Wieder Streik in Gräfenhausen: Altes Problem, zügige Lösung?

Ausstehende Löhne, miese Arbeitsbedingungen: Wie schon vor drei Monaten streiken osteuropäische Fernfahrer auf der südhessischen Raststätte Gräfenhausen. Der Ort ist nicht zufällig gewählt – für viele russischsprachige Fahrer ist Gräfenhausen ein Symbol geworden.

Wie schon vor drei Monaten streiken osteuropäische Fernfahrer auf der südhessischen Raststätte Gräfenhausen. (Foto: dpa/Boris Roessler)

Lastwagen mit blauen Planen und dem Logo einer polnischen Spedition stehen nebeneinander auf der südhessischen Autobahnraststätte Gräfenhausen. Bärtige Trucker ruhen in Klappstühlen aus, stehen rauchend in Kleingruppen, arbeiten auf der Ladefläche eines zur Freiluftküche umfunktionierten Trucks. Es ist keine Wochenendpause, sondern ein Streik, ähnlich wie der im April, bei dem rund 60 georgische und usbekische Lastwagenfahrer um ausstehende Zahlungen kämpften und nach wochenlangem Arbeitskampf erfolgreich waren. Auch die polnische Speditionsfirma, mit der die Fahrer den Konflikt austragen, ist die gleiche wie vor rund drei Monaten.

Edwin Atema von der europäischen Transportarbeitergewerkschaft war schon damals dabei und auch jetzt spricht der blonde Niederländer für die streikenden Fahrer aus Georgien mit dem Management in Polen. Diese verhandelten diesmal allerdings vor allem individuell mit der Firma, so Anna Weirich vom Beratungsnetzwerk Faire Mobilität.

Die Beschwerden ähneln denen im April. „Zwei Monate lang habe ich kein Geld bekommen“, beschwert sich der weißhaarige Zurab, der auf einem Gaskocher für die Gruppe gekocht hat und auch Gewerkschafter und Journalisten einlädt, das Mahl der Trucker zu teilen. „Die ganze Zeit habe ich gearbeitet, auf die Bezahlung muss ich warten.“

„Gräfenhausen ist bei uns gut bekannt“

Im Fall seines Landsmanns Alexander waren es sogar 79 Tage. „Sie sagten, sie haben sich geändert, aber sie machen genauso weiter wie vorher“, sagt der dunkelhaarige Mann in dem orangen T-Shirt wütend. „Es gibt keine Erklärung, warum sie nicht zahlen.“ Für ihn steht fest: Hat er sein Geld, dann war es das. Er will nicht länger für das polnische Unternehmen arbeiten.

Alexander hat Freunde unter den Fahrern, die im April wochenlang in Gräfenhausen campierten. Als er mit den ersten Kollegen beschloss, mit einem Streik die Lohnforderungen durchzusetzen, mussten sie nicht lange überlegen, wo die Aktion starten sollte: „Gräfenhausen ist bei uns gut bekannt“, sagt er lächelnd. „Hier haben die Kollegen ihren Sieg errungen.“

Viel Aufmerksamkeit

Der Streik im April, er war eine Art Lehrstunde in praktischer Solidarität – der Trucker, aber auch vieler Menschen, die ihren Kampf unterstützten. Gewerkschafter kamen mit Gulaschkanone, Kirchenvertreter sammelten Spenden, Privatleute kamen vorbei mit Getränkepaletten, selbstgebackenem Kuchen und Lebensmitteln.

Der Streik brachte Aufmerksamkeit für die Bedingungen, unter denen die Fahrer arbeiteten, die nicht nur auf ihre Bezahlung warteten, sondern auch in Deutschland fuhren, ohne den Mindestlohn zu erhalten, die monatelang in ihren Kabinen hausten, ihre Familien ebenso lange nicht gesehen hatten. Die Arbeitsbedingungen, die die Streikenden bei der polnischen Spedition hatten, seien kein Einzelfall, betonten die Mitglieder des Beratungsnetzwerks Faire Mobilität.

Dass der Unternehmer am Karfreitag mit einer privaten Sicherheitstruppe nach Gräfenhausen kam und versuchte, die Kontrolle über seine Lastwagen wieder zu erhalten, bescherte den Streikenden im April zusätzliche Aufmerksamkeit. Die Erkenntnis, dass derartige Methoden nicht gerade zielführend sind und obendrein staatsanwaltliche Ermittlungen nach sich zogen, könnte bei dem polnischen Spediteur zu einem Umdenken geführt haben: Die ersten Fahrer hatten bereits am Mittwoch ihr Geld erhalten und die Fahrzeuge wieder zurück zum weiteren Transport übergeben.

„Das ist jetzt ein symbolischer Ort für die Fahrer – ein bisschen auch ein Mythos.“ Edwin Atema von der europäischen Transportarbeitergewerkschaft

„Die Firma sagt, sie habe aus der Vergangenheit gelernt“, sagt Atema zu der schnellen Bezahlung von Summen von jeweils 8.000 bis 11.000 Euro. Das Unternehmen, dessen Methoden bei Endkunden Empörung hervorgerufen hatten, sei um Schadensbegrenzung bemüht. Dazu gehört auch, dass seit Mittwochvormittag ein Kleinbus mit einem Firmenmitarbeiter an der Raststätte steht, der nach individuellen Einigungen Fahrzeugschlüssel und Papiere entgegennimmt und für Ersatzfahrer sorgt. Der Transport soll zügig weitergehen.

„Was das letzte Mal drei Wochen gedauert hat, konnte jetzt in drei Stunden geregelt werden“, sagt Atema, der am Montag den ersten Anruf erhalten hatte mit der Ankündigung: Wir fahren nach Gräfenhausen. Der Gewerkschafter, der selbst jahrelang hinter dem Steuer eines Lastwagens saß, ist auf vielen europäischen Rastplätzen unterwegs, um Fahrer zu beraten und mit ihnen ins Gespräch zu kommen über ihre Probleme. „Jeder zweite russischsprachige Fahrer kennt jetzt Gräfenhausen“, erzählt Atema. „Das ist jetzt ein symbolischer Ort für die Fahrer – ein bisschen auch ein Mythos.“

„Der Geiz der Auftraggeber ist die Armut der Lkw-Fahrer.“ Michael Rudolph, Bezirksvorsitzender, DGB Hessen-Thüringen

Die erneuten Streiks in Gräfenhausen ist für den DGB Hessen-Thüringen ein Beleg dafür, dass die Kontrollen unzureichend bleiben. „Nur mit wirksamen Kontrollen in der Branche wird es die notwendigen Veränderungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen geben“, betonte eine Sprecherin am Donnerstag. Die Gewerkschaft fordere verstärkte und schärfere Kontrollen sowie den konsequenten Ausschluss aus dem Markt bei Verstößen.

Es sei ein Skandal, dass die Unternehmen des Spediteurs „trotz massiver Gesetzesbrüche und mafiösen Verhaltens immer noch im Gütertransport tätig sein dürfen“, hieß es in einer Stellungnahme.

Doch auch die Auftraggeber seien gefordert, Verantwortung zu übernehmen und bei der Vergabe von Aufträgen darauf zu achten, dass die Dienstleister ihre Beschäftigten nicht zu Dumpinglöhnen arbeiten lassen. „Der Geiz der Auftraggeber ist die Armut der Lkw-Fahrer“, sagte der Bezirksvorsitzende Michael Rudolph. „Auch in der Logistikbranche muss gute Arbeit als Maßstab gelten.“

„Wir finden es skandalös, dass sie nach einem Vierteljahr erneut streiken müssen, um auf ausstehende Gehaltszahlungen hinzuweisen“, sagte Christiane Böhm, Landesvorsitzende der hessischen Linken, zu dem neuen Streik. „Das derzeitige Kontrollsystem ist völlig unzureichend und muss dringend zielgerichteter und umfassender gestaltet werden.“ (dpa/cs)

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