Wie TMS, Plattformen und KI den Mittelstand voranbringen

Steigende Komplexität und neue gesetzliche Pflichten fordern die Speditionen heraus. Laut den Experten der 8. DVZ-Konferenz TMS & Co. bieten Plattformen, KI und moderne TMS konkrete Ansätze, um Prozesse effizienter zu gestalten und Risiken besser zu steuern.

Björn Baur, Sebastian Grollius, Pascal Dietrich und Steffen Landsiedel erklären im Gespräch mit DVZ-Chefredakteur Sebastian Reimann, ab welchem Genauigkeitsgrad Prognosetools volatilitätsbedingte Kosten in Stückgutnetzen senken können (von links). (Foto: Marlin Prauss)

Technische Innovationen sind in der Transportlogistik nicht länger optional, sondern unbedingt strategisch erforderlich. Das verdeutlichte die 8. DVZ-Konferenz TMS & Co. im Frankfurter House of Logistics and Mobility. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen stehen nach Ansicht der beteiligten Experten vor der Aufgabe, ihr digitales Fundament auf Grundlage wirtschaftlich tragfähiger Entscheidungen zukunftssicher auszubauen.

„Ein TMS ist kein Selbstzweck, sondern der operative Rahmen der Speditionsstrategie“, betonte Raoul Wintjes, Leiter Internationaler Straßengüterverkehr, Luftfrachtspedition, Digitalisierung beim DSLV Bundesverband Spedition und Logistik, in seiner Keynote. Er warnte vor dem Technologieeinsatz ohne klares Zielbild und forderte die systematische Verzahnung von Prozessen und IT, um angesichts wachsender Aufgaben handlungsfähig zu bleiben. Datenqualität, Nachhaltigkeit und Mitarbeiterbindung müssten dabei als gleichwertige Ziele digitaler Projekte behandelt werden.

In einem Expertengespräch zur Sicherheit von IT-Systemen betonte Robert Gutsche, Finianzchef der Röhlig-Gruppe, dass Investitionen in die Resilienz der eigenen Organisation strategisch erforderlich seien. „Wir müssen davon ausgehen, dass Angriffe passieren. Entscheidend ist, wie gut wir dann vorbereitet sind“, unterstrich er. Die größte Schwachstelle beim Umgang mit Daten und Systemen liege dabei nicht in der Technik, sondern im menschlichen Verhalten. Er plädierte deshalb für mehr und bessere Schulung im Umgang mit Sicherheitsrisiken und eine stärkere Verzahnung zwischen IT und Geschäftsführung.

Auch Miriam Schaak, Leiterin des Incident Response-Teams beim Bornheimer Certified Security Operations Center, verdeutlichte die Herausforderung: „IT-Sicherheit ist ein kontinuierlicher Prozess, keine Momentaufnahme“, mahnte sie und empfahl, genauso viel Wert auf Reaktionszeiten und eingeübte Meldeprozesse zu legen wie auf technische Schutzmaßnahmen.

Miriam Schaak
(Foto: Marlin Prauss)
IT-Sicherheit ist ein Prozess, keine Momentaufnahme. Miriam Schaak, Certified Security Operations Center

Speditionen sollten ein strukturiertes Risikomanagement etablieren, unabhängig davon, ob die finale Fassung der europäischen Cybersicherheitsrichtlinie NIS 2 für sie gelte oder nicht, empfahl Michael Schuster, Geschäftsführer der Münchner Strategieberatung SBCF & CIE. Viele Unternehmen seien sich noch nicht bewusst, in welchen Bereichen bei Cybervorfällen Meldepflichten für sie bestehen und welche Sanktionen bei deren Verletzung drohen.

Wie sich die Umschlaghalle mit digitalen Modellen besser steuern lässt, zeigte Farhad Omid, Lead Architect des Digitalen Zwillings der Zufall Logistics Group. Mit der Unterstützung von Sensorik, Bluetooth-Ortung und prozessbegleitenden Scanpunkten entstehe ein kontinuierlich aktualisiertes digitales Abbild der physischen Packstücke und deren Bewegungen – von der Ankunft auf dem Hof über den Halleneingang durch ein Vermessungsgate bis zur Verladung.

Ein eigens entwickeltes Twin-OS fungiert dabei als Betriebssystem für die Steuerung des Umschlaglagers. Es integriere den Status operativer Prozesse in die laufende Planung „Wir schaffen damit die Grundlage für künftige KI-gestützte Steuerung“, verriet Omid. Das Unternehmen könne bereits während der Pilotphase 5 Prozent der Kosten im Umschlaglager sowie weitere 3 Prozent im Nahverkehr einsparen.

Die Volatilität vorhersehen

Wie Stückgutnetzwerke die Auswirkungen extremer Auslastungsschwankungen beherrschen können, illustrierten die Kooperationen Cargoline und NG.Network mit ihren Prognosetools von Cargocast und Siemens Digital Logistics. „Wenn wir wissen, was kommt, können wir gezielt steuern“, betonte Sebastian Grollius, Mitglied der Cargoline-Geschäftsleitung. „Unsere Lösung erreicht auf Tagesebene eine Genauigkeit zwischen 95 und 96 Prozent, auf die gesamte Woche betrachtet sogar von 98 Prozent“, berichtete Cargocast-Geschäftsführer Pascal Dietrich. Dabei sei schon ein einziger zu viel eingeplanter Lkw im Nahverkehr monatlich mit Mehrkosten von 10.000 Euro verbunden.

Für Raoul Wintjes, Leiter Internationaler Straßengüterverkehr, Luftfrachtspedition, Digitalisierung beim DSLV Bundesverband Spedition und Logistik, ist das TMS eine wichtige Datendrehscheibe. (Foto: Marlin Prauss)
Farhad Omid, Lead Architect Digitaler Zwilling der Zufall Logistics Group, spricht über den digitalen Zwilling der Umschlaghalle. (Foto: Marlin Prauss)
Robert Gutsche (Röhlig-CFO), Michael Schuster (Geschäftsführer SBCF Cie.) und Miriam Schaak (Leiterin Incident Response-Team CSOC) raten Speditionen im Gespräch mit DVZ-Chefredakteur Sebastian Reimann angesichts von Cybergefahren zum Risikomanagement (von links). (Foto: Marlin Prauss)
Ralf Malek (Geschäftsführer Dr. Malek Software) und Rainer Hoppe besprechen aktuelle Entwicklungen (von links). (Foto: Marliln Prauss)
Gunnar Gburek, leitender Unternehmenssprecher der Frachtvergabeplattform Timocom, zeigt die Vorteile digitaler Transportunternehmerprüfung. (Foto: Marlin Prauss)
Andreas Bertolino, Head of Productmanagement Direct Load West Europe bei Hellmann Worldwide Logistics, verdeutlicht, warum Fahrer lieber per Messenger mit ihren Disponenten kommunizieren. (Foto: Marlin Prauss)
Maurice Morabel, Mitgründer und Geschäftsführer von Clover Optimization, verbindet Touren- und Laderaumoptimierung. (Foto: Marlin Prauss)
Thomas Matschl, Senior Consultant Excellence & Projekte bei DB Cargo Logistics, erklärt, wie sein Unternehmen im Störungsfall mit dem TMS KV-Züge für die Produktion eines Automobilherstellers priorisiert auf die Straße umdisponiert. (Foto: Marlin Prauss)

„Transparenz ist der Schlüssel, um Frühindikatoren richtig zu interpretieren“, ergänzte Steffen Landsiedel, Leiter IT und Digitalisierung bei NG.Network. Durch KPI-Dashboards könne der Verbund vermeiden, dass einzelne Betriebe über ihre Leistungsfähigkeit hinaus ausgelastet werden. Zudem analysiere die Anwendung auch die Netzstruktur, verriet Björn Baur, Senior Director Supply Chain Consulting bei Siemens Digital Logistics: „Wir prüfen aktuell zum ersten Mal, wie sich die Hauptläufe nach logistischen Kriterien anstatt der Zugehörigkeit zu einem Partner oder Gesellschafter organisieren lassen.

Prof. Thomas Krupp
(Foto: Marlin Prauss)
Durch die Daten erkennen sie, wo Handlungsbedarf besteht. Prof. Thomas Krupp, Technische Hochschule Köln 

Speditionen, die moderne TMS eingeführt haben, verschafften sich einen Wettbewerbsvorteil, hat Thomas Krupp, Professor für Transport und Verkehrslogistik an der Technischen Hochschule Köln, bei der Kennzahlenauswertung für den Speditionsmonitor Prozesse/IT beobachtet. Der Branchenvergleich verdeutliche deshalb die strategische Bedeutung datengetriebener Entscheidungen. „Wer ein totes Pferd reitet, sollte absteigen und nicht das Futter wechseln“, warnte er mit einer plakativen Metapher davor, zu lange an überholten IT-Strukturen festzuhalten.

Krupp empfahl Speditionen, die pragmatisch festgelegten Kennzahlen des Branchenüberblicks in jedem Fall für sich selbst zu erheben. „Durch die Beschäftigung mit den Daten erkennen sie sowohl, wo Handlungsbedarf besteht, als auch, wie sie im Vergleich zum Wettbewerb aufgestellt sind“, so der Controlling-Experte. Ziel müsse es zudem sein, Prozesse und TMS so gut aufgestellt zu haben, dass sich die Daten automatisch ermitteln lassen.

Synergien senken die Kosten

„Wir schaffen 20 Prozent mehr Auslieferungen mit derselben Flotte“, versprach Maurice Morabel, Co-Founder und Geschäftsführer von Clover Optimization im Lösungspitch am Nachmittag. Das System verbinde die Laderaum- und Routenoptimierung miteinander und erziele dadurch Synergien. Dabei verkürze die Lösung die Dispositionszeiten und Streckenlängen signifikant und senke zudem den CO2-Ausstoß der Transporte. Disponiert werde wie gewohnt im TMS, die Berechnungen erfolgten im Hintergrund.

Eine schnelle und zuverlässige Lösung für die Kommunikation mit Fahrern im Fernverkehr präsentierten Max-Alexander Borrek, Mitgründer und Geschäftsführer von Zekju, und Andreas Bertolino, Leiter des Produktmangements für Direktverkehre in Westeuropa bei Hellmann Worldwide Logistics. Der Datendienst verwendet gängige Messenger wie Whatsapp, Telegram oder Viber, um Auftragsdaten aus dem TMS an Fahrer zu übermitteln und Zustellbelege am Ende der Tour an die Disposition zu senden. „Unsere Lösung funktioniert auf jedem Endgerät, ganz ohne Installation“, betonte Borrek. Den entscheidenden Nutzen für die Spedition verdeutlichte Bertolino: „Wir können auch Subunternehmer problemlos anbinden, sogar vom Spotmarkt.“

Dass sich selbst Just-in-Time und Just-in-Sequence-Transporte für die Automobilindustrie im kombinierten Verkehr Straße-Schiene mit einem cloudbasierten TMS zuverlässig steuern lassen, dokumentierten Benjamin Götz, Geschäftsführer von Solutions for Logistics und Thomas Matschl, Senior Consultant der Bahn-Tochter DB Cargo Logistics. Täglich steuert das System acht KV-Züge und rund 500 Auflieger mit Zulieferteilen aus dem europäischen Ausland in Richtung der Endmontage.

Eine durchgängige Transportmanagementlösung übernehme dabei die Beauftragung und Steuerung aller Verkehrsträger und gleiche die Transportvorgänge permanent mit den Zeit- und Mengenvorgaben des Fahrzeugherstellers ab. Dabei habe der Workflow eine Prozessstabilität von mehr als 90 Prozent erreicht. „Auch die Eskalation bei Störungen erfolgt automatisiert“, betonte Matschl. Dann ermögliche ein Sonderprozess, Trailer mit fertigungskritischen Teilen wieder aus dem KV zurückzuziehen und per Lkw priorisiert zuzustellen.

Für die Experten der Konferenz gewinnen TMS angesichts neuer Plattformen und Lösungen künftig weiter an Bedeutung – als strategischer Mittelpunkt intelligenter Netzwerke.

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben