Binnenschifffahrt: Zu viel Alkohol, zu wenig Matrosen

Die in der Öffentlichkeit wenig bekannten Rheinschifffahrtsgerichte, die es in allen Staaten entlang des Rheins gibt, sind zuständig für Vorfälle auf der bedeutendsten Binnenwasserstraße Europas und in deren Häfen.

Bei Rheinkilometer 338,9 machte der Lotse der „Bellriva“ einen großen Fehler. Der 78-Jährige, der gerade am Ruder war, steuerte trotz einer Warnung in einer Linkskurve zu früh gegen, so dass das mit 114 Passagieren besetzte Fahrgastkabinenschiff gegen mehrere Buhnen prallte und beschädigt wurde. Der Versicherer des Schiffes forderte von dem Mann Schadenersatz, und so landete der Streit vor dem Rheinschifffahrtsgericht Kehl, einem von fünf regional zuständigen Rheinschifffahrtsgerichten in Deutschland.

Die in der Öffentlichkeit wenig bekannten Gerichte, die es in allen Staaten entlang des Rheins gibt, sind zuständig für Vorfälle auf der bedeutendsten Binnenwasserstraße Europas und in deren Häfen – „aber auch immer nur, wenn vonseiten des Schiffes etwas passiert“, sagt Inken Arps, Richterin des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort.

Mit Mannheimer Akte verbunden

Die an Amtsgerichten angesiedelten Rheinschifffahrtsgerichte wurden mit der „Mannheimer Akte“ oder „Revidierten Rheinschifffahrtsakte“ von 1868 aus der Taufe gehoben. Sie sind strafrechtlich zuständig, wenn es um Verstöße gegen strom- und schifffahrtspolizeiliche Vorschriften geht, wie der Transportrechtler Prof. Andreas Maurer von der Universität Mannheim erläutert. Wenn zum Beispiel jemand auf einem Tankschiff mit dem Winkelschleifer Rost entferne, komme er vors Rheinschifffahrtsgericht, „weil man auf einem Tankschiff halt keinen Funkenflug verursachen darf“. „Sehr häufig“ geht es laut Richterin Arps um nicht eingehaltene Ruhezeiten oder darum, dass ein Schiff zu tief abgeladen oder „unterbemannt“ ist, also weniger oder weniger qualifizierte Leute an Bord hat als vorgegeben. „Das sind Ordnungswidrigkeiten, da kommt eine Geldbuße raus“, sagt sie.

„Soweit von Strafsachen in der Rheinschifffahrtsakte gesprochen wird, betrifft dies historisch gesehen ,Übertretungen‘, die heute als Bußgeldsachen bezeichnet werden“, erklärt der Direktor des Amtsgerichts Kehl, Nicolas Gethmann. Sebastian Rechkemmer vom Amtsgericht Mannheim nennt als Themen „hauptsächlich die Straftatbestände oder Ordnungswidrigkeiten der Trunkenheitsfahrt, des gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr, der Gewässerverunreinigung und unerlaubtes Benutzen des Hafengewässers". Der Mainzer Amtsgerichtspräsident Jens Wilhelmi erwähnt zudem Probleme mit den angegebenen Ladungsmengen. Straftaten wie Mord oder Diebstahl landen nur vorm Rheinschifffahrtsgericht, wenn sie mit dem Schiffsbetrieb zusammenhängen; dann könne man darüber reden, so der Direktor des Amtsgerichts St. Goar, Matthias Teriet. Ansonsten sind dafür „normale“ Gerichte zuständig.

Hoher Streitwert

In Zivilsachen sind es Maurer zufolge „letztlich tatsächlich die Schiffsunfälle, die dann übrigbleiben“. Dabei gehe es immer um Schadenersatzansprüche, etwa wegen des Streifens eines anderen Schiffes, von Brücken oder Anlegestellen, so Wilhelmi. Zu Zusammenstößen kommt es laut Arps etwa beim Überholen oder weil einer dem anderen auffährt. Dabei kann Fracht durch Wasser beschädigt werden. „In Zivilsachen kann der Streitwert schnell mehrere Hunderttausend Euro betragen“, sagt Gethmann. Das Verfahren, das möglichst einfach und beschleunigt geführt werden soll, ende dann oft mit einem Grundurteil zur Haftung, und die Schadenshöhe werde außergerichtlich reguliert.

Arps beschäftigt nach wie vor die Explosion auf einem Tankschiff in einer Duisburger Werft mit drei Toten im Jahr 2016. Das Verfahren wird teils vor dem Rheinschifffahrtsgericht, teils vor dem Schifffahrtsgericht geführt. „Ein Schifffahrtsgericht ist zuständig, wenn nicht die Zuständigkeit eines Rheinschifffahrtsgerichts gegeben ist“, erklärt Maurer. Schifffahrtsgerichte sind Amtsgerichte, die für Binnenschifffahrtssachen zuständig sind. Für die Mosel gibt es noch das Moselschifffahrtsgericht.

Als Rheinschifffahrtsrichterin bekommt Arps, die sonst für Betreuungssachen zuständig ist, pro Jahr etwa 10 bis 14 Fälle auf den Tisch. Bei den beiden Rheinschifffahrtsgerichten in Baden-Württemberg gingen laut Stuttgarter Justizministerium 2021 fünf Zivil- und zehn Straf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitsverfahren ein, in St. Goar waren es fünf Zivil- und zwölf Strafsachen, in Mainz standen vier Zivil- und zwei Strafsachen an.

Sind die Gerichte angesichts der niedrigen Zahlen noch sinnvoll? Ja, meint Maurer, dessen Institut Datenbanken für Urteile im Binnenschifffahrtsrecht betreibt. Die Richter befassten sich über lange Zeit hinweg mit der Materie. Das sei auch nötig, denn das Binnenschifffahrtsrecht sei „nicht ohne“ und die darauf spezialisierten Anwälte sehr gut. Die Kollision der „Bellriva“ beschäftigte am Ende gar den Bundesgerichtshof. (jpn)

Die Gerichte sind immer nur dann zuständig, wenn vonseiten des Schiffes etwas passiert.

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