Krisenmanager oder Krisenprofiteure?

Die Linienreedereien fahren nach Jahren mit zum Teil wenig auskömmlichen Raten wieder sehr ordentliche Gewinne ein. Nutzen sie jedoch über die Maßen aus, dass die Nachfrage nach Schiffstransporten aus Asien größer ist als die Kapazität? Und wären der fehlende Frachtraum und das nicht ausreichende Equipment vorherzusehen gewesen? Die DVZ hat nachgefragt.

Die Havarie der „Ever Given“ könnte richtig teuer werden. 900 Millionen US-Dollar Schadenersatz fordert die ägyptische Kanalbehörde – und hat das im März sechs Tage im Suezkanal gestrandete Containerschiff daher festgesetzt. Die Blockade durch den von der taiwanesischen Reederei Evergreen gecharterten Frachter führte allerdings nicht nur dazu, dass rund 370 Schiffe auf beiden Seiten dieses so wichtige Nadelöhr für den Verkehr zwischen Asien und Europa nicht mehr passieren konnten. Sie hat auch die schon in puncto Equipment und Kapazität ohnehin angespannte Situation im Containergeschäft verschärft.

Denn schon zuvor war die Nachfrage auf den wichtigen Diensten Transpazifik und Fernost erheblich größer als der zur Verfügung stehende Frachtraum. In der Folge sind die Schiffe ausgebucht, und es fehlt an Containern. Die Frachtraten wurden auf einigen Diensten deutlich erhöht, und es wird so viel verdient wie seit Jahren nicht. Wie seitens der Reedereien mit der Situation umgegangen wird und ob diese zumindest zum Teil vermeidbar gewesen wäre, beurteilen die Akteure recht unterschiedlich.

Eine Frage des Fair Play

„Das Hauptproblem ist die Verfügbarkeit des Equipments“, sagt Willem van der Schalk, Präsident des Europäischen Speditionsverbandes Clecat und Sprecher des Komitees Deutscher Seehafenspediteure (KDS). Amerika habe zwischen der ersten und zweiten Pandemiewelle ein normaleres Konsumverhalten gezeigt – business as usual. „Die Reeder haben daher Equipment im Trade in die USA eingesetzt und auch ihre Schiffskapazität dorthin verlagert“, so van der Schalk. Das habe für sie den Vorteil gehabt, dass der Umlauf schneller war, zumindest bis es zu den Staus vor Long Beach kam. Entsprechend seien weniger Schiffe zwischen Asien und Europa gefahren, mit der Folge, dass in Europa auch weniger Equipment als für den Transpazifik-Dienst zur Verfügung gestanden habe.

Eine erhöhte Nachfrage habe es dort allerdings nicht gegeben: „Man kann hier von einer künstlichen Verknappung durch die Reeder sprechen, und die höheren Raten sind das Resultat“, unterstreicht der Clecat-Präsident. Allerdings ergänzt er: „Dass die Raten erhöht wurden, ist kein Problem, aber dass die komplette Lieferkette so ins Trudeln gekommen ist, so dass wir den Kunden nichts mehr garantieren konnten, weil es keinen Platz mehr gab.“

Kapazitätsmangel beim Equipment

Die fehlende Verfügbarkeit des Equipments liegt laut van der Schalk auch daran, dass im Zuge des Kaufs von immer größeren Schiffen pro TEU Frachtraum immer weniger Boxen gekauft wurden: „Früher wurde die dreifache Menge an Containern pro Schiff gekauft", berichtet der Clecat-Präsident. „In der Pandemie sind die Beteiligten der Lieferkette aber darauf angewiesen, die Container als Lager zu benutzen, und dadurch ist alles in Unordnung geraten. Dass der Kapazitätsmangel beim Equipment kaum vorhersehbar gewesen ist, ist aber nachvollziehbar.“

Was van der Schalk allerdings kritisiert: „Es gibt mit keiner der Containerreedereien ein konstruktives Gespräch und auch keine Bereitschaft dazu, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.“ Seit Ausbruch der Pandemie gelte „,Me First' oder ,Hauptsache, ich profitiere‘“, unterstreicht van der Schalk. „Diese Haltung hat sich bei den Reedereien durchgesetzt, und das betrifft nicht nur höhere Raten und die Nichtverfügbarkeit von Containern.“

Der Service habe sich unter anderem durch Mitarbeiter im Homeoffice hingegen verschlechtert: „Das Vertrauen ist gebrochen und nachhaltig geschädigt.“ Die Verlängerung der Gruppenfreistellungsverordnung für die großen Schifffahrtsallianzen sei ebenfalls ein großer Fehler gewesen. Nun erhofft sich van der Schalk Unterstützung von der EU-Kommission: „Wir brauchen ein neues Regulativ und müssen zurück zum Fair Play.“

Reeder in starker Position

Aus Sicht von Carsten Hellmers, CEO des Bremer Speditionsunternehmens Alexander Global Logistics, hat niemand den Schub an Nachfrage erwartet: „Der Markt ist förmlich explodiert, und die Kapazität ist stehen geblieben – beziehungsweise die Carrier haben noch Kapazität reduziert.“ Die Kunden müssten nun stets frühzeitig und verbindlich buchen, akzeptierten das aber. Schließlich fehlten enorme Kapazitäten: „Zwischen Asien und Europa bräuchten wir 10 bis 15 Prozent mehr Frachtraum“, so Hellmers. Dabei spiele eine wichtige Rolle, die Lieferketten nicht abreißen zu lassen: „Die Kapazitäten sind zu sehr limitiert, um entsprechende Sicherheitsläger aufzubauen.“ Verladereigene Container würden im Linienverkehr keine Abhilfe schaffen: „Wenn kein Platz vorhanden ist, hilft eigenes Equipment auch nicht weiter.“

Kritik an den Reedereien übt allerdings auch der Bremer CEO: „Wenn wir eine schriftliche Buchungsbestätigung erhalten haben und diese Verträge dann nicht eingehalten werden, ärgert uns das natürlich.“ Auch dass die Freizeiten reduziert wurden, versteht er nicht. „Die Reeder sind gerade in einer sehr starken Position.“ In Bezug auf die Weiterbelastung der Storage-Kosten im Fall von Ladung, die durch die Reederei auf das nächste Schiff verschoben wird, fehlt ihm ebenfalls das Verständnis. „Ich gönne den Reedern die hohen Raten, solange der Service verlässlich ist und Verträge nicht einseitig gebrochen werden.“ Auch in einer geschäftlichen Partnerschaft sei es wichtig, fair miteinander umzugehen.

Das Argument der hohen Raten als Kompensation für niedrige Raten in der Vergangenheit lässt Hellmers nicht gelten: „Die Raten waren lange Jahre so niedrig aufgrund der von den Reedereien selbst geschaffenen Überkapazitäten und damit hausgemacht.“ Die Kritik von van der Schalk an den Allianzen teilt er: „Das sehe ich auch, es braucht hier definitiv ein Regulativ.“

Kapazitäten folgen den Märkten

Christoph Baumeister, Senior Ocean Trade Lane Manager beim Speditionsunternehmen Flexport in Deutschland, äußert durchaus Verständnis für das Verhalten der Reeder in der Kapazitätsfrage: „Die Nachfrage in den USA hat bereits ab dem zweiten Quartal 2020 wieder zugenommen, in Europa erst im dritten und vierten Quartal; deshalb haben die Reedereien die Kapazität dorthin verlegt.“ Dabei liege es auch in deren Interesse, genügend Equipment nach Europa zu bringen. „Anfangs waren die Frachtraten von Asien in die USA zwar höher, aber dann hat Europa aufgeholt.“ 2021 sei zum chinesischen Neujahrsfest von Reisebeschränkungen innerhalb Chinas geprägt gewesen, was nicht nur Einfluss auf die Kapazität, sondern auch auf die Lkw-Transporte gehabt habe. „Die Nachfrage ist weiterhin stark gewesen, und zwar stärker als sonst nach dem Chinese New Year.“

Dass es im März 2021 an Equipment mangelte, habe an der fehlenden Verfügbarkeit in den USA aufgrund des Staus vor der Westküste mit etwa 30 Schiffen gelegen. Zum fehlenden Frachtraum sagt er, dass er den Reedern keineswegs schlechte Absichten in puncto Equipment unterstellen will. Die Equipmentsituation treffe die digitale Spedition auch nicht mehr als die anderen Wettbewerber: „Besondere Nachteile haben wir nicht“, betont Baumeister. „Ob wir eigenes Equipment anschaffen oder verstärkt verladereigene Container einsetzen, prüfen wir derzeit; das ist noch nicht abgeschlossen.“

Mehr Menge ist jetzt eher schlecht

Als Vorsitzender des Vereins Bremer Spediteure (VBSp) beobachtet Oliver Oestreich das Containergeschäft ebenfalls sehr genau: Die starke Nachfrage, der ausgereizte Schiffsraum und die angespannte Equipmentsituation seien jedoch nicht vorhersehbar gewesen: „Dass sich das Konsumverhalten insbesondere in den USA so sehr verändert hat und der Bedarf ab Juni 2020 auf den Transpazifik-Diensten so groß war, dass man ihn nicht mehr bedienen konnte, hat alle überrascht.“ Dadurch seien Schiffe in dieses Fahrtgebiet verlegt worden, was zur Folge gehabt habe, dass in Europa nicht mehr genügend Equipment zur Verfügung gestanden habe.

Die Einschätzung, dass die Equipmentsituation hausgemacht sei, teilt Oestreich nur bedingt: „Die Reedereien haben zehn Jahre wenig verdient, entsprechend hat man auch weniger in das Equipment investiert.“ Außerdem: „Ich verstehe, dass die Reeder die Marktkonstellation für sich nutzen. Viel Ware verträgt auch höhere Preise.“ Überdies dürfe nicht vergessen werden: „Ohne die Reedereien geht’s nicht; unser Geschäftsmodell braucht eine funktionierende Schifffahrt, und der Retrun on Investment muss auch bei den Reedern stimmen.“

Problematischer als die hohen Raten seien derzeit jedoch das fehlende Equipment und der zu geringe Frachtraum. Während die Reedereien früher froh über große Mengen gewesen seien, habe sich das komplett umgekehrt: „Mehr Menge ist jetzt eher schlecht.“ Zudem gebe es für Buchungen ab der Hamburg-Antwerpen-Range etwa sechs Wochen Vorlaufzeit. Ebenso wie Hellmers fordert auch Oestreich eine klare und verlässliche Kommunikation und die Einhaltung von Commitments. SDenn auch er weiß von zum Teil einseitig gekündigten Vereinbarungen: „Fair Pay bedeutet das Einhalten von Zusagen und im Fall von triftigen und nachvollziehbaren Gründen ein Entgegenkommen.“ Er erwarte, „dass sich die Kommission sehr genau das Marktverhalten der Reeder anschaut; mit nur noch drei Allianzen haben wir klar einen oligopolistischen Markt.“ Derzeit seien die Preise wegen der Verknappung aufgrund der großen Nachfrage schließlich hoch, ohne dass die Dienstleistung verbessert worden sei.

Verdienst variiert immer zyklisch

Als Krisenprofiteur sieht CEO Rolf Habben Jansen Hapag-Lloyd nicht: „Zehn Jahre lang haben die Reedereien nicht einmal die Kapitalkosten eingefahren.“ Niemand habe im zweiten Halbjahr 2020 eine so hohe Nachfrage erwartet. Zudem sei die Containerschifffahrt immer eine zyklische Industrie. Auch die Kritik von Clecat versteht Habben Jansen nicht: „Die Nachfrage übersteigt derzeit das Angebot.“ Das Volumen sei nicht größer als vor der Pandemie. Man versuche, so viel Kapazität wie möglich in den Markt zu bringen, komme dabei aber an Grenzen. „In Gesprächen zwischen Spediteuren und Verladern finden wir mit den Kunden meistens eine Lösung“, betont der Reedereichef. Zudem habe er gar kein Interesse daran, dass die angespannte Situation anhalte: „Ich möchte auch, dass der Markt sich normalisiert. Bis dahin versuchen wir, alles, was möglich ist, zu transportieren.“

Es helfe, nicht übereinander, sondern miteinander zu reden: „Wir sind auch gegenüber der EU-Kommission immer gesprächsbereit.“ Das Verhältnis zu den Spediteuren sei gut: „Wir wissen, in welchem Umfeld sie agieren.“ Auch für die Reedereien seien diese wichtig: „55 bis 60 Prozent des Volumens wird über Spediteure gebucht – und das wird auch in Zukunft so sein.“ Eine Preisregulierung der Frachtraten hält er indes für „schwierig“: „Es gab Zeiten, in den wir 50 US-Dollar für den Transport eines 40-Fuß-Containers beispielsweise von Fernost nach Südamerika bekommen haben.“ Zudem seien die Frachtraten im Vergleich zwischen 2019 und 2020 nur um 4 Prozent gestiegen. Höhere Raten seien nur für das Spotgeschäft, also Last-Minute-Fracht ohne mittel- oder langfristigen Vertrag, bezahlt worden. Versender, die sich über „zu hohe Raten“ beschwerten, seien oft diejenigen, die früher aufgrund der vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen Raten gezahlt hätten, die höchstens kostendeckend gewesen seien.

Abhilfe bei den Containern gibt es bereits: Zwischen März 2020 und April 2021 wurden bereits 300.000 neue Boxen angeschafft. Nachdem diese noch nie so stark ausgelastet gewesen seien wie im vierten Quartal 2020 – plus 6 Prozent gegenüber 2019 – hat Hapag-Lloyd bis jetzt für 2021 insgesamt noch einmal 150.000 Standard- und Reefercontainer bestellt und dafür 550 Millionen US-Dollar investiert. Auch wurden im vergangenen Jahr 52 zusätzliche Fahrten gemacht, um Hunderttausende Leercontainer an Orte mit hoher Nachfrage zu bringen. (ben)

Ein Blick zurück

2008 wurden in den USA und Europa die bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts etablierten Schifffahrtskonferenzen aufgehoben, zu denen sich die Reedereien zusammengeschlossen hatten. Diese sollten einen ruinösen Konkurrenzkampf in der Linienschifffahrt verhindern und hatten zumindest eine beruhigende Wirkung auf die Entwicklung der Frachtraten. Dass im gleichen Jahr mit der Pleite von Lehman die Wirtschaftskrise begann, mag ein unglückliches historisches Zusammentreffen gewesen sein. Aufgrund der hohen Nachfrage insbesondere für Exporte aus Asien hatten die Reeder jedoch in den Jahren zuvor auf einen steigenden Bedarf von Frachtkapazität gesetzt und entsprechend viele Neubauten in Auftrag gegeben. Zu viele Schiffe trafen auf eine nicht wie erwartet gestiegene Nachfrage. Zudem fiel der stabilisierende Faktor der Konferenzen weg, so dass die Frachtraten verfielen.

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