Neue Lieferketten auf fairer Basis
Lieferketten zu diversifizieren, ist eine der großen Herausforderungen für Industrie- und Handelsunternehmen in den kommenden Jahren. Die Abhängigkeit von asiatischen Ländern zu reduzieren ist nicht leicht, denn zum einen müssen Alternativen erst aufgebaut werden – Beispiel Chipfertigung – und zum anderen sind die logistischen Voraussetzungen in vielen Ländern Asiens hervorragend. Allen voran steht China seit vielen Jahren unangefochten an der Spitze hinsichtlich globaler Logistikverflechtung und schneller Prozessabwicklung.
Doch dieser Status beginnt zu bröckeln. In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie schnell Lieferketten aus China beeinträchtigt werden können und welch weitreichende Folgen das haben kann. Darüber hinaus gilt das Land auch aufgrund seiner politischen Ausrichtung nicht mehr als zuverlässige Beschaffungsquelle. Dennoch ist eine Abkehr vom chinesischen Markt für viele Unternehmen keine Option – eine sukzessive Verringerung der Abhängigkeit über einen längeren Zeitraum hingegen schon.
Unterschiedliche Wirtschaftsstrukturen
Außer den ASEAN-Staaten sind afrikanische Länder dabei geostrategisch sehr bedeutsam. So ist die EU der wichtigste Handelspartner Westafrikas, und die Region ist zugleich wichtigstes Investitionsziel der EU auf dem Kontinent. Es geht bei den Handelsbeziehungen allerdings um andere Produkte und Erzeugnisse, als das bei Lieferketten aus Asien der Fall ist. Die EU führt überwiegend Brennstoffe, Textilien und Nahrungsmittel ein und liefert zu einem Großteil Maschinen, Chemikalien und Pharmazeutika. High-Tech-Güter, Elektronik und Komponenten werden hingegen eher aus Asien importiert. Insofern sind die Möglichkeiten für eine Diversifizierung von Lieferketten weniger aufgrund der logistischen Infrastruktur beschränkt als vielmehr aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen in Asien und Afrika.
Innerhalb des Kontinents gilt seit 2021 das Freihandelsabkommen AfCFTA, dem sich bis auf Eritrea alle afrikanischen Staaten angeschlossen haben. Ziel ist, Handel zwischen den Ländern und damit deren Wachstum zu fördern. Denn auch afrikanische Länder wollen Abhängigkeiten reduzieren, nämlich von Europa, den USA und China. Damit stehen die Handelsbeziehungen mit der EU unter neuen Vorzeichen. EU und afrikanische Union (AU) haben eine Vision für eine stabile langfristige Partnerschaft entwickelt, die neben Investitionspaketen auch eine verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Mobilität und Migration beinhaltet.
Wenn sich diese Vision in der wirtschaftlichen Realität niederschlägt, können afrikanische Länder für westliche Unternehmen als Rohstoffquellen und Beschaffungsregionen langfristig an Bedeutung gewinnen, und so zumindest teilweise die Abhängigkeit von Asien reduzieren. Dabei müssen Hürden bewältigt werden wie das EU-Lieferkettengesetz, das für einen fairen Handel essentiell ist. Nach einer bislang nicht veröffentlichten Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) geben 65 Prozent der Unternehmen an, dass das Gesetz ihre Diversifizierungsbemühungen erschwert. Es gebe bereits erste Unternehmen, die sich vom afrikanischen Markt verabschieden.
Unternehmen wollen Aktivitäten ausweiten
Die Umfrage liefert aber noch einige andere interessante Zahlen: So finden 78 Prozent der Befragten, dass ein stärkeres Engagement in afrikanischen Ländern die Abhängigkeit von China und Russland reduzieren kann. Über zwei Drittel der Befragten wollen ihre Aktivitäten auf dem Kontinent ausweiten. Das zeigt, das Lieferkettengesetz kann nicht nur als Hindernis gesehen werden, sondern womöglich auch als Chance, um sich auf dem afrikanischen Markt in eine gute Position zu bringen.
Zunächst ist es schwierig, die Vorgaben des Lieferkettengesetzes zu kontrollieren und zu dokumentieren. Hierbei wird eine enge Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern notwendig sein. Ansätze für Lösungen gibt es zum Teil schon in den Ländern selbst – wie das Beispiel Elfenbeinküste zeigt. Bei der Kontrolle der Arbeitsbedingungen auf Kakaoplantagen setzt die Regierung auf Digitalisierung. Bis zum Ende der Erntesaison 2023/34 sollen die Erzeuger eine Chipkarte bekommen. Damit lässt sich nachvollziehen, von welcher Parzelle ein Kakaosack stammt und ob die Anforderungen des Lieferkettengesetzes eingehalten wurden. Die Bäuerinnen und Bauern können über die Karte zudem ihren Lohn erhalten.
Interessant ist das Beispiel, weil es zeigt, dass ein Ursprungsland mitunter eine hohe digitale Problemlösungskompetenz aufweist, die für westliche Unternehmen von Vorteil ist. Es werden wohl solche Initiativen sein, die künftig zum langfristigen Bestand von Lieferketten beitragen.