Ladungsdiebstahl: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“

Frachtkriminalität nimmt weiter zu. Nach Angaben der Transported Asset Protection Association (TAPA) spielen Taten auf der letzten Meile und in den Unternehmen selbst dabei eine immer größere Rolle. Während der Ladungsdiebstahl auf Parkplätzen seit Jahren abnehme, gehe die Zahl der Vorfälle am Ende der Transportkette und Insider-bedingt in Unternehmen gerade „durch die Decke“. So beschreibt Thorsten Neumann, bei TAPA für die Region EMEA zuständig, die Situation gegenüber der DVZ. Von Januar bis Ende September 2023 wurden dem gemeinnützigen Branchenverband allein aus der EU 7.062 Fälle von Frachtdiebstahl gemeldet. Laut einer früheren Studie des Europäischen Parlaments kostet Frachtkriminalität Unternehmen allein in Europa jährlich mehr als 8,2 Milliarden Euro.
Die 1997 gegründete TAPA betreibt eine Datenbank zu Frachtkriminalität und bietet Firmen unter anderem Kataloge mit Schutzmöglichkeiten („Standards“) an. In den „Sicherheitsanforderungen für Lkw“ (TSR) steht zum Beispiel, dass ein Satellitennavigationssystem hilft, unnötige Stopps zu vermeiden, und Wegänderungen von der Zentrale bestätigt werden müssen. Bei einem Überfall soll der Fahrer in der Kabine manuell einen stillen Notalarm auslösen können. Auch das unerlaubte Öffnen des Laderaums sollte ein Signal und einen Alarm generieren. Weitere Mindeststandards hat die Organisation zum Schutz von Einrichtungen wie Lagern (FSR) und gegen Übergriffe auf Parkplätzen (PSR) zusammengestellt. Geplant ist ferner ein „Supply Chain Cyber Security Standard“. Das aktuelle Konzept aus den USA verstößt laut Neumann in der EU gegen die Datenschutzgrundverordnung, soll aber angepasst werden. Denn man sehe ein „unheimlich großes Risiko in Bezug auf Cyber-Angriffe“.
„Unsere Standards zielen darauf ab, Risiken so weit zu minimieren, wie es geht“, sagt er. Unternehmen, die sie etablierten, bei den Mitarbeitenden ein Bewusstsein dafür weckten und sich zertifizieren ließen, hätten „ihre Verluste im Schnitt um 65 Prozent“ verringern können. Allerdings: Eine TAPA-Mitgliedschaft allein reiche nicht, es komme auf das Training an. Und: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“
Generell steigt „Cargo Crime“ laut Neumann „in vielen Bereichen“ wieder an. Eine hohe Inflationsrate bringe Kriminelle dazu, Transportfirmen zu attackieren. Sie hätten dann nicht mehr nur hochwertige Güter im Blick, sondern auch Dinge wie Lebensmittel.
Die Täter zielten immer auf das schwächste Glied in der Kette. Da Lkw-Parkplätze an der Strecke heute häufig gut gesichert seien, gebe es mehr Überfälle auf der letzten Meile, etwa wenn der Fahrer vor der oft in einem Industriegebiet gelegenen Entladestelle auf die Einfahrt auf das Gelände warten müsse. Dann steuere er meist keinen Sicherheitsparkplatz mehr an, sondern irgendeinen Platz in der Nähe. An solchen Stellen finden laut Neumann „viel, viel, viel mehr Überfälle statt“ als früher.
Schützen könnten die von TAPA empfohlenen Technologien, die sogar von der Zentrale aus bedient werden können – wenn das Bewusstsein dafür da sei. Die Zentrale könne etwa aus der Ferne die Schlösser des Fahrzeugs verriegeln. Der Fahrer selbst sollte möglichst in Sichtweite von Kollegen rasten – und notfalls einen anderen Parkplatz ansteuern. Auch hier könne die Zentrale helfen, denn das TAPA-Material zeige, auf welchen Routen es bereits Vorfälle gegeben habe und wo sichere Parkplätze seien. „Gerade die Disponenten sind heutzutage extrem in der Verantwortung, eine vernünftige Routenplanung zu machen“, so Neumann. Im Kampf gegen Frachtdiebe helfe ferner die Zusammenarbeit von Unternehmen, etwa durch das Öffnen von Werksparkplätzen für Fremd-Lkw am Wochenende. (zp/fh)
Dieben die Zeit stehlen
Andreas Völkerding testet Sicherheitskonzepte von Unternehmen. Dabei versucht er Dinge auch mal aus der Sicht der Kriminellen zu betrachten.
Andreas Völkerding hat schon versucht, in einen Lkw einzubrechen, und er probiert immer mal wieder, die Zugangskontrollen von Firmen zu umgehen und ins Lager zu gelangen. Der 49-Jährige tut das aber mit Wissen der jeweiligen Geschäftsführung. Er arbeitet für die Zertifizierungsgesellschaft DQS in Frank- furt am Main und prüft, ob Unternehmen, die künftig auf TAPA-Sicherheitsstandards setzen wollen, die Anforderungen erfüllen und des Zertifikats würdig sind. Der Einbruchsversuch gehöre zur Überprüfung dazu, sagt der gelernte Industriekaufmann: „Man nimmt dann so ein bisschen die Sichtweise des Kriminellen ein.“
15 bis 20 Minuten lang untersucht Völkerding, ob ein Lkw über die von der TAPA vorgegebenen Vorrichtungen verfügt, ob zum Beispiel Verschlusssysteme und Alarmanlagen vorhanden und intakt sind. Ein Gespräch mit dem notwendigerweise eigens geschulten Fahrer gehört auch dazu. „Es hilft mir nichts, wenn ich das beste Equipment habe und nicht damit umzugehen weiß“, so Völkerding, der nach 16 Jahren bei einer Spedition vor 10 Jahren als Auditor begann. Allerdings nimmt er nicht jedes Fahrzeug einer Flotte unter die Lupe. Stichproben müssen ausreichen.
Als größte Herausforderung für die Branche sieht er die Cyberkriminalität. Die Kriminellen bräuchten Informationen für ihre Taten, „ob das jetzt ein physischer Überfall ist oder eine Attacke auf irgendwelche Systeme“. Deshalb sei es wichtig, sensible Daten – etwa zu Transportwert und -zeit – zu schützen. Komme es dennoch zum Überfall, so bewirkten die angewandten TAPA-Standards laut Völkerding, „dass Zeit gewonnen wird“. Für die Täter sei entscheidend, wie lange sie bräuchten, um auf die Ladefläche zu gelangen. Wenn das länger dauere, „lassen sie im Grunde genommen davon ab“ – so, wie sie einen versuchten Einbruch in ein Haus auch nach einigen Minuten aufgäben.
Sicherheit der Lieferkette, Kundenanforderungen: Das sind laut Völkerding Gründe für Unternehmen, sich zertifizieren zu lassen. Ein Punkt sei auch, sich im Ernstfall nicht von der Versicherung den Vorwurf grober Fahrlässigkeit machen lassen zu müssen – und dann auf dem Schaden sitzenzubleiben. Wenn ein Lkw mit einem Warenwert von drei, vier Millionen Euro verschwinde, könne das für eine Spedition existenzbedrohend sein.
Völkerding mag seinen Job, weil ihm Transport und Logistik nach eigenen Angaben am Herzen liegen – und ihn die Lieferkette beziehungsweise deren physische Sicherheit interessiert. Diese entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu betrachten, mache „eine Menge Spaß“. (zp/fh)