Citylogistik braucht interdisziplinäre Konzepte

Der Platz in den Städten wird knapper. Es fehlen Lade- und Lieferzonen, und die Forderungen nach umweltverträglicher Logistik werden lauter. Eine IHK-Studie stellt zwölf Logistikkonzepte vor und erklärt, warum Neubauquartiere zur Lösung beitragen können.

Illustration: IHK Region Stuttgart

Die wachsenden Paketmengen stellen die KEP-Dienstleister vor Herausforderungen: Die Zahl kleinteiliger Sendungen wächst, die Bestell- und Lieferzyklen werden kürzer, und die Ansprüche der Kunden steigen.

Die Coronakrise wirkt wie ein Brennglas auf diese Dynamik und macht sichtbar, in welchen Bereichen es noch Handlungsbedarf gibt. Vor allem in den urbanen Räumen nimmt der Waren- und Wirtschaftsverkehr zu. Das verschärft die Flächenkonkurrenz und führt zu Nutzungskonflikten sowie Einschränkungen für die Lebens- und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Unter diesen Gesichtspunkten wächst die Notwendigkeit, Stadt- und Verkehrsplanung sowie Konzepte der Logistik deutlich stärker integriert zu betrachten, um eine stadtverträgliche, umweltschonende und an den Empfängerbedürfnissen orientierte Feindistribution zu schaffen.

Um zu beleuchten, welcher Mehrwert durch neue Logistikansätze bei der Entwicklung nutzungsgemischter Stadtquartiere erzielt werden kann, hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) für die Region Stuttgart eine Studie in Auftrag gegeben, die innovative Ansätze am Beispiel des Stuttgarter Rosensteinviertels zusammenfasst. Gemeinsam mit einem Team aus Stadt- und Verkehrsplanern eröffneten die Autoren mit dem Stuttgarter Rosensteinviertel eine Diskursplattform.

Neubauquartiere bieten Chancen

Funktional und räumlich anspruchsvolle Logistiklösungen im Bestand umzusetzen, erweist sich in der Praxis als höchst komplex: Häufig stehen Flächenverfügbarkeit, Bodenpreise oder baurechtliche Einschränkungen einer Umsetzung entgegen. Die Entwicklung von Neubauquartieren hingegen bietet Chancen, logistische Ansprüche von Beginn an zu berücksichtigen und innovative Lösungen frühzeitzeitig in allen Planungsdimensionen mitzudenken. So kann der öffentliche Raum im Sinne einer hohen Lebensqualität aktiv und flexibel gestaltet werden. Zugleich können Nutzungskonflikte minimiert werden.

Diese integrierte Betrachtungsweise bietet Chancen: Sowohl Logistikdienstleister als auch Quartiersbewohner profitieren von signifikanten Verkehrs- und Emissionsreduktionen, erleben Verbesserungen in der Verkehrssicherheit und es kommt zu Effizienzgewinnen in der Abwicklung. Zudem entsteht eine Reduktion der Flächeninanspruchnahme und eine höhere Aufenthaltsqualität in öffentlichen Stadträumen.

Anhand des Modellquartiers Rosenstein stellt die Studie zwölf Logistikansätze vor. Das Spektrum der Maßnahmen ist dabei bewusst breit gefächert: Sind unter anderem Paketempfangsanlagen, Multi-User Mikro-Hub, sensorgestütztes Lieferzonenmanagement oder Quartierslogistikmanagement bereits heute im Einsatz, gilt es, auch Lösungen zu berücksichtigen, die sich noch in Testphasen befinden, wie Multi-Use-Parkhäuser, autonome Paketzustellungen und Leise-Logistik-Umschlagzonen, ebenso visionäre Konzepte wie unterirdische Transportsysteme.

Die Studie verweist bei den ausgewählten Ansätzen auf aktuelle Umsetzungs- und Forschungsprojekte wie die Kölner „GeNaLog“ zur geräuscharmen Logistik für Innenstädte oder das auch im BVL-Themenkreis Logistikimmobilien diskutierte Konzept „Smart City Loop“, für das in Hamburg eine Machbarkeitsstudie erstellt wurde.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die Wechselwirkungen zwischen der kommunalen Stadt- und Verkehrsplanung und dem Logistiksektor im innerstädtischen Bereich sind dabei so stark wie nie zuvor. An die Stelle sektoraler Einzelbetrachtungen müssen zwingend gemeinsam erarbeitete innovative Lösungsansätze treten, die Logistikbedürfnisse von vornherein interdisziplinär und integriert mitdenken, ohne die Verantwortung für Stadtraum, Aufenthaltsqualität, Umwelt und Verkehrssicherheit aus dem Blick zu verlieren.

Die Balance zwischen Logistikfunktionen und Stadtraumqualitäten sowie die daraus resultierenden Mehrwerte können nur dann erreicht werden, wenn proaktiv interdisziplinäre Planungsprozesse ohne Berührungsängste der einzelnen Disziplinen initiiert und die Belange einer in die Zukunft gerichteten urbanen Logistik frühzeitig in die Konzeption von Stadtquartieren einbezogen werden. Wissenschaft, Wirtschaft, Planung und Politik sind aufgefordert, dieses Ineinandergreifen zu unterstützen und sich neuen Ansätzen zu öffnen. Die in der Studie dargestellten Logistikansätze können Ideengeber sein. Im Sinne einer Toolbox bilden sie die Grundlage für die Weiterentwicklung ortsspezifischer stadt- und umweltgerechter Logistiklösungen. (fho)

Mario Flammann ist Architekt und Stadtplaner und Geschäftsführender Gesellschafter von Pesch Partner Architekten Stadtplaner GmbH, Stuttgart/Dortmund.

Philipp Hölderich ist Stadt- und Verkehrsplaner und Standortleiter bei der Planer-Societät in Karlsruhe.

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