Viele Wege führen zum KI-Einsatz

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz im betrieblichen Alltag stellt viele Logistikunternehmen vor Herausforderungen. Beim KI-Day der DVZ zeigten Experten, wie der Sprung in die KI-Praxis gelingt – und warum der Wandel bei Daten und Prozessen beginnt.

Der KI-Day der DVZ fand Anfang November in Frankfurt/Main statt. Praxislösungen und Erfahrungsberichte standen im Mittelpunkt. (Illustration: iStock [M])

Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den vergangenen drei Jahren zu einer Schlüsseltechnologie für Effizienzsteigerung und Automatisierung in der Logistikwirtschaft entwickelt. Doch der Weg zu funktionierenden Lösungen beginnt oft schmaler, als viele denken. „Man muss kein eigenes Modell mehr trainieren, um von KI zu profitieren“, betont Nils Espey, Geschäftsführer der DHN Digital UG. Er war Referent beim KI-Day, der Anfang November von der DVZ veranstaltet wurde. „Mit Schnittstellen zu bestehenden Sprachmodellen lassen sich heute viele Prozesse schnell und mit überschaubarem Aufwand automatisieren.“

Seine Agentur begleitet vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei der Umsetzung solcher Projekte. In der Logistik etwa habe sich gezeigt, wie groß das Potenzial ist, wenn wiederkehrende manuelle Tätigkeiten mit KI-Unterstützung bearbeitet werden. Ein Beispiel ist die automatisierte Analyse von Sicherheitsdatenblättern in der Gefahrstofflogistik. „Was früher drei bis vier Tage gedauert hat, erledigt sich heute in wenigen Sekunden“, berichtet Espey. Mit Hilfe eines Large-Language-Models werden relevante Angaben – beispielsweise Lagerklasse, Flammpunkt oder H-Sätze – aus teils Tausenden Dokumenten extrahiert. „So kann der Mitarbeiter schneller entscheiden, in welcher Menge ein Stoff eingelagert werden darf.“

In einer Diskussionsrunde wurden die Erkenntnisse aus den Einzelvorträgen diskutiert und aus verschiedenen Blickwinkeln inhaltlich vertieft. (Foto: Marlin Prauss)
Nils Espey, Geschäftsführer DHN Digital (Foto: Marlin Prauss)
Guillaume Petit-Perrin, CEO Forto Logistics (Foto: Marlin Prauss)
Lucas Gredner, Logistik Prozessdesign, Rossmann (Foto: Marlin Prauss)
Christian Brüggemann, CTO und Mitgründer Graphmasters (Foto: Marlin Prauss)
Klaus Hrazdira, Group COO Geis-Gruppe, Quehenberger (Foto: Marlin Prauss)
Marc Schmitt, Head of Smart Solutions, Loxxess (Foto: Marlin Prauss)
Maximilian Hahnenkamp, Mitgründer Scavenger AI (Foto: Marlin Prauss)
Paul Hannappel, Automotive & Logistics, Bitkom (Foto: Marlin Prauss)
Ulrich Balke, Director Markets, KPMG (Foto: Marlin Prauss)

Mit realistischen Projekten und klaren Zielen starten

Neben branchenspezifischen Anwendungen arbeitet DHN Digital auch an breit anwendbaren Lösungen. Dazu gehören die automatisierte AGB- und Vertragsprüfung oder die Erfassung von Auftragsdaten für das Transportmanagement- (TMS) oder Lagermanagementsystem (WMS). Entscheidend sei, den richtigen Anwendungsfall zu identifizieren und klar zu definieren. „Viele Projekte scheitern nicht an der Technik, sondern an der unklaren Zielvorstellung“, ist Espeys Erfahrung. Unternehmen sollten daher zu Beginn eines KI-Vorhabens den Prozess genau beschreiben, priorisieren sowie Aufwand und Nutzen zu prüfen.

Ein häufiger Fehler sei, zu groß zu starten. „Gerade bei Mittelständlern lohnt es sich, erst einmal kleine, realistische Projekte umzusetzen“, rät Espey. Damit lasse sich schnell ein messbarer Mehrwert erzielen und zugleich Know-how im Umgang mit KI aufbauen. Gleichzeitig warnte er vor überzogenen Erwartungen: „KI ist weder der Allheilsbringer noch der Jobkiller. Aber richtig eingesetzt, ist sie eine enorme Unterstützung.“

KI nur dort einsetzen, wo sie einen echten Mehrwert hat

Ein konkreter Anwendungsfall von KI im Transport ist die Tourenplanung. Die hat die Drogeriemarktkette Rossmann neu aufgestellt. Der Weg dahin ist allerdings kein Projekt, das irgendwann abgeschlossen ist. Es ist eine Daueraufgabe. Diese Erfahrung teilen Christian Brüggemann, Mitgründer und CTO von Graphmasters, und Lucas Gredner, der bei Rossmann für das Prozessdesign in der Logistik verantwortlich ist.

Rund 590 Touren pro Tag müssen in der Rossmann-Disposition für mehr als 2.200 Filialen geplant werden. Bis vor wenigen Jahren geschah das überwiegend manuell auf Basis von Erfahrungswissen, individueller Fahrererkenntnisse und vieler Sonderprozesse. „Ein Disponent brauchte dafür drei bis vier Stunden täglich“, erinnert sich Gredner. Ziel des Projekts mit Graphmasters ist es, diese Routinen zu automatisieren, um den Mitarbeitern mehr Zeit für operative Steuerung, Kommunikation mit Fahrern und strategische Planung zu geben.

91 Prozent sehen KI als wichtiges Thema für ihr Geschäftsmodell und die Wertschöpfungskette.

Quelle: Studie von KPMG unter 653 Betrieben (branchenübergreifend)

Graphmasters entwickelte dafür ein System, das auf eigene neuronale Netze setzt, um Nachfrage und Touren dynamisch zu prognostizieren. „Wir wollten eine Planung, die in die Zukunft schaut, nicht nur zwei Tage voraus“, erklärt Brüggemann. Mittels sogenannter rekursiver neuronaler Netze lässt sich das erwartete Auftragsvolumen für jede Filiale und jeden Liefertag abschätzen. Ergänzt wird das durch ein unüberwachtes Lernmodell, das aus GPS- und Sensordaten reale Fahr- und Entladezeiten analysiert. „So entsteht eine Feedbackschleife zwischen Planung und Realität. Die Touren werden mit jedem Tag präziser.“

Für Rossmann war dabei entscheidend, dass Technologie kein Selbstzweck wird. „Wir setzen KI nur ein, wo sie echten Mehrwert bringt“, betont Gredner. Ebenso wichtig sei ein langfristiger Ansatz. Trotz aller Erfolge sei die Einführung kein Selbstläufer. Einige Disponenten hätten sich schwergetan, Verantwortung abzugeben. „Manche sehen ihren Job darin, Touren zusammenzuklicken. Wir haben das offen angesprochen und erklärt, dass ihre Arbeit künftig einen anderen Fokus bekommt“, sagt Gredner.

Prinzipien, No-Gos und Erfolgsfaktoren festlegen

Wie eine KI-Lösung im Transportalltag verschiedene Funktionen erfüllen kann, zeigt ein Beispiel aus der Geis-Gruppe. Das Unternehmen setzt KI-Kameras bei Komplett- und Teilladungen gegen Diebstahl, Leerfahrten und mangelhafte Ladungssicherung ein.

Die Spezialtechnik erkennt auch ohne Funkverbindung untypische Bewegungen, Türöffnungen oder Erschütterungen am Trailer. „In Europa gehen jährlich rund 8 Milliarden Euro durch Ladungsdiebstahl verloren“, sagt Klaus Hrazdira, COO bei Quehenberger Logistics. Das Unternehmen gehört seit 2023 zur Geis-Gruppe. „Das System ist rund um die Uhr aktiv und alarmiert bei verdächtigen Aktivitäten.“

Darüber hinaus erkennt die Lösung verrutschte oder unzureichend gesicherte Güter. Gleichzeitig analysiert sie dreidimensional den Laderaum, um freie Kapazitäten zu identifizieren und die Auslastung zu optimieren. „Das System kann autonom auf dem Trailer arbeiten“, erklärt Hrazdira. „Nur relevante Ereignisse werden in die Cloud übertragen, alles andere wird lokal ausgewertet.“

Der Prototyp, der gemeinsam mit dem Linzer Start-up Danube Dynamics und dem Trailerhersteller Schwarzmüller entwickelt wurde, ist derzeit in 10 Fahrzeugen im Einsatz. Sukzessive soll die gesamte Flotte von 250 Fahrzeugen nachgerüstet werden. Die Kosten pro Trailer liegen laut Hrazdira bei rund 7.000 Euro, „inklusive Hardware, Verkabelung und Installation“.

Außer den KI-Kameras hat das Unternehmen das Freight-Procurement-Tool Loadgate im Einsatz, eine Art Chatbot, der Preisverhandlungen mit Frachtführern führt. Des Weiteren gibt es eine KI-gestützte Lösung für die Auftragserfassung, die Auftragsdaten automatisch aus E-Mails, PDF- oder Papierdokumenten extrahiert. Die Projekte der Geis-Gruppe sind Teil einer KI-Strategie, die das Unternehmen gemeinsam mit KPMG erarbeitet hat. „Wir haben Prinzipien, No-Gos und Erfolgsfaktoren festgelegt, bevor wir gestartet sind“, erklärt Hrazdira. Der Fokus liege auf Effizienzsteigerung und Risikominimierung, nicht auf technischer Machbarkeit um jeden Preis. Die ersten Ergebnisse seien ermutigend. Durch die Kameraüberwachung konnten Ladungsdiebstähle proaktiv verhindert werden.

Prozesse und Arbeitsabläufe standardisieren und anpassen

Der Einsatz von KI über Unternehmensgrenzen hinweg ist hingegen noch weitaus schwieriger, als interne Pilotprojekte umzusetzen. So gilt die Automatisierung globaler Lieferketten als der heilige Gral der Logistik. Hier stößt die Programmierung allerdings an Grenzen. „Es gibt keinen Code, der alle Eventualitäten im weltweiten Frachtgeschäft abbilden kann“, sagt Guillaume Petit-Perrin, CEO von Forto Logistics. KI und insbesondere generative Modelle eröffneten aber erstmals eine realistische Perspektive auf hochgradig automatisierte Abläufe. „Wenn generative künstliche Intelligenz funktioniert, fühlt es sich an wie Magie. Dafür werden saubere Daten, standardisierte Prozesse und einheitliche Systeme gebraucht.“

Forto hat das KI-System Flash entwickelt, mit dem sich operative Prozesse im Seefrachtgeschäft automatisieren lassen. So überträgt die Software eingehende Buchungsanfragen automatisch ins TMS, vergleicht verfügbare Schiffsverbindungen und schlägt auf Basis der Kundenanforderungen die passende Route vor. „Der Operator bleibt in der Kontrolle, aber die Routinearbeit entfällt. Das spart Zeit und reduziert Fehler drastisch“, erklärt Petit-Perrin. Ziel sei es, bis zu 90 Prozent des Sendungslebenszyklus in der globalen Logistik in den kommenden Jahren zu automatisieren.

Doch der sichtbare Erfolg sei nur die Spitze des Eisbergs, betont der Forto-Chef. Ein Großteil der Arbeit liegt darin, Datenqualität zu verbessern, Prozesse zu standardisieren und auditierbare Arbeitsabläufe zu schaffen. Denn ansonsten drohe „Garbage in, garbage out“. Wenn man ein System mit Müll füttert, kommt eben auch Müll heraus. Ohne strukturierte Daten funktioniert keine KI. Mit der Plattform Forto Labs will das Unternehmen nun auch anderen Marktteilnehmern Zugang zu seinen Technologien ermöglichen. Der erste Baustein sei das Tool Lumodoc, das Dokumente wie Frachtpapiere, Rechnungen oder Packlisten automatisch erkennt, liest und verarbeitet. Die Erkennungsrate liegt Petit-Perrin zufolge bei über 95 Prozent.

Grundsätzlich ist der Manager überzeugt, dass der Einsatz von KI die Arbeit in der Logistik nicht verdrängt, sondern verändert. „Operatoren werden künftig weniger kopieren und klicken, dafür mehr koordinieren und entscheiden“, glaubt er. „Das macht den Job interessanter und die gesamte Branche produktiver.“

Ordnung in das Datenchaos bringen

Auch Entscheidungsprozesse werden in Unternehmen künftig zunehmend KI-gestützt getroffen, ist Maximilian Hahnenkamp, Mitgründer von Scavenger AI, überzeugt. Das 2023 gegründete Start-up aus Frankfurt hat ein KI-basiertes Tool entwickelt, das mittelständischen Unternehmen den Zugang zu datenbasierten Entscheidungen erleichtern soll. Dafür lernt die KI die Business-Logik des jeweiligen Unternehmens, um Fragen von Mitarbeitenden maßgeschneidert beantworten zu können – vorausgesetzt, die KI versteht zunächst die Daten selbst.

80 Prozent planen eine signifikante Steigerung ihrer Investitionen in generative KI.

Quelle: Studie von KPMG unter 653 Betrieben (branchenübergreifend)

Viele Unternehmen stecken laut Hahnenkamp in einem massiven Datenchaos: kryptische SAP-Spaltennamen, Hunderte Excel-Tabellen, individuelle Business-Logik und Berechnungsmethoden. Die Lösung des Jungunternehmens: ein „semantischer Layer“, der Spalten zunächst verständlich beschreibt und der KI „eine Art menschliches Verständnis von den Daten“ und konkrete Definitionen für bestimmte Kennzahlen mitgibt. Erst dann könne künstliche Intelligenz Berechnungen durchführen, verlässliche Insights geben und Handlungsempfehlungen formulieren. Ist dieser Schritt geschafft, ist KI schließlich in der Lage, innerhalb von Sekunden aufwendige Dashboards zu erstellen.

Vorsicht vor falschen Erwartungen und fehlendem Know-how

Welchen Einfluss künstliche Intelligenz langfristig haben wird, bleibt noch abzuwarten. Marc Schmitt, Head of Smart Solutions bei Loxxess, ist sich sicher: „KI hat einen Impact wie Feuer oder Elektrizität. Nichts anderes auf der Welt hat jemals irgendwas so stark komplett verändert.“ Derzeit scheiterten viele KI-Projekte jedoch an unrealistischen Erwartungen und fehlender Prozesskenntnis. In vielen Firmen herrsche noch die Hoffnung, KI könne bestehende Probleme einfach wegautomatisieren. Tatsächlich sei der erste Schritt jedoch immer eine detaillierte Analyse: Welche Tätigkeit verursacht Aufwand? Wo entstehen Fehler? Wo fehlen Daten? Viele der besten Use Cases würden nicht in der Chefetage, sondern an den Arbeitsplätzen der Mitarbeitenden entstehen, beobachtet Schmitt.

69 Prozent haben bereits eine Strategie für KI aufgesetzt.

Quelle: Studie von KPMG unter 653 Betrieben (branchenübergreifend)

Loxxess arbeite bewusst „so, wie das Berater vor 40 Jahren gemacht haben“ – mit sauberer Prozessaufnahme und konkreter Priorisierung. KI sei dabei nur ein Werkzeug innerhalb einer größeren Transformation: „Für uns ist KI kein Selbstzweck, sondern Teil eines Transformationsziels“, betont Schmitt.

Ein zentraler Baustein in der KI-Einführung sei die Qualifizierung. Loxxess investiert in interne Schulungen zu Datenschutz, Datensicherheit und KI-Einsatz. Jeder Mitarbeitende solle befähigt werden, kompetent mit Ergebnissen umzugehen und Fehler zu erkennen. Dabei gehe es nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern Teams neu auszurichten. „Wir wollen wachsen mit den gleichen Mitarbeitern“, erklärt Schmitt. Die Effekte entstünden dadurch, „dass dieselben Teams doppelte, dreifache Arbeit leisten“ können.

KI-Trends im Auge behalten und Akzeptanz schaffen

Die Digitalisierung und Automatisierung der Logistik ist aber nicht nur eine technologische, sondern zunehmend auch eine politische Aufgabe. Die EU schaffe mit Initiativen wie dem elektronischen Frachtbrief (eFTI) und dem Data Act eine Umgebung, „in der Unternehmen Daten teilen können“ und in der digitale Zwillinge zur Normalität werden sollten, meint Paul Hannappel, Bereichsleiter Automotive und Logistics bei Bitkom. Unternehmen, die ihre Lieferketten virtuell abbilden und Szenarien simulieren können, würden künftig wesentlich schneller auf Störungen reagieren, ist er überzeugt.

Vor allem aber rücke die Kombination aus Fachkräftemangel und Verkehrszuwachs das Thema autonomes Fahren auf die Agenda. „Wir kommen gar nicht darum herum, diese Systeme zu automatisieren“, betont Hannappel. Das Schlüsselthema sei jedoch die Akzeptanz. Obwohl viele Verkehrsträger längst automatisiert seien, falle es Menschen schwer, Kontrolle abzugeben. Trotzdem sieht er einen klaren Trend: „Autonomes Fahren wird in Zukunft Standard sein. Es ist kein überschätzter Hype.“

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