Die Erwartungen an Quantencomputer sind groß

Für viele ist Quantencomputing noch ein Schlagwort mit Science-Fiction-Flair. Doch auf dem Weg in die industrielle Anwendung gewinnt die Technologie zunehmend an Fahrt. Das wurde in drei Fachvorträgen auf der transport logistic deutlich, die diese Woche in München stattfand. Für die Logistikbranche könnte sie einmal mehr zum Gamechanger werden – bei Planung, Optimierung und Sicherheit.
Allerdings ist vieles davon noch Zukunftsmusik: „Quantencomputer sind heute noch nicht bereit für industrielle Anwendungen“, stellt Sebastian Luber, Senior Director Technology & Innovation bei Infineon Technologies, klar. Doch die Grundlagen sind gelegt und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Besonders brisant ist der Bereich der IT-Sicherheit. Klassische Verschlüsselungsverfahren wie RSA oder ECC gelten künftig als angreifbar. „Deshalb arbeiten wir bereits heute mit Post-Quantum-Kryptografie“, erklärt Luber. Erste Sicherheitszertifikate liegen bereits vor, die Standards sind in Vorbereitung. „Microsoft und andere Tech-Giganten steigen ebenfalls um, der Druck wächst.“
Völlig neue Rechenlogik
Doch was genau ist eigentlich Quantencomputing? Manfred Rieck, VP Individual Solution Development bei DB Systel, erklärt das Prinzip wie folgt: „Während klassische Computer nur mit Nullen und Einsen rechnen, können Quantenbits, sogenannte Qubits, durch Superposition beide Zustände gleichzeitig einnehmen.“ Dadurch wird eine völlig neue Rechenlogik ermöglicht. Zudem spielt das Phänomen der Verschränkung eine zentrale Rolle, bei dem der Zustand eines Teilchens unmittelbar einen anderen beeinflusst. „Niemand weiß genau, warum das funktioniert – aber es funktioniert“, sagt Rieck.
Diese quantenphysikalischen Effekte lassen sich bereits nutzen, wenn auch nur in kleinem Maßstab. „Wir schauen nicht auf die Hardware, sondern auf Anwendungen“, betont Rieck. Erste Tests bei der Deutschen Bahn zeigen, wie sich mit Hilfe quanteninspirierter Systeme Fahrpläne optimieren lassen. Ein Problem sind die vielen Variablen – etwa Wartungszyklen, Taktfrequenzen und Streckenverfügbarkeiten –, die eine Optimierung komplex machen. Klassische Methoden wie das Operations Research stoßen hier an ihre Grenzen.
Bei einem Versuchsprojekt mit einem sogenannten Anila-System, einem speziellen Quanten-Optimierer, zeigte sich, dass selbst 5.000 Qubits nicht ausreichten, um das Problem vollständig zu lösen. Das Ziel, herauszufinden, ob sich solche Systeme grundsätzlich eignen, wurde dennoch erreicht. Parallel dazu arbeitet man an hybriden Lösungen, die Quanten- und Hochleistungsrechner (HPC) kombinieren. Rieck: „Wir rechnen nicht damit, dass Quantencomputer alles ersetzen. Es wird ein Zusammenspiel geben.“
Großes Potenzial bei komplexen Prozessen
Auch für Johannes Klepsch, der als Product Owner Emerging Technologies bei BMW tätig ist, steht der praktische Nutzen im Vordergrund: „Wir bauen keine Quantencomputer – wir wollen sie anwenden.“ Der exponentielle Anstieg des Rechenbedarfs, etwa durch KI-Modelle oder fahrzeuginterne Software, zwingt dazu, über neue Paradigmen nachzudenken. Die spannendsten Anwendungen sieht er in vier Bereichen: künstliche Intelligenz, Materials Simulation, Sicherheitsfragen und vor allem Optimierung. Gerade bei komplexen Prozessen wie Presswerks- und Montagestrategien oder Routenplanungen für Roboter gibt es riesiges Potenzial.
Laut Klepsch konnten mit Hilfe quanteninspirierter Algorithmen die Bearbeitungszeiten in einem Fertigungsprozess um 10 Prozent reduziert werden. „Das klingt nach wenig, aber in der Automobilproduktion ist das enorm.“ Zwar handelte es sich dabei noch nicht um echtes Quantencomputing, aber es zeigt, wie die Vorbereitung auf diese Technologie bereits jetzt messbare Effekte bringen kann.
Ein weiteres Beispiel ist die Optimierung der Presswerke und Lieferketten zwischen den einzelnen Produktionsstandorten. „Das ist ein riesiges mathematisches Problem“, sagt Klepsch. Zwar konnten aktuelle Quantenlösungen die Berechnungszeiten nicht verkürzen, aber durch eine präzise Problemformulierung konnten klassische Softwaretools zur Lösung von Optimierungs- oder anderen mathematischen Aufgaben deutlich besser arbeiten. Der Quantenansatz hilft also bereits heute, bessere Ergebnisse zu erzielen.
Klepsch sieht auch im Bereich der synthetischen Datengenerierung – etwa für das Training von KI – großes Potenzial: „Ein Quantencomputer ist letztlich ein komplexer Zufallszahlengenerator, den man gezielt beeinflussen kann.“ In der Theorie lassen sich so realitätsnahe Daten simulieren, wenn reale Daten fehlen oder aus Datenschutzgründen nicht genutzt werden dürfen.
Die Erwartungen sind langfristig hoch. „Wenn es uns gelingt, die zugrunde liegenden Gleichungssysteme effizient auf Quantenhardware zu lösen, könnten wir die komplexen Strömungssimulationen in der Fahrzeugentwicklung revolutionieren“, ist Klepsch überzeugt. Aktuell laufe noch viel Grundlagenforschung, doch die Richtung sei klar.
Der Hype um Quantencomputing ist real, aber nicht alle Erwartungen werden sich erfüllen. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht dieselben Fehler machen wie beim KI-Hype vor 20 Jahren“, warnt Klepsch. Es sei entscheidend, nüchtern zwischen Forschung und produktivem Einsatz zu unterscheiden und sich dennoch frühzeitig vorzubereiten.