Brennstoffzellenfahrzeuge sind so praxistauglich wie Diesel

Keine zwölf Monate hat es gedauert, bis aus einem Prototyp in den Köpfen seiner Anwender der Lkw der Zukunft wurde. Seit Juli 2024 testet die Geislinger Spedition Wiedmann & Winz als einer von fünf Erprobungspartnern der Daimler Truck AG den GenH2-Truck des schwäbischen Lkw-Herstellers. Als erstes in Europa eingesetztes Brennstoffzellennutzfahrzeug, das als Energieträger auf flüssigen Wasserstoff setzt, verfügt der Prototyp über ein Alleinstellungsmerkmal, das beim stolzen Fahrzeugbetreiber ein wenig Pathos aufkommen lässt.
„Wir stehen mit der Antriebswende vor der größten Transformation seit dem Umstieg vom Pferdefuhrwerk auf die ersten Lkw“, ordnet Micha Lege, geschäftsführender Gesellschafter von Wiedmann & Winz, die Rahmenbedingungen des Fahrzeugtests ein. Für den Spediteur und Vizepräsidenten des DSLV Bundesverbands Spedition und Logistik ist klar, dass sein Unternehmen an einem Versuch historischen Ausmaßes teilhaben darf.
„Ich habe mich schon 2016 für eines der ersten H2-Testfahrzeuge beworben“, erinnert sich der Chef des Familienunternehmens in vierter Generation. Der findige Unternehmer ist in seiner Heimatregion so gut vernetzt, dass er frühzeitig von den Plänen zur Einführung des innovativen Antriebs erfuhr, gehört er doch zu den Dienstleistungspartnern des Lkw-Herstellers und seiner Zulieferer.
Für die Chance, die Technologie als einer der Pioniere kennenzulernen, hat er zudem die Grundlagen schwäbischer Haushaltsführung auf Eis gelegt – zumindest für sein Versuchsträgerfahrzeug. Denn der Betrieb des GenH2-Trucks ist für ihn im Prototypenstadium erheblich teurer als der eines Dieselfahrzeugs, lässt er im Gespräch mit der DVZ durchblicken, ohne Zahlen zu nennen. „Die Nutzung des Lkw, der Eigentum von Daimler Truck ist, wird nach dem Pay-per-Use-Modell abgerechnet“, erklärt Lege. Einen Teil der Mehrkosten übernimmt dabei sein Kunde DP World, der das Brennstoffzellenmodell an seinem Standort in Germersheim selbst disponiert und so ebenfalls Erkenntnisse aus erster Hand erfährt.
Nachhaltigste Flotte angestrebt
Für den in Dubai beheimateten Terminalbetreiber sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit wesentliche Elemente der eigenen Zukunftsstrategie. „Als globaler Logistikdienstleister verfolgen wir das Ziel, über die gesamte Lieferkette hinweg die sauberste, nachhaltigste Flotte zu betreiben“, betont Jens Langer, Geschäftsführer der gesamtdeutschen Organisation von DP World. Deshalb habe sich das Unternehmen unbedingt an dem Test beteiligen wollen. „Auch unsere Flottenabteilung beobachtet die Ergebnisse aufmerksam“, verrät Langer.
Den Wasserstoff-Lkw können wir wie einen Diesel disponieren. Jens Langer, Geschäftsführer DP World Deutschland
Aus praktischer Sicht kann er von beeindruckenden Erfahrungen berichten. „Den Wasserstoff-Lkw können wir genau wie einen Diesel disponieren“, hebt er hervor und nimmt sein Testfazit damit vorweg. Das Fahrzeug verfüge über eine Reichweite von rund 800 Kilometern, lasse sich in etwa derselben Zeit betanken wie ein Verbrenner und sei auch schon genauso zuverlässig, fasst er die wesentlichen Erkenntnisse zusammen.
„Der Lkw ist außerdem leise und verfügt über erhebliche Beschleunigungsreserven“, berichtet Spediteur Lege, der auch selbst auf Testfahrt gegangen ist. „Das Einfädeln in die Autobahn war völlig problemlos: Als sich von hinten ein Lkw näherte, musste ich nur das Gaspedal durchdrücken – der kräftige Durchzug war beeindruckend“, erinnert er sich und klingt dabei fast so, als seien Diesel-Lkw in seiner Wahrnehmung zu Oldtimern geworden. Für seine Fahrer sei der Einsatz stressfrei und sie erlebten es als enorme Wertschätzung, einen Prototypen pilotieren zu dürfen.
Der Lkw begeistert ihn. „Wir verfügen jetzt über die Technologie, mit der wir die Klimaziele im Straßengüterverkehr erreichen können“, freut er sich. Dann erwacht aber der schwäbische Unternehmer wieder in ihm. „Das bedeutet nicht, dass wir auf Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen verzichten können“, betont er. Es gebe noch zu viele offene Fragen, von der Beschaffung angefangen über die Tankstelleninfrastruktur bis hin zum Preis für grünen Wasserstoff. Alle diese Faktoren seien kurzfristig nicht in die Wirtschaftlichkeitszone zu bringen.
Das räumt auch Michael Scheib ein, der das weltweite Produktmanagement von Mercedes-Benz Trucks leitet. „Der Lkw, den Wiedmann & Winz einsetzt, ist einer von fünf Prototypen der ersten Generation. Ab Ende 2026 wollen wir 100 Prototypen der nächsten Generation auf die Straße bringen – mit der Serienfertigung können wir aufgrund des langsamen Infrastrukturausbaus nicht vor dem Ende des Jahrzehnts beginnen“, erklärt er. Dennoch ist er von der technologischen Reife des Konzepts überzeugt: „Der Brennstoffzellen-Lkw verfügt grundsätzlich über die gleichen praktischen Eigenschaften wie ein Diesel und ist dabei lokal emissionsfrei, zieht nichts als eine Wolke aus reinem Wasserdampf hinter sich her.“
Zudem sei es aus seiner Sicht erheblich leichter, eine Tankstelleninfrastruktur aufzubauen, als flächendeckende Ladeinfrastruktur für E-Lkw zu entwickeln. Selbst grüner Wasserstoff werde über Lieferantenpartnerschaften mit Ländern wie Saudi-Arabien einfacher zu bekommen sein, als die Stromnetze für die Durchleitung von Grünstrom nach ganz Deutschland auszubauen. „Von den technischen Voraussetzungen her spricht nichts dagegen, dass Mitte der 30er Jahre fast jeder neue Lkw im Fernverkehr mit Brennstoffzelle fährt“, schwärmt er. Ob es wirklich so komme, hänge in erster Linie von der Politik und regulatorischen Umsetzungen ab.
Wirtschaftlicher Druck
„Unser Unternehmen arbeitet im Landverkehr mit einer Gewinnmarge von 1 bis 3 Prozent und steht unter hohem Wettbewerbsdruck“, schildert Lege das Dilemma. Deshalb komme es darauf an, möglichst rasch Rahmenbedingungen zu schaffen, die Fahrzeuge mit alternativen Antrieben bei den Gesamtkosten mindestens ebenbürtig mit dem Diesel machten. „Es ist klar, dass der Diesel 2030 mit dem vollständig marktbasierten Emissionshandel erheblich teurer wird“, unterstreicht er, „aber wir wissen noch nicht, in welchem Maße.“
Wir entwickeln zweigleisig, Elektro-Lkw und H2-Fahrzeuge. Michael Scheib, Leiter Produktmanagement Mercedes-Benz Trucks
Auch Produktmanagementchef Scheib kann die Frage nicht beantworten, steht angesichts der CO2-Flottengrenzwerte für Fahrzeughersteller aber genauso unter wirtschaftlichem Druck, die passende Lösung zu finden. „Daher entwickeln wir zweigleisig, batterieelektrische Lkw genauso wie Brennstoffzellenfahrzeuge“, berichtet er. Angesichts der gleichen Antriebstechnologie gebe es immerhin erhebliche Synergien, da sich lediglich die Energieversorgung unterscheide. „Die Wartungskosten liegen heute schon auf einem ähnlichen Niveau wie bei batterieelektrischen Fahrzeugen, und wir gehen davon aus, dass über Skaleneffekte der Verkaufspreis künftig ebenfalls eine ähnliche Größenordnung erreichen wird“, erwartet Scheib.
Daimler Truck arbeite wie alle Lkw-Hersteller mit vollem Einsatz an einer wirtschaftlichen Wertschöpfungskette auch für die Brennstoffzellenfahrzeuge bis hin zu Partnerschaften für die Produktion von flüssigwasserstofftauglichen Tankschiffen. „Nachhaltigkeit kommt nicht zum Nulltarif“, gibt er zu bedenken. Das müsse auch von der Politik zugegeben werden. Dem stimmt DP-World-Manager Langer zu. Er glaubt dennoch an die Wasserstofftechnologie und weiß aus eigener Erfahrung: „Schon den Terminalbetrieb mit 100 Prozent Ökostrom zu organisieren, ist eine Herkulesaufgabe, die wir erst zu zwei Dritteln abgeschlossen haben – von E-Lkw ganz zu schweigen.“