Fachkräfte aus Usbekistan
Johanna Seils war noch nie in Usbekistan, verfolgt aktuell auch keine Reisepläne – trotzdem beschäftigt sie sich seit kurzem intensiver mit dem mittelasiatischen Land. Sie arbeitet als Ausbildungsleiterin bei der Hamburger Spedition Bursped, die vom 1. August 2025 an zwei Nachwuchskräfte aus Usbekistan zu Fachkräften für Lagerlogistik ausbilden möchte. Das inhabergeführte Unternehmen mit rund 420 Mitarbeitenden hat speziell im gewerblichen Bereich mit Fachkräftemangel zu kämpfen. „In der Lagerlogistik bekommen wir seit Jahren wenige Bewerbungen, die auch nicht immer unbedingt passen“, berichtet Seils. Viele Azubis springen außerdem schnell wieder ab.
Bei der Personalabteilung von Bursped melden sich zwar fast wöchentlich Agenturen, die Fachkräfte aus dem Ausland rekrutieren. Aber Seils findet es schwierig zu filtern, welche Angebote seriös sind. Als sie von dem Pilotprojekt der Handelskammer Hamburg hörte, für das Ausbildungsjahr 2025/2026 über die Delegation der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien (AHK Zentralasien) junge Menschen aus Usbekistan für eine Ausbildung nach Hamburg zu holen, habe das „Sicherheit und Verbindlichkeit“ signalisiert: „Bisher haben wir noch keine Erfahrung mit der Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland, wir glauben aber, dass dies in Zukunft immer relevanter wird.“ Mit einem „seriösen Partner an der Seite“ erhofft sich der Mittelständler Lerneffekte.
Partnerschaft ist online gestartet
Unterstützung kommt von höchster Ebene, seitdem Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte September in Samarkand mit dem usbekischen Präsidenten Schawkat Mirsijojew ein Migrationsabkommen unterzeichnet hat. Vor zwei Wochen markierte dann ein Online-Meeting den Start des von der Handelskammer Hamburg initiierten Pilotprojekts einer internationalen Fachkräftepartnerschaft gemeinsam mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Berlin sowie der Delegation der AHK Zentralasien. Aus der Logistikbranche stehen dabei die Ausbildungsberufe Berufskraftfahrer, Fachkraft für Lagerlogistik sowie Kauffrau oder Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistungen im Fokus.
„Sechs von zehn Unternehmen benennen den Fachkräftemangel als eines der größten Geschäftsrisiken“, sagt Michaela Beck, Bereichsleiterin Fachkräfte und lebenswerte Metropole bei der Handelskammer Hamburg. Weil der Fachkräftemonitor für die Hansestadt zeige, wie groß der Fachkräftedarf für die einzelnen Branchen konkret aussieht, erarbeitete die Kammer gemeinsam mit der Wirtschaft die Fachkräftestrategie „Hamburg 2040“. Als eine von vier Säulen soll die Zuwanderung gefördert werden. „Wir haben gezielt ein Land gesucht, wo es auf politischer und wirtschaftlicher Ebene den Willen gibt, gemeinsam zu arbeiten“, erläutert Beck. Bestätigt habe das der usbekische Premierminister Abdulla Aripov, als er 2023 Ausbildungsbetriebe in Hamburg besuchte. „Wir wollen die Fachkräfte mittelfristig hier in Unternehmen in Deutschland halten“, betont Beck. Gleichzeitig bezwecke die Fachkräftepartnerschaft, bilaterale Geschäftsbeziehungen aufzubauen und internationales Geschäft zu entwickeln.
Aber wie groß ist das Interesse in dem zentralasiatischen Land für eine Logistikausbildung in Deutschland überhaupt? „Wir erwarten, dass sich viele Bewerber für diesen Bereich interessieren“, sagt Gulnara Khalimbetova, Projektmanagerin bei der AHK Zentralasien – GIC Usbekistan in Taschkent. Eine Ausbildung in Deutschland biete usbekischen Jugendlichen die Möglichkeit, „moderne Logistik zu erlernen und dieses Wissen in ihrer Heimat anzuwenden“. So könnten sie „Usbekistan im globalen Handel weiter voranbringen“. Ausbildungsbetriebe wie Bursped verfolgen naturgemäß andere Interessen: „Unser klares Ziel ist eine Übernahme nach der Ausbildung“, sagt Seils.
3.500 Euro Initialkosten pro Azubi
Die Spedition investiert und beteiligt sich für jeden usbekischen Azubi mit 3.500 Euro an den Projektkosten. „Deutschkurse und Flüge sind inbegriffen, auch der Aufwand der AHK“, fasst Seils zusammen. Zusätzlich bezahlt Bursped jedem Lagerlogistik-Azubi den Tariflohn – anfangen bei monatlich fast 870 Euro im ersten bis zu über 1.095 Euro im dritten Ausbildungsjahr. Außerdem hätten die operativ Mitarbeitenden in der Kontraktlogistik ihre Bereitschaft signalisiert, für die usbekischen Auszubildenden „mehr zu geben“. Heißt konkret: Sobald die jungen Menschen in Deutschland ankommen, steht ein Mentor an ihrer Seite. „Wir möchten die Azubis von Anfang an eng betreuen, um ihnen die Integration so einfach wie möglich zu machen“, sagt Seils. Englisch hilft in der Halle mit 44.000 Quadratmetern Lagerfläche, wo Mitarbeitende aus verschiedenen Nationalitäten tätig sind, nicht unbedingt weiter: „Bei uns ist Deutsch im Arbeitsalltag elementar.“ Seils selbst unterstützt die Azubis, sich untereinander zu vernetzen, und ist über WhatsApp immer erreichbar.
Als große Hürde gilt bezahlbarer Wohnraum, in Hamburg beträgt die Monatsmiete für usbekische Azubis rund 400 Euro. „Über Kooperationen stellen wir den Ausbildungsunternehmen 40 Wohnheimplätze zur Verfügung“, erklärt Beck. Dort gebe es auch sozialpädagogische Betreuung, „Menschen aus dem Ausland brauchen Ansprechpartner vor Ort“. Das bietet die Kammer auch bei allen rechtlichen Angelegenheiten rund um die Ausbildung. Doch beim Visum gebe es sehr lange Wartezeiten, die Politik müsse „Verfahren weiter beschleunigen und Bürokratie abbauen“, fordert Beck. Wichtig seien lokale Partner wie die AHK Zentralasien, „um bürokratische Hemmnisse mit der deutschen Botschaft in Taschkent im Vorfeld aus dem Weg zu räumen“.
„Wir entwickeln Fachkräfteprojekte in mehreren Ländern – von Kolumbien bis Marokko“, sagt Wladimir Nikitenko, Projektleiter Fachkräfteeinwanderung bei der DIHK. Der Bedarf sei groß, Deutschland brauche „bis zu 400.000 Fachkräfte pro Jahr“. Usbekistan biete mit 36 Millionen Einwohnern und einer wachsenden Bevölkerung Potenzial, zumal zwei Drittel der Bevölkerung jünger als 35 Jahre seien. Das Pilotprojekt mit Usbekistan startet die DIHK gemeinsam mit Hamburg sowie den Industrie- und Handelskammern (IHKs) in Flensburg und Oldenburg. „Weitere IHKs sind willkommen“, sagt Nikitenko.
In Usbekistan läuft die Vorbereitungsphase bis März 2025. Nachdem die Bedarfe von Unternehmen Ende September bereits ermittelt worden sind, rekrutiert die AHK Zentralasien in einem Auswahlverfahren 12 bis 16 künftige Azubis für Deutsch-Intensivkurse am Goethe-Institut in Taschkent mit abschließender B2-Sprachprüfung. „B1 reicht zwar für den Visaprozess, aber nicht für die Berufsschule“, erklärt Nikitenko. Parallel bereiten Vorintegrationskurse auf das Leben in Deutschland und das duale Ausbildungssystem vor. Im April 2025 sollen Ausbildungsbetriebe wie Bursped per virtuellem Matchmaking-Prozess mögliche Nachwuchskräfte kennenlernen, Bewerbungsgespräche führen, Ausbildungsverträge abschließen. In Phase drei organisiert die AHK schließlich die Flugtickets nach Deutschland und begleitet die Visaverfahren.
„Wenn das Projekt am Laufen ist, gehen wir davon aus, dass uns nächstes Jahr ein noch größerer Pool an potenziellen Azubis in Usbekistan zur Verfügung steht“, blickt Beck optimistisch in die Zukunft. Die Handelskammer Hamburg organisiert Austauschrunden mit beteiligten und interessierten Unternehmen. Unterdessen geht für Seils die Arbeit mit der Auswahl der Azubis und der Vor-Ort-Betreuung jedoch „erst so richtig los“. Auf die Learning-by-doing-„Abenteuerreise“ bei Bursped freut sich die Ausbildungsleiterin schon. (sl)