Warum KI-Modelle von der Stange der Luftfracht nichts bringen

In der Luftfracht ist der Einsatz von KI um ihrer selbst willen unsinnig. Das Einzige, was zählt, ist der konkrete Nutzen, meint Zvi Schreiber. Gefragt seien demzufolge nicht die generischen Sprach-KIs, sondern spezialisierte, datenreiche Systeme mit operativer Relevanz, so der Gründer und CEO von Freightos. 

Die Luftfrachtmärkte gelten als sehr volatil, da die weltweiten Luftfrachtmengen stark schwanken. (Foto: baranozdemir/iStock)

Für Fluggesellschaften ist Volatilität längst zum Normalzustand geworden. Handelsrouten verschieben sich, Frachtraten schwanken, Passagier- und Frachtkapazitäten müssen laufend neu ausbalanciert werden. Der E-Commerce boomt – und bricht dann plötzlich ein. Und Zölle? Sie ändern sich scheinbar täglich. Kurz gesagt: Planbare Ergebnisse sind kaum noch erreichbar.

Technologie sollte Fluggesellschaften helfen, mit dieser Realität umzugehen. Was gefragt ist, sind Werkzeuge, die schneller reagieren, flexibler kalkulieren und operative Entscheidungen auf aktuelle Daten stützen. Einige Airlines gehen diesen Weg bereits – mit ersten messbaren Erfolgen. Aktuelle Branchendaten zeigen, wie volatil die Luftfrachtmärkte sind. Die weltweiten Luftfrachtmengen lagen bis Mai rund 11 Prozent über dem Vorjahreswert – vor allem durch das starke B2C-Geschäft aus China.

Doch als am 2. Mai die Zollfreigrenze für US-Importe mit einem Warenwert von unter 800 US-Dollar ausgesetzt wird (sogenannte De-Minimis-Regelung), müssen für Importe von E-Commerce-Sendungen Zölle in Höhe von 30 Prozent auf den Warenwert gezahlt werden. Die Folge: ein abrupter Rückgang des E-Commerce-Luftfrachtvolumens in die USA. Viele Versender wechselten binnen Tagen auf den Seeweg.

Volatilität ist die Regel

Die Effekte der veränderten De-Minimis-Regulierung enden nicht an dieser Stelle. Denn auch der Einsatz von Frachtflugzeugen wird angepasst. Auf transpazifischen Strecken wurden Kapazitäten zurückgefahren; einzelne Maschinen kommen nun auf anderen Routen zum Einsatz. Die Transatlantik-Raten hatten sich im vierten Quartal 2024 vorübergehend verdoppelt – mittlerweile sinken sie wieder, da mehr Kapazität verfügbar ist. Gleichzeitig gilt auf der Relation Asien–USA ein Spotpreis von 5 Dollar pro Kilogramm nach wie vor als neue Untergrenze – laut einschlägigen Marktindizes deutlich über dem langfristigen Durchschnitt.

All das zeigt: Volatilität ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Eine Kombination aus geopolitischer Unsicherheit, fragmentierter Nachfrage und abrupten politischen Eingriffen hat klassische Preislisten und vergangenheitsbasierte Kalkulationen überholt. Wer auf veraltete Daten setzt, trifft womöglich falsche Entscheidungen – oder schreibt Verluste.

Künstliche Intelligenz ist aktuell eines der zentralen Themen, auch in der Luftfracht – und das aus gutem Grund. Denn die Fortschritte sind rasant: Sprachmodelle wie ChatGPT haben innerhalb weniger Jahre ein Leistungsniveau erreicht, das Menschen jahrzehntelanges Lernen abverlangen würde. Sollte sich dieses Tempo fortsetzen, könnte KI, die jede menschliche Aufgabe übernehmen kann, noch vor Ende des Jahrzehnts Realität werden.

Allein der konkrete Nutzen zählt

In der Luftfracht ist der Einsatz von KI um ihrer selbst willen unsinnig. Das Einzige, was zählt, ist vielmehr der konkrete Nutzen. Gefragt sind daher auch nicht generische Sprach-KIs, sondern spezialisierte, datenreiche Systeme mit operativer Relevanz. Grob lassen sich drei Entwicklungsstufen unterscheiden: Allgemeine Sprachmodelle übernehmen zunehmend Aufgaben wie Dokumentenverarbeitung oder Kundenanfragen.

Spezialisierte KI-Anwendungen unterstützen bei operativen Abläufen – etwa bei Interlining, Beladung oder dem Management von Ausnahmen. Den eigentlichen Fortschritt erzielen jedoch Systeme, die mit Airline-spezifischen Daten arbeiten: für dynamische Preisbildung, präzisere Nachfrageprognosen und intelligentes Netzwerkdesign. Was es braucht, sind keine Standardlösungen, sondern Technologien, die Branchenwissen, Datenzugang und Prozessverständnis miteinander verbinden.

Ein Blick in die Praxis zeigt, wo viele Fluggesellschaften stehen: Eine Onlinesuche für die Strecke Heathrow–JFK liefert Preise zwischen 1,20 und 5,40 Pfund/Kilogramm – ein Unterschied um den Faktor 4,5 auf derselben Verbindung. Trotz digitaler Buchungsmöglichkeiten basieren viele Raten noch immer auf statischen Tabellen. Das ist kein Problem der Mitarbeitenden, sondern der eingesetzten Systeme.

Systeme simulieren die Reaktion des Markts

Was Airlines brauchen, sind Werkzeuge, die es Pricing-Teams ermöglichen, auf fundierter Basis zu entscheiden – mit Zugriff auf aktuelle Daten und modelliertem Kundenverhalten. Intelligente Algorithmen zeigen, wie sich die Nachfrage bei verschiedenen Preisniveaus verändert.

So lässt sich bewusst steuern, ob Umsatz, Gewinn oder Marktanteil optimiert werden sollen. Diese Systeme automatisieren die Preisbildung nicht, sondern simulieren die Reaktion des Marktes – und geben Entscheidungsträgern damit Kontrolle statt Schätzwerte.

Im Jahr 2025 genügt es nicht, irgendeine KI zu nutzen. Um Ergebnisse zu erzielen, brauchen Airlines Echtzeitdaten aus dem eigenen Betrieb – um Nachfrage, Wettbewerb und Streckenprofitabilität laufend zu modellieren. Und zwar nicht mit Wochenverzug, sondern im Moment der Entscheidung.

So können Airlines Preise gezielt steuern, auf neue Markttrends schneller reagieren, reale Nachfrage besser abbilden und fundierte Entscheidungen treffen. Keine Fluggesellschaft kann dabei für sich allein ein vollständiges Bild des Weltmarkts erzeugen – dafür braucht es neutrale Plattformen, die Marktdaten bündeln und vergleichbar machen.

Die Zahlen verändern sich – die Unsicherheit bleibt. Doch wer künstliche Intelligenz mit den richtigen Daten verknüpft, kann aus dieser Unsicherheit einen Vorteil machen – und ein Netzwerk schaffen, das auch in volatilen Zeiten tragfähig bleibt. (ol)

Zvi Schreiber ist Gründer und CEO von Freightos

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