„Paletten sind mobile Kohlenstoffspeicher“

Im Interview erläutert Marcus Kirschner, Geschäftsführer des Bundesverbands Holzpackmittel, Paletten, Exportverpackung (HPE), wie die Holzpackmittelbranche Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Klimaschutz zusammenbringt und welche politischen Rahmenbedingungen sie dafür braucht.

Marcus Kirschner ist seit 2018 Geschäftsführer des Bundesverbands Holzpackmittel, Paletten, Exportverpackung (HPE) in Bad Honnef, der 2019 sein 150-jähriges Bestehen feierte. (Foto: Fotografie Danetzki)

Wenn ein Verlader heute eine Exportkiste oder eine Palette bestellt: Woher kommt das Holz, und welches wird verwendet?

Marcus Kirschner: Überwiegend aus regionalen Quellen, meist im Umkreis von etwa 200 Kilometern. Einige Betriebe kaufen zusätzlich in Skandinavien. Verarbeitet wird vor allem Nadelholz. Paletten bestehen teils aus einem Materialmix, große Exportkisten vorwiegend aus Sperrholz und OSB, das ist Oriented Strand Board, also Grobspanplatten.

Das Holz ist für die Logistik essenziell. Ihr Verband warnte aber zwischenzeitlich, die Holzernte könne gefährdet sein. Was hat sich zuletzt verändert?

Die Kalamität der vergangenen Jahre mit Borkenkäfern und Sturmschäden ist abgeklungen; ein nasses Frühjahr hat die Schwärmzeiten zusätzlich gedrückt. Das eigentliche Nadelöhr lag in der Abfuhr- und Lagerlogistik: Es gibt zu wenig Rundholzwagen, Nasslager wurden zurückgebaut. Viel Schadholz ging deshalb in Holzwerkstoffe und in die energetische Nutzung. Parallel wirken Klimaeffekte wie Trockenheit und sinkende Grundwasserstände regional fort. Und die Herausforderung für die Forstbetriebe ist es, klimaresiliente und zugleich winterharte Baumarten zu finden, zu pflanzen und zu pflegen.

Wir haben also aktuell genug Holz?

Ja. Die jüngste Bundeswaldinventur zeigt, dass die Waldfläche in Deutschland trotz Schäden wächst. Dank einer seit Jahrhunderten verankerten, gesetzlich abgesicherten nachhaltigen Forstwirtschaft ist die Versorgung verlässlich.

Wo liegt aus Ihrer Sicht das Problem?

Entscheidend ist die Bewirtschaftung: Stillgelegte Wälder erreichen langfristig eine Kohlenstoffbalance, speichern so viel, wie sie emittieren. Eine aktive Nutzung dagegen bindet Kohlenstoff in Holzprodukten und ermöglicht die Verjüngung der Bestände. Fällt viel Fläche aus der Nutzung, entsteht eine Versorgungslücke, die durch Importe geschlossen werden muss. Paletten und Kisten wirken als mobile Kohlenstoffspeicher. Über Sekundärnutzung in Holzwerkstoffen verlängert sich dieser Effekt, am Lebensende kann Energieholz fossile Brennstoffe ersetzen.

Wie groß ist der Klimaschutzeffekt dieser mobilen Kohlenstoffspeicher – und wie wird er bilanziert?

Ein gutes Beispiel ist die Europalette: Eine Palette speichert rund 27,5 Kilogramm Kohlenstoff. Entscheidend sind darüber hinaus Lebensdauer, Reparaturfähigkeit und die Verwertung am Ende des Lebenszyklus.

Der HPE fordert, Holz als systemrelevanten Rohstoff einzustufen. Was würde sich dadurch ändern?

Eine solche Einstufung erhöht die Planbarkeit entlang der Kette, sichert Arbeitsplätze und beschleunigt Entscheidungen in Krisen. Die Pandemie hat gezeigt, wie zentral Holzpackmittel für Lieferketten sind – von Babynahrung und Arznei bis zu Maschinen, Ersatzteilen und kritischer Infrastruktur. Mit Blick auf Verteidigungslogistik und Zivilschutz gewinnt das Thema zusätzlich an Gewicht.

„Die Kreislaufwirtschaft eröffnet neue Geschäftsmodelle: Rücknahme, Reparatur und Verfügbarkeitsservices rücken in den Vordergrund“, meint Marcus Kirschner. (Foto: dpa)

Zur Person

Marcus Kirschner ist seit 2018 Geschäftsführer des Bundesverbands Holzpackmittel, Paletten, Exportverpackung (HPE) in Bad Honnef, der 2019 sein 150-jähriges Bestehen feierte. Dem HPE gehören Hersteller von Paletten, Packmitteln, Kabeltrommeln sowie Steigen und Spankörben aus Holz an, außerdem Dienstleister für Verpacken, Containerstau und Logistik. Zuvor war Kirschner im Hauptverband der Deutschen Holzindustrie (HDH) im Bereich Technik, Umwelt, Normung und Forschung tätig. Er studierte Holzingenieurwesen und Marketing und verantwortete zuvor zwölf Jahre in einem Industrieunternehmen zur Herstellung von Gastronomiemöbeln mit eigenem Sägewerk die Produktentwicklung.

Kommen wir zur Kreislaufwirtschaft. Wie viele der Paletten verbleiben darin – und wie viele enden frühzeitig im Altholz oder werden verbrannt?

Spezifische Stoffstromanalysen nur für Holzpackmittel liegen uns nicht vor, es gibt nur für Altholz insgesamt Studien. In Deutschland entfallen grob 25 bis 30 Prozent der Palettenstückzahl auf wiederverwendbare EPAL-Europaletten; viele Sonder- und Systempaletten in der Intralogistik werden statistisch kaum erfasst. Klar ist: Fallen die Marktpreise, wandern Paletten schneller in den Altholzstrom – das schmälert die Rohstoffverfügbarkeit.

Mit „HPE-Cycle“ haben Sie ein neues Kreislaufsystem gestartet. Worum geht es konkret?

Zu viel nutz- oder reparierbares Material landet im Altholzcontainer. HPE-Cycle setzt an der Quelle an: Paletten werden abgeholt, geprüft, sortiert, repariert oder ersetzt. Nicht Reparierbares geht als Input in die Holzwerkstoff- und Palettenklotzindustrie. Ziel ist, den Rückfluss aus unklaren Eigentumssituationen zu organisieren und den Wert der Palette sichtbar zu machen.

Welche Mengen wollen Sie dadurch länger im Umlauf halten?

Als erstes Etappenziel peilen wir rund 25 Prozent des Bestands an, der bislang außerhalb funktionierender Pool- und Rücknahmesysteme verloren geht. Oft bleiben Paletten beim Kunden stehen oder werden als „Rotte“ gesammelt. Wir wollen diesen Rohstoff systematisch in den Kreislauf zurückführen.

Das spart Material – aber wie rechnet sich das für Hersteller und Anwender?

Auch künftig braucht es Neupaletten, weil nicht alles reparierbar ist. Der Fachkräftemangel wird die Reparatur stärker automatisieren. Einige Branchen setzen weiterhin auf Erstverwendung und makellose Paletten – etwa die Papierindustrie mit weißen Paletten. Insgesamt eröffnet die Kreislaufwirtschaft neue Geschäftsmodelle: Rücknahme, Reparatur und Verfügbarkeitsservices rücken in den Vordergrund. Corona hat gezeigt, dass die Lieferfähigkeit für Kunden entscheidend ist.

Zu viel Bürokratie, wie bei der EU-Verpackungsverordnung (PPWR) und der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR), ist Ihrem Verband jedoch ein Dorn im Auge. Was sollte sofort besser werden?

Unsere Branche ist über 90 Prozent mittelständisch und inhabergeführt. Vorgaben großer Kunden werden entlang der Lieferkette durchgereicht; nationales „Gold Plating“ erschwert die Umsetzung zusätzlich. Die PPWR zielt primär auf Plastik und B2C, wird aber auf B2B-Holzverpackungen übertragen und ignoriert oft die Praxis – etwa bei Kennzeichnungspflichten auf Paletten, bei Dokumentationslasten und bei Vorgaben zu Umreifungen. Wir brauchen klare Ausnahmen und praxistaugliche Regeln für den B2B-Einsatz. In der EUDR setzen wir auf eine Null-Risikokategorie für EU-Holz und eine risikobasierte Marktüberwachung.

Mal andersherum gefragt: Welche Bedeutung haben für Sie Transparenz und Kontrolle in der Lieferkette, was hinter einiger Regulatorik steckt?

Abfallvermeidung ist richtig, bei Holzverpackungen aber nur im Rahmen von Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität sinnvoll. Transparenz darf nicht zur Offenlegung sensibler Daten führen; sie braucht klare, verhältnismäßige Standards. Ebenso wichtig ist eine handlungsfähige Verwaltung: weniger Überregulierung, mehr Ermessensspielraum und pragmatische Instrumente wie Genehmigungsfiktionen, damit Entscheidungen zügig fallen und Investitionen nicht stocken. (fw)

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben