Fachkräftemangel, die ideale Allzweck-Ausrede

Der Negativtrend auf dem Arbeitsmarkt setzt sich weiter fort. Politik und Unternehmen sollten sich Gedanken machen, wie sie die klassische Ausbildung an das neue Normal anpassen können. Stattdessen dient der Fachkräftemangel als Vorwand, um die Füße hochzulegen, kritisiert DVZ-Redakteurin Amelie Bauer.

Fahrer und Fachkräfte werden verzweifelt gesucht. Eine Nachricht, die im Jahr 2024 niemanden mehr aus den Latschen haut. Vermutlich ist Ihnen deshalb entgangen, dass es sich bei dem Satz um eine DVZ-Headline von 2019 handelt. Es ist eine der Nachrichten, die so regelmäßig aufpoppen, dass sich ihr Sensationswert über die Jahre abgenutzt hat.

Auch die folgenden Zahlen lassen sich nahtlos in die Berichterstattungskette über den Fachkräftemangel eingliedern: 37 Prozent der Logistikentscheider klassifizieren den Mangel an Arbeitskräften einer aktuellen Studie zufolge als hoch bis extrem hoch, 40 Prozent sehen einen leichten Mangel. Auch auf dem Ausbildungsmarkt setzt sich der Negativtrend fort, zeigt eine Auswertung vom Speditionsverband DSLV zur aktuellen Ausbildungsstatistik der DIHK. Das Problem ist alt, Lösungen gibt es trotzdem keine.

Denn Schuld allein sei der Akademisierungswahn der Jugendlichen, ist aus der Wirtschaft immer wieder zu hören. Dabei ist zwischen 2011 und 2021 nicht nur die Zahl neuer Azubis, sondern auch die der Studierenden pro Jahr gesunken, zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Schuld sei der demografische Wandel. Dabei gab es im vergangenen Jahr nicht nur mehr unbesetzte Ausbildungsstellen, es blieben auch mehr aktive Bewerberinnen und Bewerber unversorgt. Die Zahl stieg im Vorjahresvergleich um 16,3 Prozent auf 26.400, heißt es im Berufsbildungsbericht 2024. Schuld sind also alle, nur nicht die Unternehmen selbst.

Dass die Herausforderung groß ist und in den kommenden Jahren noch viel größer werden wird, steht außer Frage. Sind die Babyboomer erst einmal in der wohlverdienten Rente, geht der Kampf um kluge Köpfe und starke Arme erst richtig los. Dennoch darf der Fachkräftemangel nicht zu einem Vorwand werden, um die Füße hochzulegen und sich eine Zeit zurückzuwünschen, in der Lehrjahre noch keine Herrenjahre waren und der klassischen Ausbildung noch ein anderer Wert beigemessen wurde.

Das öffentliche Ansehen der Berufsausbildung muss wieder gleichwertig mit der akademischen Bildung sein, heißt es oft, wenn Lösungsvorschläge zum Nachwuchsmangel gesucht werden. Eine klassische Ausbildung ist nicht schlechter als ein Studium, da kann ich nur zustimmen. Und doch ist es leider unrealistisch, in der Gesamtgesellschaft diesbezüglich auf ein schnelles Umdenken zu hoffen. Abitur und Studium sind für viele junge Menschen und ihre Eltern zum Normalfall geworden. Anstatt die Wünsche junger Generationen diesbezüglich krampfhaft ändern zu wollen, sollten sich Politik und Unternehmen Gedanken machen, wie sich dem entgegenkommen lässt.

Mögliche Inspirationen bieten Berufe wie die des Ergotherapeuten, die sowohl durch eine klassische Ausbildung als auch durch ein Studium erlernt werden können. Ein weiteres Beispiel ist das neue duale Bachelorstudium „Hebammenwissenschaft“, welches die herkömmliche Ausbildung bald vollständig ablösen wird. Trotz steigendem Interesse an höheren Bildungsabschlüssen sollte auf dem Arbeitsmarkt dennoch keine vermeintliche Bestenauslese betrieben werden. Unternehmen sollten für alle Schulabgängerinnen und Schulabgänger Möglichkeiten für die berufliche (Weiter-)Entwicklung schaffen – und ihren Nachwuchs gut bezahlen.

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