Umfrage: So sichert der Kombinierte Verkehr seine Zukunft

DB Cargo kann den ehrgeizigen Verlagerungsplänen der Politik nicht mehr folgen: Der Zustand des Netzes lässt aktuell keinen geregelten Betrieb von Güterzügen mehr zu. Weniger statt mehr Verkehr auf der Schiene: War’s das also mit der Erfolgsgeschichte des Kombinierten Verkehrs? Wir haben Marktteilnehmer aus unterschiedlichen Intermodalsegmenten dazu befragt. Und wir wollten auch wissen, ob ihnen andere Geschäftsmodelle einfallen als die, die derzeit den Markt prägen. Die Antworten finden Sie nachfolgend zusammengefasst.
Wie viel Wachstum verträgt der Kombinierte Verkehr in Europa, ohne am eigenen Erfolg zu ersticken?
Die Antwort auf diese Frage kann je nach Marktsegment oder Region unterschiedlich ausfallen. Als Durchschnittswert werden aber zwischen 5 und 10 Prozent pro Jahr am häufigsten genannt. Auffällig: In vielen Antworten taucht gleich im zweiten Satz der Hinweis auf, dass noch viel mehr ginge, würden nur die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen. Das zielt immer wieder ab auf die schlechte Schieneninfrastruktur, auf schlecht koordinierte Baustellen, auf knappe Terminalkapazität, fehlende Wagen, Loks und Lokführer.
Kritisiert wird aber auch die Wettbewerbssituation auf dem Netz. Das heißt einerseits: Güterverkehr soll endlich mit dem Personenverkehr gleichgestellt werden oder sogar vorrangig behandelt werden. Andererseits geht es aber auch um staatliche und private Marktteilnehmer: „In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Politik ganz überwiegend auf die Interessen der Staatsbahn ausgerichtet. Daher ist eine stärkere Wahrnehmung der Belange privater Eisenbahnen wichtig, die mittlerweile höhere Zuwächse der Verkehrsleistung und einen höheren Marktanteil verzeichnen“, sagt Harald Rotter, Geschäftsführer der IGS Intermodal Container Logistics GmbH.
Einige Marktkenner allerdings sind inzwischen deutlich pessimistischer. Sie glauben, dass vor allem auf der Schiene erst mal deutlich vorgeleistet werden müsse, bevor das Volumen wirklich wachsen könne. Beispielsweise Carsten Hemme, Geschäftsführer der Paneuropa Transport GmbH: „Ich glaube, mit der bestehenden Infrastruktur und den aktuellen Regularien sind wir ziemlich am Ende angekommen, was die Verlagerung angeht.“ Die Schiene brauche in ganz Europa digitale Schienen, Weichen, Stellwerke: „Dann könnten wir andere Zuglängen und Gewichte befördern und mit einer deutlich höheren Taktung erheblich bessere Laufzeiten erreichen.“ Auf dem Weg dahin sollten Bahnen ihre Ressourcen - Assets und Personal - bestimmten Einsatzgebieten fest zuordnen, so wie es die Deutsche Bahn mit „KV Bahn“ vor etlichen Jahren schon einmal angedacht, dann aber doch nicht umgesetzt habe.
Wo sehen Sie aktuell die zentralen limitierenden Faktoren?
Hier geht es im Detail immer wieder um die Situation im Schienennetz. Die Infrastruktur sei einer Dreifachbelastung ausgesetzt, kritisiert Klaus-Uwe Sondermann vom Beratungsunternehmen Kombiconsult. So entstehe eine ungute Mischung von „unterlassenen Investitionen in Neubau und Instandhaltung, reger, teilweise auch ungeplanter, zumindest wenig koordinierter Bautätigkeit im laufenden Betrieb und Wettbewerb um attraktive, regelmäßige und verlässliche Trassen mit dem ebenfalls notwendigen steigenden Personenverkehr“. Ein Flickenteppich von europäischen, nationalen und infrastrukturseitigen Regelungen erschwere das Ausweichen auf alternative Routen. Und: „Das vorherrschende Geschäftsmodell besteht immer noch darin, ein gut eingeführtes Produkt preislich zu unterbieten, statt echte Neuverkehre zu akquirieren.“
Die Vielzahl der Baustellen macht allen Kombiakteuren das Leben schwer. Sie ertragen sie zwar zähneknirschend, weil sie wissen: Mehr Kapazität sichert die Marktentwicklung. Mit dem Management der Baustellen aber hadern viele. Hans-Jörg Bertschi, Chairman der Schweizer Bertschi AG, ärgert sich vor allem über „international nicht abgestimmte Großbaustellen der Netzbetreiber auf den TEN-T Korridoren“ und dürfte damit Albert Bastius, COO/CSO bei der TX Logistik AG und damit als Operateur und Eisenbahnverkehrsunternehmen im internationalen Geschäft aktiv, aus dem Herzen sprechen. Allerdings gelingt es offenbar vielen Netzbetreibern schon nicht, ihre eigenen Baustellen zur Zufriedenheit der Nutzer zu koordinieren. Karsten Scheidhauer von Optimodal Nederland B.V. spricht von „üblem Baumanagement bei DB Netz“. Etwas zurückhaltender formuliert es Rotter: „Aktuell und auf absehbare Zeit stehen die flächendeckenden Baustellen (Anzahl und Management) im Netz der DB einem Ausbau von Verkehren entgegen.“
Große Sorgen bereitet allen Akteuren die Terminalkapazität. Das betreffe Anlagen in den Seehäfen ebenso wie solche im Hinterland, betont Bernd Decker, Geschäftsführer der ERS Railways GmbH. Allen ist aber auch klar, dass Abhilfe dauert – Aus- und Neubau müssten deshalb frühzeitig angeschoben werden. In Deutschland heißt das wohl eher sehr frühzeitig. Denn auch im Kombinierten Verkehr dauert die Schaffung von Infrastruktur lange. Bastius verweist auf eindeutig „zu lange Planungs- und Genehmigungszeiten“, Rotter zusätzlich auf fehlende Flächen: „Greenfield-Projekte sind kaum noch zu realisieren. Geeignete Brownfield-Infrastrukturen sind entweder nicht mehr verfügbar oder werden für bahnfremde Nutzung verwendet.“
Hinzu kommt: Auch im Kombinierten Verkehr fehlt Fachpersonal. Alle Infrastruktur nutzt schließlich wenig, wenn es keine Menschen gibt, die Loks fahren, Lkw steuern, Umschlaggeräte bedienen. Roman Mayer, CEO der Swissterminal AG, vermisst „Lokführer:innen“; Linn Lauerbach von Emons-Rail-Cargo weiß von Ladestellen, wo die Gestellung durch fehlendes Personal begrenzt wird.
Spediteur, Eisenbahn, Operateur, Terminalunternehmen: Ist die angestammte Aufgabenteilung im europäischen Kombinierten Verkehr noch zeitgemäß?
Ein deutliches „Ja“ mit einem leisen und dennoch vernehmlichen „Aber“: So lassen sich die Rückmeldungen zu dieser Frage zusammenfassen. Für Berater Sondermann ist das etablierte Modell austariert und „trägt auch dazu bei, dass kleinere und mittlere Marktteilnehmer den Weg von der Straße auf die Schiene finden“. Die angestammte Aufgabenteilung „erlaubt den einzelnen Playern eine Spezialisierung und Effizienzsteigerung in ihrem Tätigkeitsfeld“, betont Hinterland-Spezialist Rotter.
In der Praxis schöpfen die Beteiligten allerdings das Potenzial nicht optimal aus. „Jeder für sich und gegen die anderen wird in Zukunft kein Erfolgsmodell sein können“, mahnt Spediteur Hemme: „Bei der Brennersperre hat jedes EVU jeden Zug abgefahren und man hat sich geholfen - da hatten wir trotzdem sehr gute oder sogar bessere Laufzeiten als vorher“. Einige Player legten leider den Fokus auf „Kaufen, Übernehmen und Zerstören anderer Anbieter“, kritisiert Scheidhauer. Für Bertschi muss die Kollaboration verbessert werden.
Dennoch: Der Markt muss sich auf veränderte Erwartungen der Kunden einstellen. „Integrierte und digitalisierte Lieferketten sowie maßgeschneiderte Lösungen werden die Zukunft im Transportsektor sein. Die Kunden brauchen eine einzige Anlaufstelle, um die Transport- und Logistikkette zu vereinfachen“, sagt Barbara Chevalier, Director Strategy & Business Development beim luxemburgischen Anbieter CFL Multimodal.
Schon jetzt verwischen sich die angestammten Rollen allmählich. „TX Logistik ist zugleich EVU, Operateur und – wie in Padborg – auch Terminalbetreiber und kann somit alle Leistungen aus einer Hand anbieten“, sagt Bastius. Und Sondermann berichtet von „Eisenbahnen, die großen Speditionen direkte Angebote für Ganzzüge machen – und die Spediteure saugen dann mit Ganzzugpreisen den Markt auf“.
Parallel dazu gibt es immer mehr Beispiele für eine „vertikale Integration“ in der multimodalen Transportkette. Die wird vor allem getrieben durch das Engagement großer Reedereien. Für Tobias Behncke, Head of Intermodal Services beim Lübecker Operateur ECL – European Cargo Logistics, „klingt das erst mal sinnvoll – alles aus einer Hand wäre super.“ Er zweifelt aber, ob das tatsächlich organisatorisch umsetzbar sein wird. Auch Janez Merlak, Managing Director beim slowenischen Operateur Adria Kombi, ist eher pessimistisch: „Es gibt zu viele Interessenskonflikte innerhalb der Lieferkette, als dass die Reedereien auf Dauer alle Verkehrsträger erfolgreich steuern könnten.“
Rotter sieht das deutlich entspannter: „Das Angebot aus einer Hand ist heute der Standard der Operateure als Architekten der intermodalen Transportkette. Unabhängig davon ermöglicht die Digitalisierung durchgängig Prozesse unabhängig von gesellschaftsrechtlicher Trennung.“ Und für Bastius ist klar: „Letztlich definiert jedes Unternehmen seine Rolle und Strategie in diesem Markt selbst – solange es erfolgreich ist.“
Sehen Sie andere Geschäftsmodelle, die eine dynamischere Entwicklung des Kombinierten Verkehrs ermöglichen würden? Wenn ja: welche?
Disruptive Ideen stehen dem intermodalen Verkehr offenbar noch nicht ins Haus. Allenfalls Plattformen werden genannt – aber eher als Ansätze, Ressourcen besser zu nutzen und Kosten im System zu senken. „Wenn die genannten Voraussetzungen für das Wachstum im Kombinierten Verkehr geschaffen werden und die limitierenden Faktoren entfallen, braucht es grundsätzlich kein anderes Geschäftsmodell“, ist Bastius überzeugt. Die Botschaft: Das etablierte System kann noch viel mehr – es muss und kann aber besser werden. Sondermann sagt: „Die etablierten Teilnehmer müssen ihre Hausaufgaben machen.“ Und Bertschi ist überzeugt: „Eine dynamischere Entwicklung des Kombinierten Verkehrs setzt vor allem mehr Terminal-Investitionen, eine Korridor-Betrachtung bei Verkehrsplanung und Verkehrswegeunterhalt (statt primär nationaler Sicht) sowie eine Gleichbehandlung von Güter- und Personenverkehr bei Störungen voraus.“
ECL-Manager Behncke denkt an neue Geschäftsmodelle wie Pool-Systeme, die unterschiedliche Interessen bündeln – „mit hoher Taktung von Verbindungen und zentralisierter Produktion auf Basis geteilter Risiken zum Nutzen von vielen“. Für Rotter ist das mit Abstand wichtigste Geschäftsmodell für eine dynamischere Entwicklung des Kombinierten Verkehrs „eine konsequente Privatisierung aller Transportleistungen“: Solange der Staat der Auffassung sei, er müsse Transportlogistik im Wettbewerb zu privaten Anbietern erbringen, „wird es steuerfinanzierten Verlustausgleich und daraus resultierende Wettbewerbsverzerrungen geben – und die behindern das Interesse der Privatwirtschaft, in das System KV in dem Maße zu investieren, wie es nötig und sinnvoll wäre.“
Irmtraut Tonndorf, Communications Manager beim Schweizer Operateur Hupac, regt einen alternativen Ansatz bei den Netzbetreibern an: Sie sollten eine Kapazitätsorientierung unterlegen, die im Normalbetrieb mindestens 120 Prozent Trassenkapazität sichert – und mindestens 80 Prozent bei Baustellen und Unterbrechungen mit funktionstüchtigen Umleitungsstrecken.
Wie viel geht noch im Kombinierten Verkehr? Die Antwort hängt vor allem vom Ausbau und der Leistung der Umschlagterminals ab.