VW-Nachhaltigkeitschef: „Es wäre fatal, wenn wir nicht optimistisch an die Sache herangingen“

DVZ: Herr Voeste, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit. Was bedeutet der Begriff Nachhaltigkeit für Sie persönlich? Können Sie ihn überhaupt noch hören?
Dirk Voeste: Der Begriff Nachhaltigkeit wird häufig verwendet und unterschiedlich definiert. So wird im Unternehmen Volkswagen auch der Begriff ESG (Environmental Social Governance) verwendet. Als wir mit unserer Strategiearbeit begannen, haben wir uns zunächst klar gemacht, worin der Unterschied besteht und was wir unter Nachhaltigkeit verstehen: Wir wollen in den Bereichen Natur, Gesellschaft und Wirtschaft Werte für heutige und zukünftige Generationen schaffen.
Sie haben lange für BASF gearbeitet und sind jetzt bei Volkswagen. Zwei große Konzerne in ganz unterschiedlichen Branchen. Welche Erfahrungen aus Ihrem früheren Job helfen Ihnen heute?
Sowohl bei BASF als auch bei Volkswagen habe ich gelernt, Lösungen anzubieten und nicht nur mit Forderungen zu arbeiten. Wenn man Nachhaltigkeit wirklich umsetzen will, muss man aufzeigen, was es für den jeweiligen Bereich bringt – sei es Kostenvermeidung, Risikominimierung oder Wertschöpfung. Ein weiterer zentraler Punkt ist, Nachhaltigkeit mit dem Geschäft zu verknüpfen. Es geht darum, deutlich zu machen, was Nachhaltigkeit kurz-, mittel- und langfristig für das Unternehmen bedeutet.
Was sind die größten Unterschiede zwischen BASF und Volkswagen?
Der größte Unterschied zwischen den zwei DAX-Konzernen BASF und Volkswagen ist die Branche. BASF ist völlig anders strukturiert, mit anderen Wertschöpfungsketten. Volkswagen hingegen produziert direkt für den Konsumenten, so dass zusätzlich die Kunden überzeugt werden müssen.
Was ist die wichtigste Erfahrung, die Sie in Ihrem bisherigen Berufsleben im Bereich Nachhaltigkeit gemacht haben?
Etwas, das ich persönlich gelernt habe, ist „You can’t listen, when you speak“. Es ist wichtig, anderen zuzuhören, ihre Bedürfnisse zu verstehen und sie mitzunehmen, anstatt stur den eigenen Weg zu verfolgen.
Sie haben Ihre Nachhaltigkeitsstrategie für den Volkswagen-Konzern Regenerate+ genannt. Wie ist dieser Name entstanden?
Wir haben vor eineinhalb Jahren mit der Entwicklung der Strategie angefangen, in diese Zeit fiel auch der Earth Overshoot Day. Das bedeutet, dass wir an dem Tag rechnerisch die Ressourcen dieser Welt für das Jahr aufgebraucht haben und dann sozusagen mit den Ressourcen ins Minus gehen. Wenn es unser Ziel ist, alles auf Null zu setzen, dann würden wir quasi den Tag im August einfrieren. Es muss unsere Anstrengung sein, den Earth Overshoot Day wieder dorthin zu verlegen, wo er eigentlich hingehört: auf den 31. Dezember. Wir haben also gemerkt: Null reicht uns nicht, wir müssen eigentlich an der Regeneration arbeiten. Daher auch der Name unserer Nachhaltigkeitsstrategie.
Sie haben für Ihre Strategie die klassischen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit Ökologie, Ökonomie und Soziales auf vier Bereiche mit anderen Begriffen erweitert. Warum?
Wir brauchen die Säulen Gesellschaft, Wirtschaft und Natur, aber wir wollten auch unsere Mitarbeiter zu Wort kommen lassen, denn es gibt auch Punkte, die wir berücksichtigen wollen, wie Weiterbildung, Ausbildung, Gesundheit und Diversität. Deswegen ist das bei uns eine zusätzliche, eigene Dimension der Nachhaltigkeit.
Welcher dieser Bereiche ist der wichtigste?
Die vier Dimensionen müssen ausgewogen sein und es gibt keine feste Reihenfolge. Bei einigen Dimensionen stehen bestimmte Themen im Vordergrund, aber es ist wichtig, dass keine verloren geht.
Wie kommunizieren Sie intern die Notwendigkeit dieses Wandels?
Nachhaltigkeit ist weit mehr als CO2 und Klima – sie umfasst auch soziale Aspekte, zukunftsorientiertes Wirtschaften sowie Resilienz und Anpassungsfähigkeit. Volkswagen kann sich dem Trend zur Elektromobilität und Nachhaltigkeit nicht verschließen, sondern muss ihn aktiv mitgestalten. Das Selbstverständnis des Volkswagen-Konzerns ist es, die Technologieführerschaft zu übernehmen. Diese Entwicklung nicht mitzugestalten, würde den langfristigen Erfolg des Unternehmens und die Zukunft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefährden.
Wie gelingt es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei mitzunehmen?
Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben tolle Ideen, wie wir bestimmte Prozesse im Unternehmen nachhaltiger gestalten können. Was wir jetzt in diesem Jahr vorhaben und auch umsetzen werden, ist zum Beispiel ein sogenannter Sustainability Impact Fund, den wir intern mit bis zu 20 Millionen Euro pro Jahr auflegen, um eben die Mitarbeiter zu ermutigen, Themen einzureichen, um die Nachhaltigkeit zu verbessern. Das können ökologische Themen sein, das können aber auch soziale Themen sein.
Wie werden Sie dazu von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kontaktiert?
Auf vielfältige Weise, so haben wir zum Beispiel eine Chatfunktion entwickelt, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Ideen aufschreiben oder um Hilfe bei der Umsetzung bitten können.
Wichtig bei der Transformation sind auch die Partner. Wie werden diese, insbesondere die Zulieferer, auf die Volkswagen-Strategie verpflichtet?
Wir stehen in ständigem Austausch mit unseren Lieferanten, da diese oft die erste Stufe einer tieferen Wertschöpfungskette sind. Wir verfügen über ein Nachhaltigkeitsrating mit drei Kategorien für unsere relevanten Lieferanten. Unser Ziel ist eine Einstufung in den beiden besten Kategorien von über 95 Prozent bis 2040. Das sind Lieferanten, die alle unsere Bedingungen erfüllen, die Nachhaltigkeit sehr ernst nehmen und sich zusammen mit uns verbessern wollen. 100 Prozent sind rechnerisch leider nicht möglich, da kontinuierlich neue Lieferanten dazukommen. Dieser Prozess, in dem wir die Anforderungen prüfen und die Leistungen bewerten, dauert natürlich seine Zeit.
Was sind die Folgen für Lieferanten in den anderen Kategorien?
Erfüllt ein Lieferant unsere Anforderungen zur Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards nicht, können wir bei ihm nicht bestellen. Er ist nicht vergabefähig. So besteht ein direkter Anreiz für Lieferanten, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern. Dies gilt auch für Lieferanten mit einer mittleren Einstufung. Hier haben wir Verbesserungsmöglichkeiten festgestellt und arbeiten gemeinsam daran, diese zu realisieren.
Wie wird dies überprüft?
Für die Umsetzung von Regenerate+ haben wir ein Monitoringsystem eingerichtet und alle Indikatoren, die wir ausgewählt haben, sind dort eingetragen. Für ein oder zwei Indikatoren bekommen wir nur einmal im Jahr Datenpunkte, für andere gibt es monatliche Updates.
Nachhaltigkeit ist weit mehr als CO₂ und Klima – sie umfasst auch soziale Aspekte, zukunftsorientiertes Wirtschaften sowie Resilienz und Anpassungsfähigkeit. Dirk Voeste
Nun werden wir wahrscheinlich bald eine neue Bundesregierung haben. Was muss politisch besser werden, damit die Transformation gelingt?
Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir international und national akzeptierte Leitplanken und Richtlinien haben. So können Unternehmen transparent ihre Aktivitäten steuern. Wir brauchen auch Verlässlichkeit und Langfristigkeit. Man kann nicht ständig Leitplanken oder Gesetze und Verordnungen ändern. Das führt zu großer Verunsicherung, die in Stillstand münden kann, da man nicht weiß, in welche Richtung man gehen soll. Oder – noch schlimmer: man geht in die eine Richtung, obwohl man besser in die andere gegangen wäre. Das kostet viele Ressourcen und Zeit, die wir nicht haben.
Worauf freuen Sie sich in den nächsten Jahren am meisten?
Auf den Aufbau und die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft. Das begeistert mich sehr. Aus mehreren Gründen bin ich davon überzeugt, dass es eine echte Geschäftsmöglichkeit für den Volkswagen-Konzern ist. Denn es geht nicht nur darum, die Autos zu zerlegen und die Materialien weiterzuverwenden, sondern es braucht auch jemanden, der für die Teile des Altfahrzeugs eine neue Verwendung findet. So schaffen wir neue Geschäftsfelder, neue Arbeitsplätze und zahlen auf die Nachhaltigkeit ein.
Welche Rolle werden Partnerschaften dabei spielen?
Das kann man nicht alleine machen. Selbst ein Konzern wie Volkswagen mit seiner Größe, seiner Schlagkraft und seiner globalen Präsenz kann das nicht allein. Wir brauchen und wollen Partnerschaften eingehen, vorantreiben. Und die Kreislaufwirtschaft, wie der Name schon sagt, braucht ganz viele Partnerschaften, damit die Stoffe im Kreislauf bleiben und neue Verwendung finden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Bei all den aktuellen Herausforderungen: Blicken Sie insgesamt optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft?
Ich glaube, dass es sehr großer Anstrengungen bedarf und dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sehr viele Hürden zu überwinden sind. Aber es wäre fatal, wenn wir nicht optimistisch und tatkräftig an die Sache herangehen würden. Wir haben im Moment so viel Pessimismus und so viel Angst und Unsicherheit in der Welt, dass man eigentlich sagen muss, man muss hoffnungsvoll herangehen. Nicht idealistisch, sondern positiv und mit gesundem Menschenverstand. Der Klimawandel wird kommen und unser Leben beeinflussen, ob wir wollen oder nicht. Jetzt nicht nachlassen ist das Gebot der Stunde.