Telematikexperte: „Wir brauchen einen Standard“

Prof. Heinz-Leo Dudek beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Telematiklösungen für die Logistik- und Transportbranche. Bis heute beklagt er das Fehlen eines von allen Marktteilnehmern getragenen Schnittstellenstandards. Im Interview mit der DVZ erläutert er, warum dieser so wichtig ist und welche erfolgversprechenden Ansätze es geben könnte.

Prof. Heinz-Leo Dudek. (Foto: Privat)

DVZ: Prof. Dudek, ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus. Kommt ein gemeinsamer Schnittstellenstandard für Telematiklösungen in der Logistik- und Transportbranche?

Prof. Heinz-Leo Dudek: Das ist schwer zu beurteilen. Es gibt seit vier Jahren mit OpenTelematics einen Verein, der sich dafür einsetzt. Ob sich diese Initiative durchsetzt und es den Mitgliedern gelingt, einen Standard zu etablieren, bleibt fraglich. Noch fehlt die notwendige Marktrelevanz.

Woran liegt das?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen besteht der Verein zurzeit hauptsächlich aus Telematikanbietern. Für eine gemeinsame Definition eines Standards fehlt jedoch mit den Herstellern der Transportmanagementsysteme noch die andere Seite und diese ist unbedingt erforderlich…

...und zum anderen…

...ist der Markt noch immer fragmentiert. Solange die eigenen Geschäftsmodelle erfolgreich sind, sehen einige Telematikanbieter keine Notwendigkeit, in einen gemeinsamen Standard zu investieren. Sie wären dann ja auch leichter austauschbar.

Hat es denn dann überhaupt Aussicht auf Erfolg?

Das hängt von den Playern ab. Wenn es dem Verein gelingt, die richtigen Unternehmen als Mitglieder zu gewinnen, besteht durchaus Aussicht auf Erfolg. Immerhin sitzen hier Firmenlenker am Tisch, die sich vor ein paar Jahren noch nicht einmal gegrüßt haben. Wir als Duale Hochschule Baden-Württemberg wollen dem Verein ebenfalls beitreten, in der Hoffnung, bei einer Lösung unterstützen zu können.

Wenn es dem Verein gelingt, die richtigen Unternehmen zu gewinnen, besteht Aussicht auf Erfolg. Prof. Heinz-Leo Dudek

Was ist denn so problematisch daran, einen Schnittstellenstandard zu schaffen?

Rein technisch – gar nichts. Die Softwareentwickler haben sich relativ schnell mit der REST-Api auf einen Standard geeinigt. Problematischer wird es bei inhaltlichen und organisatorischen Fragestellungen. Man muss sich dann in den Standardisierungsgremien zusammensetzen und die Details definieren. Es muss klar geregelt sein, ob beispielsweise der Reifendruck in „psi“ oder in „bar“ ausgegeben wird. Es sind dann zum Teil wirklich so banale Dinge, die eindeutig definiert werden müssen. Und bei den komplexeren Informationen, wie beispielsweise den Workflows, versucht natürlich jeder, seine bisherigen Datenstrukturen als Standard durchzusetzen.

Wenn die Branche nicht selbst einen Schnittstellenstandard organisiert bekommt, haben denn die Kunden gar keine Möglichkeiten, ein wenig Druck auszuüben, damit so etwas entsteht?

Das ist sehr schwer zu beantworten. Als Hochschule sind wir schon öfter an die relevanten Verbände herangetreten. Doch trotz einiger Initiativen gab es aus dieser Richtung kein großes Interesse. Auch die Prüforganisationen verhalten sich eher passiv. Dabei hätten sie durchaus die Masse und die Glaubwürdigkeit, am Markt gewisse Standards durchzusetzen.

Was würde der Branche als minimaler gemeinsamer Funktionsumfang denn reichen?

Die Mutter aller Funktionen ist und bleibt die Positionsübertragung. Sie wird benötigt, um Geofences zu ziehen oder um eine voraussichtliche Ankunftszeit (ETA) zu bestimmen. Das sind Funktionalitäten, die jede Anwendung haben muss, und hierfür ist die Standardisierung auch kein Hexenwerk. Dann kommt der weite Bereich der Auftragsübermittlung und der Rückübertragung von Status- und Abliefermeldungen. Spätestens hier kommt dann auch die Schnittstelle in die TMS-Welt ins Spiel. Als Drittes kommt mit einem gewissen Abstand das Thema Fahrerbewertung hinzu.

Warum fällt die Fahrerbewertung so weit ab?

Das hängt von der Betrachtungsweise ab. Für ein Transportunternehmen mit eigenen Fahrern spielt diese Funktion eine wichtige Rolle. Besonders in der aktuellen Situation mit sehr hohen Dieselpreisen einerseits und dem Fahrermangel andererseits. Betrachtet man jedoch die gesamte Lieferkette, dann sind die Fahrerdaten nur für das einzelne Unternehmen relevant. Schnittstellen entlang der Supply Chain werden hier weniger benötigt. Das kommt erst bei der Übermittlung von Daten an Dritte.

Bedeutet das Ihrer Meinung nach, dass die Zukunft der Fahrer- und Fahrzeugtelematik düster aussieht?

Nein. Bisher stand das Fahrzeug jedoch sehr im Fokus, also wo ist es, wie geht es dem Fahrzeug, und wie lange darf der Fahrer noch fahren. Das wird auch weiterhin seine Berechtigung haben. Zusätzlich haben sich weitere Telematikanwendungen beispielsweise für den Trailer etabliert.

Gab es hier in den vergangenen Jahren einen Wandel?

Besonders gravierend für die Erweiterungen der Telematik ist die Marktfähigkeit von Sensoren zur Überwachung der Umweltbedingungen, wie etwa Beschleunigungen und Erschütterungen. Diese sind mittlerweile zu einem Preis zu haben, der es erlaubt, sie überall einzusetzen. Die Daten werden in einer Blackbox, im Allgemeinen ist das der Telematikbordrechner, gesammelt und dann versendet. Damit entstehen noch viel mehr Möglichkeiten, Ladung und Fahrzeug zu überwachen.

Das klingt nach einem großen Wirrwarr.

Das ist es teilweise noch immer. Dafür entstanden vor ein paar Jahren die Integrationsportale. Sie sammeln alle Telematikdaten von verschiedenen Telematiksystemen, mit denen eine Fahrzeugflotte ausgerüstet ist, und bereiten sie so auf, dass man alle relevanten Informationen auf einer Benutzeroberfläche konzentriert. Einige Telematikhersteller haben daraufhin festgestellt, dass sie das auch in bestimmten Anwendungsfällen selber leisten können, wenn sie sich mit ihren Wettbewerbern zusammentun. Diese Erkenntnis ist schon mal ein Schritt in Richtung eines gemeinsamen Schnittstellenstandards.

Wie sehen Sie die Initiative von Schmitz Cargobull vor einiger Zeit, Daten offenzulegen, und das mit dem Bekenntnis, dass Cargobull Telematics nicht das führende System sein müsse?

Aus Sicht einer Trailertelematik ist das vollkommen klar. Es gibt viele Funktionen wie das Fahrer- und Auftragsmanagement, die eine Trailertelematik nicht abdecken kann. Doch auch hier muss wieder eine Schnittstelle geschaffen werden, weil kein Standard vorhanden ist.

Zurück zu den Sensoren beziehungsweise zu weiteren Konnektivitätsmodulen. Seit Jahren rückt bei der Betrachtung des Internets der Dinge die Ladung in den Fokus. Gibt es hier Fortschritte?

Oh ja, immer häufiger werden Paletten, Gitterboxen oder andere Ladungsträger damit ausgestattet. Mit einer Kommunikationstechnik wie etwa dem „Narrow-Band IoT“ können die Boxen völlig autark ihre Informationen preisgeben – unabhängig vom Fahrzeug und dessen Telematikausrüstung. Dieser Trend etabliert sich zunehmend. Das, was lange Zeit im Forschungsstadium verharrte, nimmt mehr und mehr Formen an.

Wie wichtig sind denn für die Digitalisierung der Geschäftsprozesse die eigenen Stammdaten? Aus dem Markt heißt es immer wieder, dass die Kunden erst ihre eigenen Hausaufgaben machen müssten.

Der Mathematiker hat dafür einen guten Spruch: Sie sind notwendig, aber nicht hinreichend. Jedes Unternehmen kann mit Telematiksystemen auf Basis eigener Daten schon mal einige Prozesse beschleunigen. Ein schönes Beispiel dafür ist ein automatisches Starten der Faktura nach Erhalt der Abliefermeldung. Bei der Berechnung der ETA sind sie hingegen nur eingeschränkt hilfreich. Hier müssen nach Möglichkeit Tausende von Wetter- und Verkehrsdaten mit einfließen. Da helfen die eigenen Daten nur eingeschränkt.

Die voraussichtliche Ankunftszeit (ETA) wurde in den vergangenen Jahren sehr gehypt.

Das stimmt. Die ETA ist von vielen Seiten gepusht worden, da sie das Informationsbedürfnis des Warenempfängers befriedigt. Grundsätzlich würde ich es eher als gelungene Marketingaktion bewerten, da es die Funktionalität länger gibt. In die selbe Kerbe schlagen die „neuen“ Real-Time-Transportation-Visibility- (RTTV-)Funktionalitäten. Wer jedoch hier echte, verwertbare Daten haben möchte, der benötigt zur Fahrzeitprognose auch aktuelle Daten über Verkehrslage und Wetter. Hinzu kommen nach Möglichkeit noch historische Daten, um genauere Vorhersagen zu treffen. Schon bei dieser Funktionalität lässt sich feststellen, dass Tausende von Daten in einen Topf müssen, um bewertet zu werden. Daher wäre ein gemeinsamer Datenraum, aus dem sich alle bedienen könnten, ja so wertvoll.

Hätten Sie dafür ein entsprechendes Beispiel?

Den Anfang hatte Fraunhofer mit dem International-Data-Space-Konzept gemacht. Hier vermittelt ein Broker zwischen Datenquelle und –verbraucher, die sich über so genannte Konnektoren an das Datennetzwerk anschließen. Zum Grundkonzept gehört die Datensouveränität, das heißt, wenn jemand seine Daten freigibt, kann er gleichzeitig bestimmen, welche Restriktionen für die Nutzung seiner Daten bestehen. Das macht zwar alles komplizierter, es erschlägt aber weitere Lizenzfragen. Auf dieser Grundidee basiert jetzt auch die Catena-X-Initiative der Fahrzeughersteller und der Zulieferindustrie. Wenn es so etwas auf breiter Basis geben könnte, dann könnte man vielleicht auch mit einem Wildwuchs auf der Analyseseite leben.

Müssten nicht auch dann die Daten übertragen werden?

Aber sicher. Deshalb bleibe ich ja auch bei meinem Statement, dass wir einen Standard benötigen, der sowohl von der Telematik- wie auch der TMS-Welt unterstützt wird. Vielleicht gelingt es dem OpenTelematics-Verein, zunächst auf deutscher Ebene eine Art DIN-Norm zu entwerfen, die man anschließend auf eine europäische Ebene übertragen könnte. (kl)

Prof. Heinz-Leo Dudek

Seit 2017 ist Prof . Heinz-Leo Dudek Dekan der Fakultät Technik der DHBW Ravensburg Campus Friedrichshafen. Die Forschungsschwerpunkte liegen auf der Digitalisierung in der Transportlogistik. Zudem ist er Betreiber des Steinbeis Transferzentrums Telematik. Seine Karriere begann Dudek bei Dornier und der Deutschen Aerospace.

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt DVZ oder DVZ-Brief 4 Wochen kostenlos testen

Nach oben