Wasserstofftransporte: Ein neues Geschäft mit Potenzial

Wasserstoff und Wasserstoffverbindungen sollen künftig fossile Treibstoffe ablösen. Der Transportbedarf für die neuen Energieträger wird dann rasant ansteigen. Die großen Mengen dürften aber an der Schiene vorbeigehen.

Ein Kyro-Tankcontainer für flüssigen Wasserstoff: Noch gibt es diesen Behälter nicht am Markt. (Illustration: DB)

Klimaneutral bis 2045 – dieses Ziel hat sich die Bundesregierung mit der Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz von August 2021 gesetzt. Vor allem bedeutet dieses Vorhaben den Abschied von fossilen Brenn- und Kraftstoffen. Im Verbund mit anderen erneuerbaren Energien sollen Wasserstoff und Wasserstoffverbindungen die Lücke füllen. 2030 rechnet die Bundesregierung mit einem Strombedarf von 750 Terawattstunden (entspricht 750 Milliarden Kilowattstunden) – gegenüber 558 im Jahr 2022. Ein Fünftel dieser Menge – 90 bis 110 Terawattstunden – soll 2030 mit Wasserstoff gedeckt werden. Um 100 Terawattstunden bereitstellen zu können, sind 2,5 Millionen Tonnen Wasserstoff erforderlich.

2,5 Millionen Tonnen Wasserstoff werden 2030 in Deutschland in etwa benötigt.

0,5 Millionen Tonnen Wasserstoff davon könnten per Bahn transportiert werden.

(Quelle: Deutscher Bundestag, DB Cargo, eigene Berechnung)

Hoher Importbedarf

Heimische Erzeuger werden nur einen Teil davon liefern können. Mit dem Koalitionsvertrag und der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie setzt die Bundesregierung zwar das Ausbauziel für Elektrolysekapazitäten von 5 auf mindestens 10 Gigawatt im Jahr 2030 hoch. Acatech (Deutsche Akademie für Technikwissenschaften) und Dechema (Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie) errechnen daraus eine Leistung von 28 Terawattstunden. Wasserstoff für rund 70 Terawattstunden müsste aber importiert werden, das sind 1,8 Millionen Tonnen.

In Planung befindet sich ein Wasserstoff-Kernnetz von den Importhäfen an der Nordsee, an das Großverbraucher angeschlossen werden. Ein Teil davon soll bis 2032 zur Verfügung stehen. Ein flächendeckendes Netz könnte nachfolgend durch Nutzung des bestehenden Erdgasnetzes geschaffen werden – schneller als bisher geplant, wie der Nationale Wasserstoffrat glaubt.

Neugeschäft für Bahnen

Nachvollziehbar, dass die Schienengüterverkehrsbranche hier Neugeschäft wittert. DB Cargo traut sich zu, jährlich Wasserstofftransporte zur Erzeugung von 20 Terawattstunden zu erbringen. Dies wären immerhin 500.000 Tonnen.

Wie viele Transporte aus dieser Menge resultieren, hängt davon ab, wie der Wasserstoff vorliegt. In elementarer Form kann das Gas komprimiert bei Umgebungstemperatur, verflüssigt bei -270 °C oder gelöst in Trägeröl (LOHC – Liquid Organic Hydrogen Carrier) Dibenzyltoluol versandt werden. Darüber hinaus lässt sich Wasserstoff gebunden in Ammoniak oder Methanol transportieren.

Fünf Transportformen

Mit der Zustandsform steht und fällt der „Verpackungsaufwand“. Bei Umgebungstemperatur komprimierter Wasserstoff lässt sich in hochdruckfesten Gasflaschen speichern, die gruppiert in Containern untergebracht sind. Ein solcher Multi Element Gas Container (MEGC) hat eine Kapazität von 1,32 Tonnen, wenn das Gas mit 640 bar komprimiert wird. Er kostet etwa 730.000 Euro.

Bei minus 270 °C verflüssigt, ließe sich Wasserstoff in Kryo-Tankcontainern transportieren. Die Behälter sind noch nicht entwickelt; jedoch werden sie voraussichtlich ebenso wie MEGC extrem hochpreisig sein. Die Kapazität eines 40-Fuß-Kryo-Tankcontainers liegt bei 3 Tonnen.

In Trägeröl gelöstes H2 kann in Mineralöl-Kesselwagen versandt werden. Ein Kubikmeter bindet 57 Kilogramm; ein vierachsiger Kesselwagen mit einer Nutzlast von 68 Tonnen (Streckenklasse D) könnte 3,5 Tonnen Wasserstoff transportieren.

Die Derivate Ammoniak und Methanol werden in Kesselwagen gefahren. Ammoniak lässt sich unter 9 bar Druck schon bei 20 °C verflüssigen, daher kommen Druckgaskesselwagen zum Einsatz. Ein Waggon fasst 55 Tonnen Ammoniak. Daraus lassen sich 9 Tonnen Wasserstoff extrahieren.

Bei Methanol handelt es sich um einen Alkohol, der in Standardkesselwagen transportiert wird. Ein solcher Wagen kann 86 Kubikmeter der Chemikalie aufnehmen, das entspricht 68 Tonnen. Methanol dient selten als Trägersubstanz (aus 630 Kilogramm lassen sich nur 89 Gramm Wasserstoff herstellen), sondern direkt als Kraft- oder Brennstoff. Ein Beispiel ist das Containerschiff „Laura Mærsk“, das mit „grünem“ Methanol betrieben werden kann.

Geringe Nutzlasten

Ein 740-Meter-Zug aus 80-Fuß-Containertragwagen befördert 56 Boxen von 40 Fuß Länge. Mit MEGC beläuft sich die Nutzlast des gesamten Zuges auf 74 und mit Kryo-Tankcontainern auf 168 Tonnen Wasserstoff. Ist das Gas in Trägeröl gebunden, kommt der Kesselwagenzug ebenfalls auf 168 Tonnen. Am günstigsten unter Nutzlastgesichtspunkten schneidet der 740-Meter-Ammoniakzug mit 48 Druckgaswagen ab: Er liefert Ammoniak für 432 Tonnen H2.

DB Cargo erwartet für das Jahr 2030 ein Wasserstoff-Transportaufkommen von 500.000 Tonnen. Das entspräche dann etwa 6800 Zügen mit MEGC, 300 Zügen mit Kryo-Containern beziehungsweise Trägeröl-Kesselwagen oder 1200 Ammoniak-Zügen. Das wären bei 250 Werktagen im Jahr rechnerisch 27 MEGC-, 12 Kryo-Container- oder 5 Ammoniakzüge pro Tag. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alles per Ganzzug transportiert werden dürfte. Zum Vergleich: DB Cargo fährt aktuell täglich etwa 3600 Züge; die Wettbewerbsbahnen disponieren insgesamt noch einmal die gleiche Zahl.

Nach Prognosen des Nationalen Wasserstoffrats (NWR) wird der Bedarf an Wasserstoff und Wasserstoffderivaten bis 2045 auf das 10- bis 14-Fache steigen; das wären 964 bis 1.364 Terawattstunden. Davon müsse der größte Teil importiert werden; bei den Wasserstoffverbindungen Methanol, Ammoniak oder synthetischen Flugtreibstoffen sogar mehr als 80 Prozent. Bis 2045 dürfte das Pipeline-Kernnetz weitgehend fertiggestellt sein.

Quellen und Senken

Verkehrsströme werden sich zwischen Häfen und den Elektrolyseuren einerseits und Industrie- und Kraftwerksstandorten andererseits entwickeln. Der Bedarf an Wasserstoff und Wasserstoffverbindungen ist abhängig von den jeweiligen Produktionsprozessen. Entsprechend vorsichtig agieren die Eisenbahnunternehmen und Transportmittelvermieter. Sie verfolgen die Entwicklung aufmerksam, halten sich mit Investitionsentscheidungen aber noch zurück.

Großabnehmer wie Stahlhersteller, Chemieunternehmen, die Glas-, Zement- und Papierindustrie sowie Raffinerien werden ihren Bedarf an Wasserstoff über Pipelines decken, weil der Transportpreis mit 0,16 Euro je Kilogramm Wasserstoff und 1.000 Kilometer Entfernung unschlagbar niedrig ist. Elementarer Wasserstoff, der aus der Leitung kommt, muss zudem am Zielort nicht aufwendig aus der Trägersubstanz gelöst werden (Cracking). Der Schienengüterverkehr kann aber eine Lösung sein, wenn Standorte auf absehbare Zeit keinen Pipelineanschluss erhalten. Die Umstellung der Industrie von fossilen Energieträgern auf Wasserstoff wird den Eisenbahnunternehmen per Saldo aber mehr Ausfall als Zuwachs bescheren. (cd)

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