Lückenloser Datenfluss gefordert
Digitalisierung braucht Daten und Strategie. Darüber waren sich alle Referenten der 6. DVZ-Konferenz „Das richtige TMS als Schlüssel zur Spedition 4.0“ im Frankfurter House of Logistics and Mobility einig: Die gesamte Logistikkette muss von einem bis zum anderen Ende verknüpft sein, um den Datenaustausch zwischen allen Beteiligten zu ermöglichen. Fachkräftemangel, Kostendruck und stetig zunehmende Aufgaben in Transportprozessen setzen zahlreiche Anreize, die Abläufe zu digitalisieren. „Sie können eigentlich nur einen Fehler machen: gar nichts zu tun“, ermutigte Prof. Thomas Krupp die Teilnehmer in seiner Keynote. Der Kölner Hochschullehrer für Logistikmanagement nannte fehleranfällige Prozesse wie den Lademitteltausch als wichtiges Motiv für den Einsatz aufgabenspezifischer Anwendungen.
Gleichzeitig seien diese für sich genommen lediglich Ausdruck der untersten Stufe des Wandels von manuellen Prozessen zur Logistik 4.0. Auf die Datenerfassung und die Digitalisierung einzelner Prozesse müsse die digitale Transformation folgen, bevor eine selbstständige, automatische Steuerung realistisch werde. Auf dem Weg dorthin müssten die Dienstleister auch eine stetig wachsende Komplexität verkraften, wie neue Reporting-Pflichten zur Nachhaltigkeit oder dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
Dabei genüge es nicht, mit Vertrauen oder Unterschriften auf einem Verhaltenskodex zu arbeiten. Compliance verlange eigene Prüfungen, beispielsweise von Tachographendaten zur Kontrolle von Grenzübertritten sowie der damit verbundenen Kabotagebestimmungen und Entsenderichtlinien. Die Daten erlaubten darüber hinaus auch eine weiterführende Koordination, beispielsweise zur Nutzung und Auslastung von Parkplätzen.
Die Dienstleister profitierten von einer enormen Vielfalt technischer Lösungen, um den gestiegenen Koordinations- und Kommunikationsaufwand zu bewältigen. Effektivität und Effizienz von Prozessen nähmen zu, und die Unternehmen könnten sich neue Geschäftsmodelle erschließen, mit denen sie sich tiefer in Wertschöpfungsketten integrierten. Ansonsten drohe der Bedeutungsverlust als reiner Transporteur ohne steuernde Aufgaben. Krupp warnte davor, sich durch eine zu genaue Betrachtung lähmen zu lassen: „Gehen Sie das Ganze an und treffen Sie bewusste, strategische Entscheidungen.“
Logistikplanung steuert Produktion
Ein gelungenes Beispiel für die vertiefte Integration von Spedition und Kunde präsentierten Mirko Kauffeldt, Geschäftsführer des Möbellogistikers Reber mit Hauptsitz in Germersheim, und sein Kunde Thorsten Heil, Logistikleiter des niedersächsischen Herstellers Nolte Küchen. Sie stellten dar, wie sie mit einer neuen Cloud-Anwendung des Anbieters Flexis die Beziehung zwischen dem Dienstleister und dem Produktionsbetrieb verändert haben: Die Tourenplanung der Spedition ist nun maßgeblich für die Produktionsteuerung des mittelständischen Möbelherstellers.
Wie in der Möbelbranche üblich, verfügt auch Nolte Küchen an seinen Produktionsstandorten in Melle und Löhne nicht über ein Versandlager, fertige Möbel gehen dort direkt aus der Produktion in den Transport. Um die Transportkapazitäten der Spedition deutlich besser auslasten zu können, richtet sich die Produktion nach der Tourenplanung der Spedition, die Anschlussaufträge berücksichtigt.
„Unser Produkt ist emotional, und der Transport ist entscheidend für die Haptik und den einwandfreien Zustand“, unterstreicht Heil. Im Versand verfügt der Hersteller gerade einmal über Pufferfläche für rund drei Transporttouren. „Wenn die Transportplanung nicht funktioniert, müssen wir die Produktion stilllegen und Mitarbeiter nach Hause schicken“, berichtet er.
Die Planungssoftware berücksichtigt neben der Tourenplanung auch die Werkskapazitäten und sorgt für eine optimale Auslastung der Produktion. Gleichzeitig stellt sie sicher, dass aus Abhol- und Zustellzeitfenstern praktikable Touren entstehen.
„Nachdem wir auch den CO₂-Ausstoß unserer Touren minimieren wollten, war uns klar, dass wir diese komplexen Parameter nicht mehr manuell optimieren können“, erklärt Kauffeldt. Das modulare System unterstützt nun den gesamten Plan und wertet zudem die wichtigen Kennzahlen in einer Business-Intelligence-Anwendung (BI) aus. Es wird sukzessive um weitere Prozesse und Standorte ergänzt und soll schon bald auch die intelligente automatisierte Wechselbrückenbuchung beherrschen.
Ein TMS braucht Unternehmensstrategie und Datenstrategie.
Andreas Hoffmeyer, CFO Efexcon
Ein Transportmanagementsystem (TMS) für Verlader aus dem Handel stellte Volkmar Sich, Leiter Projektmanagement, Support und Infrastruktur bei Wanko Informationslogistik, vor. Er gab Einblicke in die Tourenplanung der Schweizer Handelsgenossenschaft Coop, die sowohl den Straßengüterverkehr als auch die Schiene für ihre Transportlogistik nutzt.
Allein für die Handelsdistribution organisiere Coop täglich 1.300 Transporttouren, für die Lkw rund 130.000 Kilometer auf Schweizer Straßen zurücklegen. Dabei profitiere die Planung von einer großen Menge historischer Daten, aufgrund derer das TMS automatisch Vorschläge erstellen könne. „Unser TMS generiert die strategische Planung in der Reihenfolge der Filialanlieferung“, sagte Sich. Diese werde täglich aktualisiert, und freier Platz in den Lkw werde nach Möglichkeit aufgefüllt.
Bei der Verladung unterstütze ein mobiles System die Lkw-Fahrer, das mittels Scannung die Vollständigkeit der Sortimente prüfe. Es stelle zudem die richtige Verladereihenfolge sicher und gebe die Fahrtroute vor. Coop organisiere zudem mit dem TMS auch Bahnverbindungen und kombinierte Verkehre inklusive Alternativen per Lkw für den Fall von Verspätungen. Die Software steuere dabei auch den Warenumschlag von und auf die Wagons. Für lange Distanzen über 90 Kilometer nutze das Unternehmen sowohl in der Beschaffung als auch in der Distribution die Bahn.
Modulare Lösungsansätze
Dass sich auf einer Serviette eine funktionierende IT-Landschaft entwerfen lässt, zeigten Andreas Hoffmeyer, Chief Financial Officer von Efexcon, Conrad Franchi, Chief Digital Officer von Röhlig Logistics, und Jan Grünberg, Geschäftsführer von Cargonerds. Nach einem gescheiterten SAP-Einführungsprojekt arbeitet Röhlig für die Steuerung seiner jährlich rund 500.000 Sendungen mit den Prozessstandards des Anbieters Cargowise.
Um darüber hinausreichende Kundenanforderungen zu erfüllen, nutze Röhlig nun einzelne Anwendungen, die sich als Microservices in die IT-Landschaft der Spedition integrieren. Zu diesen Datenprodukten der Röhlig-Tochter Cargonerds zählen beispielsweise ein Onlineportal mit Vertriebsfunktion, eine Lösung für die Datenanalyse und die Anbindung an Visibility-Plattformen zur Sendungsverfolgung. Die Anwendungen erfüllten die Anforderungen von Speditionskunden, seien einfach anzubinden und für kleine Nutzungsgebühren anstelle hoher Entwicklungskosten zu erhalten.
Auswege aus den Mehrkosten durch die Mauterhöhung ab 1. Dezember zeigte Greenplan-Chef Clemens Beckmann auf. Der Mathematiker erklärte zunächst, wie sich in Netzen mit signifikant unterschiedlichen Tourenlängen eine faire Kostenverteilung herstellen lässt.
Anschließend stellte er die Effekte von Zeitfenstern und Zustellgebieten auf die Effizienz von Transporttouren vor: Mit etwas Spielraum bei der Auswahl von Zeitpunkten und Routen konnten die Planer bessere Ergebnisse erzielen als in starren Strukturen. Sie finden insbesondere deutlich kürzere Strecken, durch die Kosten und CO2-Emissionen sinken. Auch die Auslastung der Fahrzeuge verbessere sich, und die Flottengröße lasse sich verringern.
Ersetzen Sie ein überholtes TMS. Reiten Sie kein totes Pferd.
Rainer Hoppe, DVZ-TMS-Experte und künftig Privatier
Wer mit den Parametern Transportpreis, Zeitfenster und Zustellgebiet arbeite, könne Einsparungen erzielen, die die Mehrkosten durch die Mauterhöhung kompensieren. „Sie müssen sich über Ihre eigene Flotte klarwerden, die Flotte und auch die Kostenstruktur analysieren und vielleicht noch mal durchrechnen, was das eigentlich bedeutet“, betonte er.
Holger Sacher, Senior Sales Manager des Softwareentwicklers Ecovium, stellte eine Kommunikations- und Transportkette vor, bei der die Kunden eines Onlineshops nach der Bestellung bereits ihr Zustellzeitfenster auswählen können. Während des Transports erfolge dabei eine umfassende Statuskommunikation, die anzeige, ob alle Prozessschritte pünktlich ausgeführt werden können. Im Anschluss an die Zustellung werde zudem der Ablieferbeleg direkt digital übertragen, damit unmittelbar die Abrechnung ausgelöst werde. Zudem könne der TMS-Anbieter angrenzende Datenservices anbieten, wie beispielsweise die Verzollung.
Pitch zu mobilen Anwendungen
In einem Pitch stellten sich Carsten Wachtendorf, Managing Partner von AIS Alfaplan, Janik Lührs und Bennett Block, Account Executive und Managing Partner von Sirum, sowie Philipp Endemann, Chief Operating Officer von Spedion, dem Publikum. Sie präsentierten die mobile Softwarelösung ihrer Unternehmen für eine Spedition mit Teil- und Komplettladungsgeschäft und kleinem Stückgutanteil, die über 50 eigene Fahrzeuge an drei Standorten verfügt. Als Slot-Gewinner des DVZ-Webtalks am 19. September zeigten sie, wie ihre Anwendungen solche Anforderungen erfüllen wie die Einbindung von Fahrern externer Unternehmen, die Transportaufträge am Spotmarkt übernommen haben.
Einen Höhepunkt der TMS-Konferenz bildete das Update des Speditionsmonitors Prozesse/IT des DVZ-TMS-Experten Rainer Hoppe (ausführlicher Beitrag im Themenheft TMS in dieser Ausgabe). Dieser hatte bei der Aktualisierung des 2019 erstmals aufgestellten Kennzahlensystems festgestellt, dass Speditionen, die seitdem ein modernes TMS eingeführt haben, die größten Verbesserungen ihrer Prozessdaten erreichten. Die Auswertung zeige, dass sich die Investition in aktuelle Anwendungen rasch rentiere; dagegen erforderten Verbesserungen mit Bestandssystemen einen höheren Personaleinsatz. Wer sich verbessern wolle, solle deshalb die erforderliche Investition nicht unnötig aufschieben. „Reiten Sie kein totes Pferd“, appellierte Hoppe entschlossen.
Zum Ausklang der Veranstaltung verabschiedete DVZ-Chefredakteur Sebastian Reimann seinen langjährigen Co-Moderator mit einem kleinen Geschenk ins Privatleben. Er überreichte ihm eine goldene Eintrittskarte für alle künftigen TMS-Konferenzen und lud Hoppe direkt zur nächsten Veranstaltung am 5. November 2024 an selber Stelle ein.