„Viele identifizieren sich über ihren Lkw“

Einerseits fehlen Toiletten, Parkplätze und
 Versorgungsmöglichkeiten. Andererseits haben sich
 deutsche Speditionen viel überlegt, 
um ihre Fahrer und Fahrerinnen zu halten.

Einerseits fehlen Toiletten, Parkplätze und
 Versorgungsmöglichkeiten. Andererseits haben sich 
deutsche Speditionen viel überlegt,
 um ihre Fahrer und Fahrerinnen zu halten. (Illustration: DVZ)

Bei TST leben Fahrer in einer anderen Welt als der gemeinhin bekannten. Das liegt auch an Frank Schmidt. Der Gründer und Geschäftsführer des Wormser Logistikunternehmens, das heute mehr als 3.000 Mitarbeiter an 75 Standorten beschäftigt, hat seine Firma vor 31 Jahren mit nur einem Lkw als Berufskraftfahrer gegründet. Schmidt weiß, wofür die Herzen seiner Fahrer schlagen und wie wichtig Wertschätzung in diesem Job ist. „Der Stress auf der Straße ist heute sehr viel höher als noch vor einigen Jahren“, beschreibt der Firmenchef die Situation. Die hohe Verkehrsdichte, Staus und ständiger Termindruck würden Fahrern heute sehr viel abverlangen. „Alles, was den Lebensalltag unserer Fahrer sicherer und angenehmer macht, investieren wir in diesen Arbeitsplatz.“

Zum 150 Lkw umfassenden TST-Fuhrpark gehören neueste Green Trucks der S-Baureihe von Scania mit luxuriös ausgestatteten, geräumigen Innenräumen. Die Kabinen sind 16 Zentimeter höher, sodass Fahrer darin aufrecht stehen können. Die Zusatzausstattung lässt kaum Wünsche offen: Standklima und Standheizung, umfangreiches Infotainmentsystem mit Navigation, Apple Car Play, Komfort-Kühlschrank, Sitzheizung, ergonomisch einstellbarer Fahrersitz. Darüber hinaus können sich TST-Fahrer ihr Fahrzeug individuell wie ein privates Wohnzimmer einrichten – mit TV-System und Perserteppichen.

„Viele Fahrer identifizieren sich über ihr Fahrzeug“, erzählt Roland Rüdinger, Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition mit Sitz im baden-württembergischen Krautheim, die 200 Lkw-Fahrer für ihre Flotte von 180 Lkw beschäftigt. Bei Rüdinger haben alle Fahrer einen festen, nach neustem Standard ausgestatteten Lkw, in dem sie sich einrichten können. Stephan Gustke, Geschäftsführer von Gustke Logistik mit Sitz in Rostock, ließ auf überwiegenden Wunsch seiner Fahrer standardmäßig Fernseher in die 110 Lkw umfassende Flotte einbauen.

Für Spedition Brucker aus Aalen ist es selbstverständlich, dass alle 240 Lkw mit den Sicherheitsfeatures ausgestattet sind, die zu haben sind. Auch Standklimaanlage und -heizung sind Standard. Wer bei Brucker die Ausbildung zum Berufskraftfahrer erfolgreich abschließt und bleibt, bekommt ein fabrikneues Fahrzeug. „Das ist das Versprechen. Und die jungen Fahrer dürfen in Sachen Ausstattungsdetails mitreden“, erzählt Firmenchef Arno Brucker. Zuletzt haben sich zwei frisch Ausgebildete breite Reifen und Alufelgen gewünscht. Bis zu 1.000 Euro gibt das Unternehmen dafür aus.

Fahrzeug, Lounge, Wohnung, Sprachkurs, Brötchen

Doch die Unternehmer lassen sich noch mehr einfallen, um ihre Fahrer und Fahrerinnen nicht nur zu halten, sondern deren Arbeit explizit wertzuschätzen: TST-Chef Schmidt beispielsweise lässt neue Logistikzentren mit Fahrer-Lounges ausstatten, in denen Mitarbeitende vor allem im Fernverkehr Entspannung finden. Kostenlose Getränke, Ruhesessel, WLAN. „Die Rückzugsräume bieten unseren Fahrern die Gelegenheit, für einen Moment Kraft zu tanken“, sagt Schmidt, der das Angebot in den kommenden Jahren bundesweit ausbauen will. Das Engagement zahlt sich aus: Mehr als ein Drittel der 165 fest angestellten Fahrer ist dem Wormser Unternehmen bereits seit mehr als 15 Jahren treu.

Bei Rüdinger bekommt das Fahrpersonal am Ende der Tagestour ein belegtes Brötchen, wenn es auf die Papiere wartet. „Das soll sie während ihrer Pause und Wartezeit aufmuntern. Oft haben sie über Mittag nichts gegessen“, erzählt der Firmenchef.

Im Fernverkehr beschäftigen viele deutsche Unternehmen mittlerweile auch polnische Fahrer. Da die Speditionen auf sie angewiesen sind, helfen sie bei der Wohnungssuche oder stellen selbst bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung. Sie investieren in Deutschkurse, die samstags stattfinden und zu denen die Fahrer auch ihre Frauen – sofern sie diese zu sich holen – mitbringen dürfen. Wer bei Brucker achtmal da war, bekommt eine Prämie ausgezahlt. Bis zu 300 EUR macht das Unternehmen dafür locker. „Aus meiner Sicht sind die Deutschkurse auch eine Form der Wertschätzung. Speziell für die Fahrer, die ohne Familien da sind, ist das ein zusätzlicher Treffpunkt“, sagt Rüdinger.

Bei Gustke sind die ausländischen Lkw-Fahrer im sogenannten Zwei-zu-eins-System unterwegs: zwei Wochen on Tour und eine Woche zu Hause. Das sei vor allem deshalb eingerichtet worden, weil die polnischen Fahrer mitunter acht, neun Stunden nach Hause fahren. Gustke hofft, dass sich dieses Modell auch bei den deutschen Fahrern durchsetzt. Sie verdienen zwar dann etwas weniger, haben aber viel mehr Zeit für ihre Familien, Haus und Garten. „Es sind viele kleine Bausteine, die eine Rolle spielen“, ist er überzeugt. Dazu gehören auch die regelmäßig stattfindenden Speditionsfrühstücke, zu denen der Unternehmer seine Fahrer einlädt und bei denen über diverse Themen gesprochen wird.

Auch bei Brucker wird jeden Samstag gemeinsam mit den Chefs gefrühstückt – und zugehört: „Solange bei meinem Bruder oder mir die Türe offen steht, kann jeder reinkommen und seine Sorgen vortragen. Seien es Geldprobleme, Schwierigkeiten beim Ausfüllen eines Formulars oder Pro- bleme mit der Tour“, sagt er. Wer aus familiären Gründen nicht mehr im Fernverkehr fahren kann oder will, bekommt die Möglichkeit, auf eine feste Linie zu wechseln. Zu Geburtstagen gratulieren die Firmenchefs natürlich und von Zeit zu Zeit gibt es als kleinen Dank einen Einkaufs- oder Tankgutschein.

Die Gesundheit der Fahrer steht bei den Unternehmen ebenso hoch im Kurs. So können diese in der Nähe gelegene Fitnessstudios zu günstigeren Konditionen oder gar kostenlos nutzen. Allerdings bleibt den Fahrern oft wenig Zeit für Sport. Rüdinger schenkt seinen Fahrern darüber hinaus Massagegutscheine, die diese zeitnah im Ort einlösen können. Brucker bietet seinen Mitarbeitenden die Möglichkeit, ein Fahrrad über die Firma zu leasen. „Das läuft wie geschnitten Brot“, erzählt er. Viele würden mittlerweile mit dem Rad zu Arbeit kommen.

In Sachen bessere Ernährung tun sich dagegen alle schwer. Durchschlagende Ideen, Lkw-Fahrer dazu zu bringen, gesünder zu essen, gibt es bislang nicht. Oft helfe es aber, zu Infoveranstaltungen die Ehefrauen mit einzuladen, die eher in der Lage seien, ihren Männern das Thema näherzubringen und es auch umzusetzen. „Wo kein Bewusstsein vorhanden ist, hilft auch ein Bildungsangebot nicht“, ist Rüdinger überzeugt. Allerdings sei schlechte Ernährung aus seiner Sicht kein Branchen-, sondern eher ein gesamtgesellschaftliches Problem. (kl)

Nicole de Jong ist freie Journalistin mit Sitz in Mölln.

Lebenshilfe

In den letzten Jahren hat sich die Arbeits- und Lebensrealität umfassend und tiefgreifend verändert – maßgeblich getrieben durch Innovationen in Technik und Wirtschaft. In der Studie „Kaleidoscope“ hat sich der Lehrstuhl für Strategie und Organisation der Technischen Universität München zusammen mit dem Verein „Charta der Vielfalt“ dem Thema Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben angenommen. Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen beinhaltet das Werk diverse innovative, originelle sowie kreative Lösungen für diverse Lebensbereiche. Hier geht es um Kinderbetreuung zu Schichtdienstzeiten, Pflege, Gesundheitsmanagement von unterwegs, Arbeit an unterschiedlichen Orten, Wohnkonzepte, Fitness und viele andere Tipps, um das eigene Leben passend zu organisieren.

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