Hamburg: „Die Stadt könnte gewinnen, wenn sie etwas vom Umschlag abgäbe“

Der Ökonom Prof. Henning Vöpel fordert mehr Mut von der Politik zur Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandorts. Statt in den Containerumschlag sollte Hamburg in technische Innovationen und Spitzenforschung investieren.

Zusammen mit der Zeit-Stiftung hat Vöpel vor zwei Jahren den Hamburg Konvent initiiert und dabei Ideen für die Zukunft der Stadt formuliert.(Foto: Bob Heinemann)

DVZ: Herr Prof. Vöpel, wie geht es dem Wirtschaftsstandort Hamburg aktuell?

Prof. Henning Vöpel: Noch ganz gut. Aber der aktuelle Zustand täuscht über die strukturellen Heraus­forderungen hinweg. Ich wähne die Stadt und den gesamten norddeutschen Wirtschaftsraum in einer großen Umbruchphase, die substanzielle Risiken für die wirtschaftliche Zukunft der Stadt und ihren Wohlstand beinhaltet. Man könnte fast von einer gefährlichen Ruhe vor dem Sturm sprechen, die man nutzen sollte, um jetzt umzusteuern. 

Lassen Sie uns zunächst über die Risiken sprechen. Welche sind das konkret?

Erstens: Die neuen Technologien machen Prozesse in der Logistikkette viel einfacher und können dadurch Geschäftsmodelle – gerade im Bereich der maritimen Wirtschaft – überflüssig machen und so Wertschöpfung abziehen. Zweitens ist die Energiewende ein weiteres großes Thema. Dabei ist die Ansiedlung klimaneutraler Industrie und die Versorgung mit erneuerbaren Energien gleichzeitig eine große Chance. Und drittens ist da natürlich die Veränderung der Geopolitik, die der Hafen mit Blick auf China und Russland ja auch schon deutlich spürt.

Hat Hamburg sich zu sehr von einzelnen Handelspartnern abhängig gemacht?

Das kann man als Hafen natürlich nicht immer steuern, sondern ist auf die Warenströme angewiesen, die kommen. Wenn man sich die Umschlagentwicklung aber anschaut, sieht man, dass das Wachstum des Hafens ab dem Jahr 2000 fast ausschließlich aus dem Warenverkehr mit China resultiert. Diese Entwicklung hat man einfach fortgeschrieben, so dass man damals mit 25 Millionen TEU Umschlag bis 2025 rechnete. Wenn man ein bisschen was von Wachstumsprozessen versteht, weiß man, dass man solche Entwicklungen vielleicht 5 Jahre fortschreiben kann, aber nicht 15 bis 20 Jahre. 

Quelle: Hafen Hamburg Marketing / Prognose: Studie von CPL/Ramboll/ETR, 2020 / Grafik: DVZ

Quelle: Hafen Hamburg Marketing / Prognose: Studie von CPL/Ramboll/ETR, 2020 / Grafik: DVZ

Welche Länder werden künftig als Handelspartner für den Hafen relevanter?

Die Globalisierung verändert sich gerade sehr stark. Die Länder des sogenannten globalen Südens werden wichtiger, weil sie nicht nur wirtschaftlich eine hohe Dynamik versprechen, sondern auch geopolitisch bedeutsamer werden. Ansonsten – und das hat Peter Tschentscher mit seiner Delegationsreise schon gezeigt – wird Lateinamerika wichtiger, weil dort viel Potenzial für den Import erneuerbarer Energien vorhanden ist. Insgesamt wird die Weltwirtschaft viel geopolitischer werden. Die derzeit hohen Versorgungsrisiken müssen auf jeden Fall stärker diversifiziert werden. Das ist eine Chance. Und wir müssen zusehen, dass Europa nicht aus den neuen Wertschöpfungsketten, die sich gerade bilden, herausfällt. Das ist die Gefahr. 

Aus dem Hafen heißt es gern, die jüngste ­Entwicklung des Umschlags sei nur eine
konjunkturelle Delle. Wie sehen Sie das?

Hamburg hat eigentlich mit jeder Krise Marktan­teile gegenüber seinen Wettbewerbern verloren, was eindeutig auf strukturelle Probleme hindeutet. Da sollte man sich selbst nichts vormachen. Die Weltwirtschaftskrise von 2008 war ein Wendepunkt im Trendwachstum. Seitdem befindet sich Hamburg bestenfalls in einer Seitwärtsbewegung.

Welche Versäumnisse sehen Sie noch?

Hamburg hat nicht in dem Maße investiert, wie es der veränderte Wettbewerb erforderlich gemacht hätte. Schließlich stehen die Häfen Reedereien gegenüber, die durch Konzentrationsprozesse und die vertikale Integration eine unglaubliche Marktmacht entwickelt haben. Es handelt sich im Grunde um oligopolistische Märkte. Zudem hat sich die Stadt sehr stark auf die Fahrrinnenanpassung der Elbe fokussiert. Heute muss man erkennen, dass das vielleicht notwendig, aber nicht hinreichend war, um im Wettbewerb zu bestehen. 

Und jetzt wird seit Monaten über die Köhlbrandbrücke diskutiert. Würde eine neue Brücke die Probleme lösen?

Ich finde, die Debatte um die Brücke hat fast symbolischen Charakter: Stellen wir die Brücke oder gleich den ganzen Hafen unter Denkmalschutz? Wollen wir auf der alten Brücke in eine neue Zukunft oder auf einer neuen Brücke in die alte Zukunft? Eine neue Querung würde die Stadt verpflichten, einen auslaufenden Pfad weiterzuführen. Eigentlich müsste man aber auf andere Pfade umschwenken.

Welche Pfade sind das?

Die Transformation der Industrie zur Klimaneutralität ist eine riesige Chance für Regionen. Der Inflation Reduction Act in den USA zeigt, dass die Förderung sauberer Technologie in Kombination mit der Sicherung der Energieversorgung Investitionen anzieht.

Zudem sollte Hamburg ein positives Umfeld für technologische Innovation schaffen, denn neue Geschäftsmodelle werden mehr denn je mit Technologie zu tun haben, vor allem mit künstlicher Intelligenz, aber auch mit neuen Materialien. 
Und eng damit verbunden ist die Ansiedlung von Spitzenuniversitäten und -forschung, aus denen sich neue Dynamiken und Ökosysteme entwickeln. Ich glaube, in diesem Dreieck bewegt sich die Prosperität künftig.

Haben Sie ein Beispiel, das Ihre Vermutung stützt?

London zum Beispiel hat eine ähnliche Transformation durchgemacht. Die Stadt hatte vor Jahrzehnten noch einen bedeutenden Hafen. Den hat sie aufgegeben, übrigens ohne alle maritime Kompetenzen abzugeben. Bei der Finanzierung des Sektors spielt die Metropole schließlich noch eine entscheidende Rolle. Auch andere Städte, die mutig waren und den Boxenumschlag vor die Tore der Stadt verlagert haben, um Investitionen und Talente in anderen Branchen anzuziehen, haben davon profitiert. 

Das ist ein passendes Stichwort, um über eine stärkere Kooperation der norddeutschen Häfen zu sprechen. Welche Chancen sehen Sie darin?

Erst mit einer Arbeitsteilung könnten die jeweiligen Vorteile richtig entwickelt werden. Hamburg ist schlicht kein Tiefwasserhafen und wird immer Probleme beim Anlauf der Großschiffe haben. Aus meiner Sicht ist der Containerumschlag für Wilhelmshaven und Bremerhaven viel existenzieller als für Hamburg. Die Stadt hat, wie skizziert, viele andere Entwicklungsmöglichkeiten. Aber die Investitionen in den Hafen sind eher eine Bremse für die Bereiche, die man eigentlich mit größerer Dynamik entwickeln könnte. Um es deutlich zu sagen: Die Stadt könnte langfristig gewinnen, wenn sie etwas vom Umschlag abgäbe. Dadurch würden Flächen und Investitionsmittel für Branchen frei, die stärker von Innovationen getrieben sind und mehr Wertschöpfung versprechen. Wenn man das klug macht, ist das eine absolute Chance.

Was ist für so einen radikalen Schritt nötig?

Die Hamburger Politik muss mutiger werden und Ideen mit größerer Signifikanz und Skalierung voran­treiben. Die Stadt ist anfällig dafür, bei vielversprechenden Themen lediglich kleine Schaufensterprojekte vorzustellen, aber nichts davon in einer kritischen Relevanz umzusetzen. Der Senat macht nicht alles falsch, aber er handelt bei der Umsetzung in vielem sehr zaudernd. Da gehört natürlich einiges an Courage dazu, denn es ist für Politiker immer schwer, gegen die Interessen der Gegenwart zu handeln – mit der Befürchtung, nicht wiedergewählt zu werden.

Lassen Sie uns über die Stadtgrenzen hinausschauen. Was machen die gern zitierten Hafenkonkurrenten Rotterdam oder Antwerpen besser?

Mein Eindruck ist, dass die Niederländer zukunftsgewandter, mutiger und auch smarter agieren, gerade in solch entscheidenden Phasen, in denen es drauf ankommt. Als Teil des Hamburg Konvents waren wir auch mit Vertretern aus dem Rotterdamer Hafen im Austausch. Dabei wurde klar, dass dort jemand die großen Linien erkannt hat und versucht, jetzt eine klare Idee strategisch umzusetzen. Das fand ich sehr beeindruckend, denn so klar habe ich noch nie jemanden über den Hamburger Hafen reden hören. 

Was kann sich Deutschland von seinem kleinen Nachbarstaat abschauen?

Die Niederländer sind konzeptioneller und klarer in dem, was sie tun. In Deutschland wird alles Strategie genannt, was eigentlich viel mehr eine Auflistung von Wünschen ist. Dabei definiert eine Strategie ja den Weg zum Ziel. Und diesen Weg muss man dann eben auch gehen. Das tun unsere Nachbarn.

Glauben Sie, dass Sie die Umsetzung der von Ihnen skizzierten Ideen für Hamburg noch selbst erleben werden?

(lacht) Ich bin mir manchmal nicht ganz sicher. Aber klar ist, dass jetzt eine Zeit anbricht, in der man ­mutig Weichen stellen und die Grundlagen für Wohlstand erneuern muss. Ich hoffe, dass Hamburg das noch erkennt. Denn die Stadt ist zu attraktiv und vom Geist her zu weltoffen, um diese Chancen nicht zu ergreifen.

Henning Vöpel

Der promovierte Volkswirt ist seit rund zwei Jahren Direktor des 
Centrums für Europäische Politik (CEP). Zuvor leitete er das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). Der 51-Jährige lehrt zudem Volkswirtschaftslehre an der Business & Law School Hamburg.

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