Lieferengpässe: Von Normalisierung noch weit entfernt

Aktuell melden 62 Prozent der deutschen Industriefirmen einen Materialmangel. Der August-Wert ist der niedrigste seit mehr als einem Jahr. Ist das die Trendwende? Die DVZ hat sich die Umfragedaten zur Einordnung einmal etwas genauer angeschaut.

Aktuelle Umfragen des Ifo Instituts deuten darauf hin, dass sich die Lage auf der Beschaffungsseite der deutschen Industrie etwas entspannt hat. Demnach meldeten im August noch 62 Prozent der befragten Firmen einen Materialmangel, nach 73,3 Prozent im Juli. Der August-Wert ist der niedrigste seit über einem Jahr. Er liegt rund 20 Prozentpunkte unter dem Rekordwert von 81,9 Prozent im Dezember 2021. Der Mittelwert seit August des vergangenen Jahres beträgt 73,6 Prozent.

„Von einer nachhaltigen Entspannung kann aber leider noch nicht gesprochen werden“, sagt der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Der Rückgang ist immer noch zu klein, um einen deutlichen Impuls bei der Industrieproduktion auszulösen und damit die Konjunktur anzuschieben.“

Der langfristige Durchschnitt seit 1991 beträgt nach DVZ-Berechnungen 12,7 Prozent. Davon ist die deutsche Industrie also noch immer fast 50 Prozentpunkte entfernt. Und noch eine Zahl, die unterstreicht, dass von einer Normalisierung bei den Lieferengpässen noch keine Rede sein kann: Der Rekord vor dem ersten Corona-Jahr 2020 lag bei 20,2 Prozent.

Fast alle Branchen liegen noch immer deutlich oberhalb des jeweiligen langfristigen Mittelwerts. Einzige Ausnahme ist mittlerweile das Segment Metallerzeugung und -bearbeitung: Hier fehlen nur noch 7 Prozentpunkte bis zum Durchschnitt.

Am deutlichsten fiel der Rückgang im August in der Lederindustrie (um 40,6 Prozentpunkte) aus und in der Möbelbranche (um 29,4 Prozentpunkte). Dennoch sind die Beschaffungsprobleme gerade in den Schlüsselindustrien weiterhin groß. Im Maschinenbau berichteten im August noch fast 86 Prozent der Unternehmen, dass sie nicht alle Materialien und Vorprodukte bekommen (Mittelwert seit 1991: 17 Prozent). Bei den Autoherstellern und ihren Zulieferern sind es immer noch etwa zwei Drittel (Durchschnitt: 14 Prozent).

Und in der Elektroindustrie können etwa acht von zehn Firmen nicht alle Bauelemente beziehen (Durchschnitt: 16 Prozent). „Ein deutlicher Rückgang hier könnte einen positiven Dominoeffekt auslösen“, sagt Wohlrabe. Denn die Unternehmen berichteten, dass vor allem elektronische Komponenten aller Art fehlen. Auch Stahl und Aluminimum in unterschiedlichsten Ausfertigungen werden in vielen Unternehmen gebraucht. Lieferengpässe gibt es laut Ifo Institut auch bei Verpackungsmaterialien.

Auflösung Mitte 2023?

Die große Frage ist nun, wann sich die Probleme bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten wieder auflösen. Dies hat das Ifo Institut im Rahmen seiner monatlichen Konjunkturumfragen nach Oktober 2021 erneut im Juni 2022 gefragt. Im verarbeitenden Gewerbe insgesamt wird im Durchschnitt mit einer Dauer der Probleme von 10,1 Monaten gerechnet. Im Oktober 2021 waren es noch 8 Monate.

Die Unternehmen hatten also geschätzt, dass sich die Probleme bis Mitte dieses Jahres erledigt hätten. Inzwischen erwarten sie, dass dies eher ein Jahr später der Fall sein wird. Die am häufigsten genannte Dauer war bei der Juni-Umfrage 12 Monate gewesen. Es gab aber auch einige Firmen, die mit einer Auflösung der Probleme erst in sechs Jahren rechnen. Der Median, also der Wert genau in der Mitte Verteilung, betrug laut Ifo Institut 10,0 Monate. Dies zeigt, dass der Durchschnitt nicht durch Ausreißer getrieben war.

Es bleiben viele Unsicherheiten

Ob es zu einer weiteren Entspannung kommt, ist angesichts der vielen geopolitischen Einflüsse höchst unsicher. Speziell in Deutschland deutet vieles noch darauf hin, dass die Lieferketten- und Logistikprobleme zusammen mit den hohen Kosten für Energie, Rohstoffe und importierte Vorprodukte in den nächsten Monaten die Produktion weiter behindern. Wie stark die Einschränkungen sein werden, wird auch davon abhängen, inwieweit es zu Engpässen bei Erdgas kommen wird.

Zu den großen Gasverbrauchern gehören Branchen, die wiederum Ausgangspunkt für viele andere Industrien sind. Besonders viel Erdgas benötigen die Chemieindustrie, aber zum Beispiel auch die Stahl-, Aluminium- und Ernährungsindustrie sowie die Glas- oder Papierbranche. Glas zum Beispiel spielt eine entscheidende Rolle in zahlreichen Lieferketten, so zum Beispiel in der Autoindustrie, der Nahrungsmittelbranche oder im Baugewerbe. Und die Chemieindustrie steht laut Branchenverband VCI am Beginn von 80 bis 90 Prozent aller Wertschöpfungsketten.

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