Poul Hestbaek zieht 100-Tage-Bilanz

Der Chef der Linienreederei Hamburg Süd spricht im DVZ-Interview über Klimaschutz in der Schifffahrt; das ungewohnte Gefühl, die volle Verantwortung zu tragen – und erklärt, warum der Carrier als eigene Marke am Markt bestehen bleiben wird.

Der Hamburg-Süd-Chef spricht im großen DVZ-Interview über Klimaschutz in der Schifffahrt; das ungewohnte Gefühl, die volle Verantwortung zu tragen – und erklärt, warum die Linienreederei als eigene Marke am Markt bestehen bleiben wird. (Foto: Hamburg Süd/Christoph Börries)

Der Chef der Linienreederei spricht nach 100 Tagen im Amt über Klimaschutz in der Schifffahrt; das ungewohnte Gefühl, die volle Verantwortung zu tragen – und erklärt, warum der Carrier als eigene Marke am Markt bestehen bleiben wird.

DVZ: Herr Hestbaek, …

Poul Hestbaek: … Poul, einfach nur Poul, bitte …

… die EU-Kommission hat gerade ihre Vorschläge zur Reduktion von Treibhausgasen in der Schifffahrt vorgelegt. Wie bewertest du das, was jetzt auf dem Tisch liegt?

Im Großen und Ganzen sind die Vorschläge ein guter Beginn. Ich hätte mir da und dort aber durchaus auch ehrgeizigere Regelungen vorstellen können. Und ich hätte eine globale Lösung bevorzugt, die alle Marktteilnehmer gleichermaßen einbezieht.

Heißt?

Eine höhere CO2-Steuer auf fossile Schiffstreibstoffe wäre sinnvoll gewesen und wäre weiter gegangen als das Modell der EU-Kommission. Brennstoff muss deutlich verteuert werden, um einen Anreiz für mehr Innovation bei der Entwicklung neuer Treibhausgas-neutraler Brennstoffe zu geben. Auch die EU-Kommission will alternative Treibstoffe über einen Preismechanismus wettbewerbsfähiger gegenüber fossilen Brennstoffen machen, wählt dafür aber einen anderen Weg. Dieser wird Bunker in weitaus geringerem Maße verteuern.

Warum gehen die Vorschläge aus deiner Sicht nicht weiter?

Es gibt einfach jede Menge Interessen zu berücksichtigen. Schifffahrt ist eine heterogene Branche. Allein im Containersektor gibt es progressivere Kreise, zu denen ich vor allem die europäischen Unternehmen zählen würde, die sich sicher mehr Tempo und Dringlichkeit wünschen, und es gibt Marktteilnehmer mit anderen Vorstellungen. Das alles in Einklang zu bringen, ist sicherlich nicht immer einfach.

Ist es überhaupt möglich, die Geschäftsmodelle der Linienschifffahrt in einer Welt ohne Treibhausgase aufrechtzuerhalten?

Ja, davon bin ich absolut überzeugt. Und ich glaube auch, dass der Weg hin zu diesem Ziel gesetzt ist. Dieser Weg führt über Wissenschaft und neue Technologien. Angela Merkel hat vor kurzem gesagt: „Wir haben noch nicht die Technologie für eine Welt ohne CO2, aber das heißt nicht, dass wir nicht die Technologie entwickeln werden, die uns dieses Ziel erreichen lassen wird“. Das unterschreibe ich voll und ganz.

Was macht dich da so sicher?

Wenn Wissenschaft und Forschung die richtigen Bedingungen vorfinden und vor allem der Markt in vernünftiger Weise in Richtung Treibhausgas-Neutralität gelenkt wird, werden wir die nötigen Treibstoffe haben, um unsere Flotten emissionsfrei zu betreiben.

Du bist sehr optimistisch. Es ist ja noch nicht einmal im Ansatz klar, welcher Treibstoff dies letztlich sein könnte.

Das ist für mich nicht das Entscheidende. Was zählt, ist, dass wir mit dem immer stärker einsetzenden Fokus auf Nachhaltigkeit von allen Playern entlang der Supply Chain plus Kunden und Investoren in den kommenden Jahren einen sehr großen technischen Fortschritt sehen werden. Es werden im Zuge dieser Entwicklung ausreichende Mengen an erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen, die es möglich machen werden, Treibhausgas-neutralen Kraftstoff in ausreichender Menge herzustellen.

Die EU-Kommission strebt eine Mengenreduktion an CO2von 55 Prozent gegenüber 1990 bis zum Jahr 2030 an. Das ist in knapp achteinhalb Jahren ...

... und das ist, gefühlt, morgen. Das wird nicht nur für die Schifffahrt, sondern für alle Unternehmen eine gewaltige Herausforderung. Für die Schifffahrt sind die kommenden Jahre im Vergleich mit anderen Branchen aber noch deutlich komplizierter.

Warum?

Weil die Innovations- und Investitionszyklen in der Schifffahrt zum Teil deutlich länger sind als in anderen Branchen. Wir müssen bereits in den 20er Jahren eine ziemlich genaue Vorstellung davon gewinnen, welche Schiffe entwickelt werden müssen, um unser Geschäft dann 2050 vollkommen ohne die Emission von Treibhausgasen betreiben zu können. Das ist zumindest das Ziel, das sich die Maersk-Gruppe selbst gesetzt hat.

Du stehst seit gut 100 Tagen an der Spitze von Hamburg Süd. Wie hat sich deine Perspektive auf das Unternehmen im Vergleich zu deiner vorherigen Tätigkeit als Vertriebschef geändert?

Ich spüre jetzt das Gewicht meiner Entscheidungen viel stärker als vorher. Die Luft wird bekanntlich dünner, je höher man steigt. Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Verantwortung jetzt bei mir endet. Für mich ist das ohne Frage ein immer noch recht neues Gefühl. Ich komme damit aber sehr gut zurecht.

Ich spüre jetzt das Gewicht meiner Entscheidungen viel stärker als vorher. Die Luft wird bekanntlich dünner, je höher man steigt. Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Verantwortung jetzt bei mir endet.

Was ändert sich mit dir als Chef?

Ich tue mich ein bisschen schwer damit, zu versuchen, das über mich selbst zu sagen.

Dann fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Du lässt dich von jedem duzen.

Ja, ich bin Poul. Fertig. Ich weiß, dass das in Deutschland eine größere Sache ist als in meinem Heimatland, doch so viel Bedeutung sollte man da nun auch wieder nicht hineinlegen. Es ist einfach in Dänemark üblich, das so zu machen, und alles andere käme mir auch hier in Deutschland komisch vor. In Dänemark gibt es nur eine einzige Ausnahme: Niemand käme auf die Idee, die Königin zu duzen.

Die Hamburg-Süd-Geschäftsleitung besteht neben dir mit Finanzchef Lasse Carøe Henningsen aus zwei Dänen. Ist das in irgendeiner Weise von Vorteil, wenn der Mutterkonzern dänisch ist?

Dänemark ist ein Dorf, und es schadet zumindest nicht, dass wir alle aus diesem Dorf kommen. Wir sind mit denselben kulturellen Referenzen aufgewachsen und teilen unter Umständen denselben Humor. Man darf das aber auch nicht überbewerten. Es ist absolut nicht so, als existiere bei Maersk eine klassisch dänische Unternehmenskultur. In der Kopenhagener Firmenzentrale geht es ausgesprochen international zu; alle sprechen miteinander englisch.

Wie unabhängig von Maersk kannst du entscheiden?

Die übergeordneten Entscheidungen über Richtung und Strategie werden selbstverständlich nach gemeinsamer Abstimmung von Maersk zentral getroffen. Der Weg, wie Hamburg Süd das von der Gruppe angestrebte Ziel erreicht, ist aber unsere Sache. Unser Weg kann sich dabei durchaus von dem von Maersk unterscheiden, zum Beispiel weil unsere Kunden andere Bedürfnisse haben.

Viele erwarten, dass Hamburg Süd früher oder später in Maersk integriert und als eigene Marke verschwinden wird. Gibt es aus der Konzernzentrale in Dänemark Anzeichen dafür?

Mir ist bewusst, dass viele dieses Szenario erwarten. Aber nein, es gibt absolut nichts in dieser Richtung.

Warum sollte Maersk anders verfahren als im Falle von Safmarine? Der Markenname des konzerneigenen belgischen Shortsea-Carriers ist seit vergangenem Jahr vom Markt verschwunden. Und auch große Teile der Spedition Damco sind in der Muttergesellschaft aufgegangen.

Hamburg Süd wird als eigene Marke am Markt auftreten, solange das Unternehmen als eigene Marke relevant für seine Kunden und natürlich auch das Mutterunternehmen ist. Meiner Meinung nach sind wir das heute mehr als zum Zeitpunkt der Übernahme durch die Maersk-Gruppe im Jahr 2017.

Dennoch hängt die Unsicherheit über die Zukunft wie ein dunkler Schleier über Hamburg Süd. Wie wirkt sich das auf die Stimmung im Unternehmen aus?

Manche Kollegen machen sich so ihre Gedanken, vor allem unter den langjährigen Mitarbeitern ist das ein Thema. Doch diese Unsicherheit gab es auch schon vor der Übernahme, als noch die Familie Oetker Eigentümerin von Hamburg Süd war.

Hamburg Süd muss den Unternehmenssitz räumen und sich künftig Büroflächen mit den Hamburger Maersk-Kollegen teilen. Du musst zugeben, dass das einen gewissen Symbolwert hat.

Wenn man möchte, kann man es so sehen, und ich weiß, dass es bei uns einige Kollegen gibt, die den Umzug für ein schlechtes Zeichen halten. Doch ganz ehrlich: Dafür gibt es absolut keinen Grund. Wir beziehen neue Büroflächen, die dazu beitragen, dass wir besser miteinander kommunizieren, nicht nur untereinander, sondern auch mit den Kollegen von Maersk. Auch mir gefällt das Hamburg-Süd-Gebäude; ich könnte stundenlang hier oben im 15. Stock am Fenster stehen und den Hamburger Hafen betrachten. Doch letztlich sprechen wir von einem Gebäude, nicht mehr und nicht weniger.

Hamburg-Süd-Kunden machen gerade schwere Zeiten durch: Es herrscht Kapazitätsknappheit, die Frachtraten sind hoch, und nur rund 44 Prozent der Schiffe laufen fahrplangemäß in den Häfen ein. Wie willst du das ändern?

Ja, nicht nur Hamburg-Süd-Kunden sind betroffen. Alle haben derzeit das Problem. Wir erfüllen seit längerer Zeit nicht die Qualitätskriterien, die wir selbst an uns anlegen, und das treibt uns alle um. Wir setzen alles daran, um die Pünktlichkeit unserer Schiffe zu verbessern.

Wie?

Letztlich läuft es auf zwei wirksame Instrumente hinaus: Man kann, erstens, die Anzahl der Schiffe pro Dienst erhöhen, doch das kommt natürlich derzeit für keine Reederei infrage, weil schlicht alles, was schwimmen kann, schon unterwegs ist. Wir haben uns daher dafür entschieden, die Anzahl der angefahrenen Häfen zu reduzieren, etwa bei unserem wichtigsten Dienst zwischen Nordeuropa und der Ostküste von Südamerika.

Wie ließen sich die vollkommen aus dem Takt geratenen Lieferketten resilienter machen?

Das Design der maritimen Lieferkette beruht auf der Annahme, dass jedes Gut von jedem Ort der Welt jederzeit an jeden Ort der Welt transportiert werden kann. Die Effekte der Pandemie haben uns gelehrt, dass unsere Annahmen nicht zutreffend waren. Hersteller wären sicher gut beraten, Notfallpläne für die Zulieferungen ihrer dringend benötigten Komponenten aufzubauen.

Glaubst du, dass es infolge von Produktionsschwierigkeiten zu einer Deglobalisierung kommen könnte?

Nein. Ich halte diese Diskussion für überschätzt. Globalisierung wurde und wird von sinkenden Produktionskosten getrieben sowie geringen Transportkostenanteilen pro verschifftem Gut. Beides liegt vor.

Es gibt durchaus Warengruppen, bei denen der Transportkostenanteil inzwischen einen Großteil des Verkaufspreises ausmacht. Großvolumige montierte Möbel, wie etwa Sofas, von China nach Europa zu verschiffen, lohnt sich beim aktuellen Ratenniveau eigentlich nicht mehr.

Da ist was dran, auch wenn die langfristigen Kontraktraten bei weitem nicht so verrückt hoch sind wie die Spotraten. Doch Importeure von Sofas dürften sich derzeit tatsächlich fragen, ob es nicht besser ist, die Produktion zurückzuholen. Eine Deglobalisierung droht jedoch auch in solchen Nischenmärkten nicht. In den westlichen Industrienationen fehlt es schlicht an Fachkräften, die unser besagtes Sofa produzieren könnten. Womit die Produktion selbst bei hohen Transportkostenanteilen in Übersee bleiben wird. Dem Sofaimporteur bleibt letztlich nur, den Ladenpreis anzuheben.

Können hohe Transportpreise die Inflation treiben?

Nein. Dafür ist der Hebel der Transportpreise viel zu gering. Wenn man Turnschuhe, elektronische Geräte oder andere hochpreisige Güter in Stückzahlen von mehreren Tausend in einen einzigen Container packt, fallen die Transportkosten unter dem Strich selbst bei weiter steigenden Raten nicht ins Gewicht. Außerdem sind die derzeitigen Frachtraten eine Ausnahme, die nicht ewig anhalten wird.

Wenn du mit dem Finger auf den Kalender zeigen müsstest: Zu wann erwartest du eine Rückkehr zu so etwas wie Normalität?

Wenn ich das tun müsste, dann nur mit meinem dicksten Finger, und zwar auf dem kleinsten Kalender, den ich finden kann. Ich gehe davon aus, dass es noch länger knappe Kapazitäten und relativ hohe Frachtraten geben wird. Wenn wir Glück haben, größere Hafenüberlastungen wie kürzlich in Yantian ausbleiben und die Fahrpläne wieder verlässlicher werden, wird sich der Markt wieder stabilisieren. Auf welchem Niveau, das kann niemand seriös beantworten. Wovon ich aber sicher ausgehe, ist, dass es auf einem höheren Niveau sein wird als vor der Pandemie.

Poul Hestbaek

Der 60-jährige Däne ist einer der wenigen Topmanager in der Schifffahrt, der im Besitz eines Kapitänspatents ist. Hestbaek erwarb die Lizenz 1985 und fuhr anschließend zehn Jahre zur See, bevor er in London Wirtschaft studierte und vom Schiff an die Schreibtische verschiedener Unternehmen wechselte. Nach Hamburg kam er vor 20 Jahren als Manager von CSAV. 2004 trat er bei Hamburg Süd ein, wo er weltweit unterschiedliche Führungspositionen bekleidete, zuletzt als Vertriebschef.

Unzuverlässige Carrier

Die Schiffe der Containerreedereien laufen im Zuge der durch die Pandemie verursachten Marktverwerfungen immer unpünktlicher in den Häfen ein. Laut einer aktuellen Analyse von Sea-Intelligence kamen im Mai 2021 gerade mal durchschnittlich 38,8 Prozent der Schiffe fahrplangemäß an. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist das ein Minus von 36 Prozentpunkten.

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