NRW-Verkehrsminister Krischer: „Wir müssen Umwelt und Verkehr zusammen denken“

Oliver Krischer (Grüne) ist seit Ende Juni 2022 neuer Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW. Für ihn sind Radverkehr, ÖPNV und eine nachhaltige Mobilität wichtige Themen, die er voranbringen will.

Oliver Krischer (Grüne) ist seit Ende Juni 2022 neuer Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW. Für ihn sind Radverkehr, ÖPNV und eine nachhaltige Mobilität wichtige Themen, die er voranbringen will.

DVZ: Sie sind neuer Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr. Verkehr steht bei der Ministeriumsbezeichnung jetzt ganz hinten. Welches Signal senden Sie damit an die Transportbranche?

Oliver Krischer: Das hat vor allem technische Gründe, weniger inhaltliche. Der Zuschnitt des Ministeriums zeigt, dass wir Umwelt und Verkehr gemeinsam denken und umsetzen werden. Wir müssen beide Bereiche zusammenführen mit dem klaren Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft. Das ist für die Umwelt wichtig und bietet gleichzeitig riesige wirtschaftliche Potenziale. Die nachhaltige Mobilität ist eine globale Herausforderung. Weltweit wird nach Lösungen gesucht. Wenn wir die Kräfte bündeln, können wir uns als Vorreiter auf dem Markt positionieren.

Die Interessen von Umwelt, Naturschutz und Verkehr sind häufig ja unterschiedlich bis gegenläufig. Wie lassen sich die Bereiche miteinander verbinden?

Wichtig ist, dass bei Planungen von Anfang an beide Bereiche gemeinsam gedacht werden. Alle Argumente müssen auf den Tisch und in die Abwägung einfließen - die mögliche Entlastung einer Ortschaft und wirtschaftliche Folgen ebenso wie zum Beispiel Klimaschutz und Flächenverbrauch. Im Sinne dieser Abwägung und für die Planungssicherheit für die Menschen vor Ort haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, den Landesstraßenbedarfsplan zeitnah neu aufzustellen. Auch die Schiene birgt weitere Potenziale für die Entlastung von Umwelt und Klima. Dafür ist es wichtig, die Lücke zwischen Unternehmen und Schienennetz zu schließen. Weitere Beispiele sind der Ausbau der Radwege, der Umstieg auf emissionsarme Flugzeuge und Antriebstoffe.

Wo setzen Sie in der Verkehrspolitik in NRW künftig Ihre Prioritäten?

Für mich hat der Ausbau der Infrastruktur beim Radverkehr und beim öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV)) Vorrang. Bei letzterem wollen wir das Angebot bis 2030 um mindestens 60 Prozent erhöhen. Die Angebote müssen zuverlässiger, vernetzter und hinsichtlich ihrer Barrierefreiheit und Nutzerfreundlichkeit besser werden. Dafür müssen sich der Bund, die Länder und die Kommunen gleichermaßen einsetzen. Um den ÖPNV besser mit Fahrrad- und Sharingangeboten zu vernetzen, werden wir mindestens 1.000 zusätzliche Mobilstationen fördern. Auch das Radwegenetz soll deutlich um mindestens 1.000 Kilometer ausgebaut werden. Beim Straßennetz wird in den nächsten Jahren die Sanierung Vorrang vor dem Neubau haben. Wir haben in Deutschland einen gewaltigen Investitionsstau bei der Infrastruktur, da müssen wir auf allen Ebenen dringend ran. Erhalt vor Neubau ist in Zeiten explodierender Baukosten ein nachhaltig-finanzielles Gebot.

Was können Sie auf Landesebene für den Klimaschutz im Verkehr tun?

Der ÖPNV muss eine zentrale Säule der Mobilität werden. Mit attraktiven und nutzerfreundlichen Angeboten müssen wir mehr Menschen von der Nutzung von Bus und Bahn überzeugen und gleichzeitig auch den ÖPNV selbst noch nachhaltiger gestalten. Hierzu unterstützen wir Kommunen und Unternehmen zum Beispiel bei dem Umstieg auf Elektromobilität und fördern Linienbusse auf Batterie- und Brennstoffzellenbasis. Bis 2028 ist zum Beispiel der Betrieb von 63 batterieelektrischen Zügen auf dem Niederrhein-Münsterlandnetz geplant. Allein diese Züge werden pro Jahr rund 64.000 Tonnen CO2-Emissionen vermeiden. Der Eisenbahnverkehr ist das Verkehrsmittel mit dem kleinsten ökologischen Fußabdruck. Hier bestehen noch Potenziale, indem wir Dieseltriebzüge ersetzen und Strecken elektrifizieren. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien können die Angebote nicht nur lokal, sondern vollständig emissionsfrei werden. Attraktive Bahnangebote können zudem Kurzstreckenflüge ersetzen. Auf dem Weg zu einem sauberen Luftverkehr sind wir in Nordrhein-Westfalen Vorreiter. Das Land hat beispielsweise den Um- und Ausbau des Verkehrslandeplatzes Aachen-Merzbrück zu einem Forschungsflughafen gefördert, damit dort Tests mit E-Flugzeugen durchgeführt werden können. Wir werden uns zudem dafür stark machen, dass im Luftverkehr künftig mehr nachhaltige Kraftstoffe verwendet werden. Ein weiterer Ansatzpunkt ist der Einsatz klimafreundlicher Ressourcen und Recycling-Materialien bei Bauvorhaben.

Sie haben sich sehr lange mit Kohlekraftwerken in NRW (Düren) beschäftigt. Der Kohleausstieg war beschlossen, nun muss Deutschland wieder Kohle einsetzen, um die Energieversorgung sicherzustellen. War der Ausstieg voreilig?

Nein, überhaupt nicht. Wir brauchen einen Kohleausstieg 2030. Es ist aber richtig, dass wir jetzt einige Kohlekraftwerke für die nächsten beiden Winter in der Reserve halten, bis wir uns von russischen Gaslieferungen unabhängig gemacht haben. Im Koalitionsvertrag in NRW haben wir uns mit der CDU darauf verständigt, den Kohleausstieg bis 2030 umzusetzen. Die rechtlichen und finanziellen Grundlagen zum Kohleausstieg auf Bundesebene müssen entsprechend angepasst werden. Wir sehen doch gerade an dem aktuellen Hitze-Sommer, wohin die Klimakrise führt – 2021 noch extremes Hochwasser mit Milliarden-Schäden und unzähligen Opfern, 2022 extremes Niedrigwasser, das auch die Transportbranche trifft. Ohne einen konsequenten Klimaschutz gefährden wir die Grundlagen unserer Gesellschaft.

„Es ist richtig, dass wir jetzt einige Kohlekraftwerke für die nächsten beiden Winter in Reserve halten, bis wir uns von russischen Gaslieferungen unabhängig gemacht haben.“ Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW

Ist auch das Verbrenner-Aus übereilt oder eher notwendiger denn je?

Die Zeiten des Verbrenners sind vorbei. Das ist eine globale Entwicklung, die nicht nur durch den Klimaschutz getrieben wird. Viele Staaten und auch die EU haben längst Enddaten für den Verbrenner. Der Elektromotor ist mindestens für den PKW auf Dauer die günstigere und effektivere Antriebsart. In der entscheidenden Batterietechnik hatten wir eine geradezu disruptive Entwicklung. Der Erfolg von Herstellern wie Tesla und Grundsatzentscheidungen auch der deutschen Hersteller zeigen, dass die Kundinnen und Kunden längst mit den Füßen abgestimmt haben.

Derzeit wird diskutiert, dass die Maut für alle auch auf Landes- und Kommunalstraßen eingeführt wird. Würden Sie das als Landesverkehrsminister in NRW unterstützen?

Wir haben in Deutschland einen gewaltigen Investitionsstau. Um diesen zu beheben und aufzuarbeiten, ist es zwingend erforderlich, dass auch der Bund weitere Mittel zur Verfügung stellt. Wichtig ist, dass die Finanzierung fair erfolgt. Dazu muss auch auf den Prüfstand, welche Maßnahmen wirklich erforderlich und zukunftsfähig sind. Wichtig ist dann eine genaue Prüfung, ob und wo gegebenenfalls eine „Gerechtigkeitslücke“ besteht. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass schon heute Kfz-Steuer und Energiesteuer anfallen und sich der Güterkraftverkehr im Sinne der Nutzerfinanzierung anteilig einbringt. Ob eine Erweiterung der Maut wirklich das richtige Instrument ist und der technische, finanzielle und organisatorische Aufwand angemessen wären, wird von vielen bezweifelt. Das muss man sich genau ansehen.

Brücken sind ein riesiges Thema in der Bundespolitik. Verkehrsstaatssekretär Oliver Luksic sagte kürzlich, das Ziel, bis 2030 etwa 400 Brücken zu sanieren, ist nicht zu schaffen, unter anderem wegen der steigenden Baukosten und fehlendem Personal. Wie stellen Sie sich die Entwicklung der Infrastruktur inklusive Brücken in NRW vor?

Die Sperrung der A45 in Lüdenscheid zeigt uns deutlich die Bedeutung unserer Infrastruktur. Daher legt auch die neue Landesregierung einen Schwerpunkt auf die Erhaltung und Sanierung der vorhandenen Straßen und Ingenieurbauwerke. Die hierfür eingesetzten Investitionsmittel werden mindestens verstetigt, so dass unsere Infrastruktur zukunftsfest bleibt. Darüber hinaus wird das Land sich weiterhin dafür einsetzen, dass der Bund ausreichend Mittel für die Instandhaltung der Bundesstraßen zur Verfügung stellt und die Brücken im Zuge der Autobahnen in einen leistungsfähigen Zustand bringt. Es sollte in einem „Gesamtkonzept Brücken NRW“ dafür Sorge getragen werden, dass die Straßenbaulastträger Bund und Land mit gemeinsamen Standards und Vereinfachungen das Baugeschehen betreiben. Hier könnte der Planungs-, Ausschreibungs- und Bauaufwand erheblich reduziert werden. Weiter würde eine systematische Innovationsförderung für seriellen Brückenbau und eine stärkere Verzahnung von Planung und Bau durch Funktionalausschreibungen oder Mischlosvergaben hierzu beitragen.

Das Westdeutsche Kanalnetz ist sehr leistungsfähig. Sehen Sie ein weiteres Verlagerungspotenzial von der Straße auf die Wasserstraße?

NRW ist das Binnenschifffahrtsland Nr. 1 in Deutschland. Über das Westdeutsche Kanalnetz sind die Häfen und Wirtschaftszentren im Ruhrgebiet mit dem Rhein und dadurch mit der Welt verbunden. Derzeit sehen wir eine leichte Steigerung der Verkehre. Die Binnenschifffahrt kann aber noch mehr, wenn alle Beteiligten konsequent an einer starken Infrastruktur und der Beseitigung von Engpässen arbeiten. Als Land bringen wir uns natürlich in einen nachhaltigen Ausbau der Binnenschifffahrt ein. Davon profitiert auch die Umwelt, wenn man bedenkt, dass ein Binnenschiff rund 150 LKW ersetzt. Wichtig ist, dass dem Aktionsplan Westdeutsche Kanäle des Bundes konkrete Umsetzungsschritte und eine Verstetigung der Mittel folgen. Leider habe ich nach jüngsten Aussagen und Taten von Bundesminister Wissing daran Zweifel, denn er will die Haushaltsansätze für 2023 für Binnenwasserstraßen drastisch kürzen statt sie anzuheben.

Wenn Sie in die Zukunft blicken könnten, was würden Sie sich am Ende der Legislaturperiode für den Verkehrssektor in NRW am meisten wünschen?

Mein Ziel ist, Nordrhein-Westfalen als internationalen Vorreiter der Verkehrswende zu etablieren, als Innovationsstandort mit nachhaltigen Lösungen für die Mobilität der Zukunft. Wir brauchen eine moderne, umwelt- und klimagerechte Mobilität, die den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Wirtschaft entspricht. Für eine moderne und klimafeste Infrastruktur müssen wir in vielen Bereichen den Investitionsstau abbauen. Wichtig ist, Praxis und Forschung zu verbinden, um die Potenziale zum Beispiel durch Digitalisierung, vertikale Mobilität, emissionsfreie Antriebe und Elektrifizierung bestmöglich zu nutzen.

Oliver Krischer

Der neue Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in NRW saß von 2009 bis 2022 im Deutschen Bundestag. Bevor er nach Düsseldorf wechselte, war er ein halbes Jahr Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Krischer studierte kurzzeitig Biologie und engagiert sich seit 1989 bei den Grünen. Er beschäftigte sich mit den Themen Autobahnmaut sowie Klima- und Energiepolitik.

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