Versorgung bleibt möglich

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie störanfällig die einzelnen Glieder der internationalen Lieferketten sind. Durch vorausschauendes Risikomanagement und ein Umdenken in Sachen Konsumverhalten könnten diese entlastet werden.

Vorausschauendes Risikomanagement stärkt die Krisen
abwehr, Umdenken nimmt Druck von den Lieferketten.
 (Illustration: DVZ)

Betrachtet man die Ereignisse der vergangenen beiden Jahre, so ist man versucht, angesichts der Fülle von Problemen und Hindernissen im Supply-Chain-Management den Kopf in den Sand zu stecken. Corona-Krise und Grenzsperrungen, zurückgefahrene Frachtkapazitäten, „Ever Given“, verstopfte Häfen, Rohstoffmangel in zahlreichen Branchen, fehlende elektronische Bauteile und spontane Streiks von Lokführern, notorische Knappheit im Lkw-Bereich sowie immer wieder Schließungen von Hafen- und Flughafenterminals aufgrund kleinerer Corona-Ausbrüche in China trafen auf sowieso schon angespannte Lieferketten und führten zumindest teilweise zu Produktionsstopps. Auf keinen Verkehrsträger scheint mittlerweile mehr Verlass zu sein.

Die Covid-19-Pandemie hat uns allen gezeigt, wie fragil und damit störanfällig die einzelnen Glieder der internationalen Lieferketten sind. Das vor allem in Emerging Markets vor Corona gern praktizierte Single Sourcing ist angesichts der dann praktisch über Nacht ausgefallenen zahlreichen chinesischen und asiatischen Lieferanten an seine Grenzen gestoßen. Doch damit nicht genug: Zu den beschriebenen Herausforderungen an das Lieferkettenrisikomanagement (SCRM) im Unternehmen kommen weitere hinzu. Die Themen Nachhaltigkeit und verantwortungsbewusster Umgang mit Menschen und Ressourcen gewinnen nicht nur in der Gesellschaft und bei den Kunden an Gewicht. Auch der Gesetzgeber stellt neue Anforderungen an die Unternehmen, beispielsweise mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Ein Legislativvorschlag für eine europäische, wahrscheinlich strengere Richtlinie über die Sorgfalts- und Rechenschaftspflicht von Unternehmen soll ab 2024 zur Anwendung kommen.

KI-Ökosystem

Zum verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen gehört auch, weniger Lebensmittel wegzuwerfen. Diese Verschwendung fängt bereits bei der Produktion und Verarbeitung der Nahrungsmittel an. Einer 2019 veröffentlichten Studie des Johann Heinrich von Thünen-Instituts zufolge entfallen allein 12 Prozent der Verluste auf Nachernteverluste der Landwirtschaft und 18 Prozent auf Verluste während der Verarbeitung. Die nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aus Februar 2019 nimmt auch die Erzeuger und Produzenten in die Pflicht. Anfang Februar 2021 wurde das Projekt „REIF“ (Resource-efficient, Economic and Intelligent Foodchain) gestartet, in dem die Potenziale der künstlichen Intelligenz (KI) zur Optimierung der Plan- und Steuerbarkeit der Wertschöpfung in der Lebensmittelindustrie untersucht werden. Ziel ist der Aufbau eines KI-Ökosystems, welches Stakeholder aller Wertschöpfungsstufen so integriert, dass Lebensmittelverschwendung nachhaltig und ganzheitlich mit Hilfe von KI reduziert werden kann. Organisatorische, wirtschaftliche und technische Perspektiven werden dabei berücksichtigt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit 10 Mio. EUR über drei Jahre gefördert. Umgesetzt wird Reif von 18 Partnern aus Forschung, Technik, IT, Lebensmittelindustrie und Handel sowie zwölf weiteren assoziierten Partnern.

www.ki-reif.de

www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html

Wege sind bekannt

Wie können Unternehmen nun reagieren, um in Zukunft besser auf Krisen vorbereitet oder weniger abhängig von ihren Lieferanten zu sein? Studien des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) 2019 und 2020 ergaben, dass sowohl beim SCRM als auch bei der Digitalisierung in Supply Chains noch großer Nachholbedarf besteht. Werkzeuge des Risikomanagements können zum Beispiel Lager, 2nd Sources, lokale Lieferanten, kluge Make-or-buy-Ansätze oder die Nutzung verschiedener Verkehrsträger sein. Auch wenn nach einer Kurzumfrage in den BME-Fachgruppen der Sektion Logistik durch die GDL-Streiks die Schiene an Vertrauen verloren hat, kann es gerade für größere Standorte oder Werke durchaus interessant sein, über einen Gleisanschluss oder dessen Reaktivierung nachzudenken. Zumindest in Teilen kann so die Abhängigkeit vom Lkw reduziert werden. Im Zusammenspiel mit der chinesischen Belt-and-Road-Initia- tive ergeben sich dabei weitere Alter- nativen für nachhaltige Transporte.

Risikomanagement hat zudem den Charme, dass mit einzelnen Maßnahmen verschiedene Störfaktoren zumindest begrenzt werden können. Betreibt man ein Lager, ist man von einem Lieferausfall zunächst nicht betroffen. Egal, ob ein Streik Teile des Schienengüterverkehrs lahmlegt, durch Kleinwasser Probleme in der Binnenschifffahrt auftreten oder ein Lieferant pandemiebedingt seine Produktion schließen muss. Digitalisierungstechnologien können dazu beitragen, die „supply chain visibility“, sprich die Transparenz in der Lieferkette, zu erhöhen, etwa mithilfe der Blockchain-Technologie oder Big Data Analytics. Die Verlässlichkeit der Supply Chain lässt sich darüber hinaus durch Verbesserung der ETA-Qualität steigern. Mittels Cloud Computing und digitalen Zwillingen können flexible Liefernetzwerke trotz ihrer hohen Komplexität künftig leichter ge- steuert und Teil des Risikomanagements wer- den. Durch die verbesserte Nachverfolgbarkeit der Lieferketten können gleichzeitig Missstän- de besser identifiziert und Anforderungen an die soziale Nachhaltigkeit erfüllt werden.

Es gilt nicht nur, ökonomische Risiken zu managen, sondern auch die immer wichtiger werdenden Nachhaltigkeitsrisiken zu bewerten und zu analysieren. Dabei sollte nicht der erhöhte Aufwand im Fokus stehen, sondern die Vorteile: Laut BME-Logistikstudie 2021 sehen rund 75 Prozent der Teilnehmer eine hohe oder sogar sehr hohe Chance, durch Nachhaltigkeit in Supply Chains die Reputation des Unternehmens zu steigern. Es gibt also nicht nur die eingangs genannten Herausforderungen, sondern auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, diese zu bewältigen und in Geschäftschancen zu verwandeln.

Beim Thema SCRM stets auf die Kosten zu verweisen, ist nicht zielführend: Am Ende kostet nichts mehr als stehende Bänder und Produktionsstopps oder Absatzprobleme aufgrund mangelhaft umgesetzter Corporate-Social-Responsibility-Vorgaben.

Vielleicht ziehen wir aber aus der Pandemie auch eine Lehre für unser Konsumverhalten und realisieren, dass man nicht alles immer sofort verfügbar haben muss, und nehmen so den Druck aus den Lieferketten. Im Sinne der Nachhaltigkeit wäre das allemal sinnvoll. (kl/fw)

Carsten Knauer leitet die Sektion Logistik und ist Referent Fachgruppen beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) in Eschborn.

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