. Schließlich müssen die Daten an eine Fahrer-App übertragen werden, die bei allen beauftragten Spediteuren zum Einsatz kommt. Während der Tour überträgt die App den aktuellen Sendungsfortschritt, Positionsdaten und Ablieferbelege.

Nach dem Einrichten der Schnittstelle musste die KI mit den vorhandenen Lieferrestriktionen „gefüttert“ werden. Zum Beispiel muss sie berücksichtigen, dass kleinere Kioske in der Innenstadt nur mit einem Motorwagen ohne Anhänger beliefert werden können. Das heißt aber nicht, dass die jeweiligen Touren ganz ohne Anhänger geplant werden müssen. Schließlich können die Anhänger auch während der Tour abgekoppelt werden, wenn es die Situation verlangt. In diesem Fall muss die KI den Transport der Ware für den betreffenden Kiosk im Motorwagen sicherstellen.

Genügend Platz für Leergut

Eine weitere Herausforderung ist das Handling des bei den Empfängern übernommenen Leerguts und sonstiger Retouren. Schon bei der ersten Lieferadresse muss dafür noch genügend Platz auf der Ladefläche sein – auch wenn die Menge des Leerguts das aktuelle Liefervolumen überschreitet. Der Faktor Leergut hängt dabei stark vom Wetter ab. Nach einem sommerlichen Wochenende mit Grillpartys fallen mehr leere Flaschen an als im Winter. Auf jeden Fall muss die KI bei der Tourenplanung berücksichtigen, den Lkw nicht bis zum letzten Stellplatz auszulasten.

Auch das Zusammenfassen kleinerer Kunden mit Bedarf an einzelnen oder wenigen Getränkekisten muss die KI beherrschen. Dabei werden die Kästen auf einem gemeinsamen Stellplatz zu einer Mischpalette gestapelt, die der Fahrer jederzeit während der Tour erreichen kann.

Sonderfall Haustrunk

Eine weitere Besonderheit in der Getränkeindustrie ist der sogenannte Haustrunk. Dabei handelt es sich um ein den Mitarbeitenden zustehendes Kontingent an Freigetränken, das ebenfalls in der Logistik berücksichtigt werden muss. TCT liefert die entsprechenden Mengen an ein Regionallager, wo sie von den Mitarbeitern abgeholt werden.

Noch schwieriger für die KI ist das Beachten weicher Faktoren: Schließlich sollten trotz aller Bemühungen um eine maximale Auslastung jedes Fahrzeugs die tatsächlich vorhandenen Kapazitäten gleichmäßig genutzt werden. Wenn fünf eigene Gliederzüge mit bezahlten Fahrern bereitstehen, bringt der kurzfristige Verzicht auf einen Teil der Flotte wenig. TCT zieht es vor, den eigenen Fuhrpark auch bei etwas geringerer Auslastung zu beschäftigen. Ein durch extrem effiziente Tourenplanung eingesparter Lkw würde mittelfristig zu einer Überlastung der übrigen Fahrzeuge führen. Auch dieser Gedanke muss einer KI „erklärt“ werden.

Viele iterative Schritte

Das Beispiel TCT zeigt, dass künstliche Intelligenz in der Logistik trotz vorhandener Basislösung mit hohem Entwicklungsaufwand verbunden ist. Es ist ein steiniger Weg. Jedes Projekt ist individuell und muss auf die jeweiligen Rahmenbedingungen zugeschnitten werden. Das Annähern an eine praxisgerechte Lösung für brauchbare und effiziente Touren läuft dabei immer in vielen iterativen Schritten ab.

Jeder Programmierschritt muss mit realen Auftragsdaten getestet und mit den Ergebnissen von Disponenten verglichen werden. Erst wenn die künstliche Intelligenz gleichartige oder bessere Ergebnisse als die menschliche Intelligenz liefert, kann der nächste Entwicklungsschritt in Angriff genommen werden. Diese Arbeitsweise erfordert viel Geduld, Liebe zum Detail und einen hohen Abstimmungsaufwand mit Disponenten, die möglichst offen für die neue Lösung sein sollten.

Die Offenheit der Disponenten war bei TCT gegeben. Schließlich ging es hier um das Automatisieren zusätzlicher Tourenpläne, die das bisherige Tagesgeschäft kaum berühren. Jetzt können sich die Mitarbeiter auf Ausnahmefälle konzentrieren, in denen die KI überfordert ist – wenn zum Beispiel ein Lkw kurzfristig ausfällt. Das Kontrollieren und Freigeben der von KI erstellten Touren wird darüber hinaus auch in Zukunft zur täglichen Routine gehören. (ben)

Der Autor: Ralf Ostholt ist Entwicklungsleiter der Cargo Support GmbH

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben