Wenn der Chef zum Beifahrer wird

Für Julius Köhler war es als Mitgeschäftsführer von Sennder ein Anliegen, einen Fernfahrer auf seiner Tour durch Europa zu begleiten. Diesen Wunsch erfüllte er sich jetzt und erlangte dabei neue Erkenntnisse über die Probleme im Joballtag.

Foto: Sennder

Wie erhalten Geschäftsführer am ehesten zutreffende Rückschlüsse über das Wohl und Wehe ihrer Angestellten? Mit Empathie. Und am besten lässt sich etwas lebensecht nachempfinden, wenn man sich nicht nur gedanklich, sondern auch physisch in die Lage des anderen versetzt. Das war auch der Grund, weshalb Julius Köhler, Managing Partner der Digitalspedition Sennder, einen Berufskraftfahrer auf einer seiner Touren durch Europa begleitete. Über seine Erfahrungen berichtet er der DVZ.

Sein Weggefährte hinter dem Steuer heißt Pavel. Er ist 37 Jahre jung und Vater von drei Kindern. Bevor er vor zehn Jahren Fernfahrer wurde, verkaufte er ferngesteuerte Autos in der lettischen Hauptstadt Riga – seiner Heimat. Seit zwei Jahren fährt er nun für Sennder. Gemeinsam sind die beiden in viereinhalb Tagen von Stuttgart über Belgien bis nach Madrid gefahren und haben dabei zweimal be- sowie einmal entladen. Geschlafen wurde in der Kabine, und für die Körperhygiene wurden die sanitären Einrichtungen auf den Raststätten genutzt. Möglichst nah an der Realität wollte er sein, sagt Köhler.

Zweistündige Parkplatzsuche

In Pavels Berufsalltag heißt das, wie für Hunderttausende andere Fernfahrer in Europa, dass die Nacht um Viertel vor vier vorbei ist und der Arbeitstag erst um 16 Uhr endet. Um 19 Uhr ist dann das Licht aus: „Das war eine echte Umstellung für mich. Ich bewundere jeden Fahrer für das, was er jeden Tag leistet“, betont Köhler. Allerdings haben Berufskraftfahrer nicht nur mit wenig Schlaf zu kämpfen. Darüber hinaus gibt es viele Probleme, die die ohnehin schon schweißtreibende Arbeit zusätzlich erschweren.

Eines der größten ist der Parkplatzmangel auf Raststätten und -höfen, wie auch Köhler feststellte: „Teilweise waren wir weit über zwei Stunden auf der Suche nach einem Stellplatz“, erinnert er sich. Für Pavel sei das nicht außergewöhnlich, sondern eher die Regel. Das gelte auch für Kraftstoffdiebstahl, der längst nicht mehr nur ein lästiges Übel sei. Allein im vergangenen Jahr seien Pavel mehr als 1.000 Liter auf Lkw-Parkplätzen geklaut worden. Die Diebe bohren dabei ein Loch von der Größe einer 2-Euro-Münze in den Tank und saugen den Treibstoff mit einem Schlauch heraus.

Das ist jedoch nicht der einzige Straftatbestand, mit dem Lkw-Fahrer regelmäßig konfrontiert werden. Denn auch Ladungsdiebstahl erfreut sich einer ebenso zweifelhaften wie steigenden Beliebtheit, wie der Speditionschef am eigenen Leib erfahren musste: „In einer Nacht wurde unsere Ladefläche aufgebrochen. Aber wir hatten Glück und mit Kfz-Windschutzscheiben nichts von Interesse für die Diebe geladen. Dementsprechend blieb die Ware unberührt.“

Auch solche Vorkommnisse gehören für Pavel zur traurigen Realität in seinem Job. In solchen Fällen lasse er die Ladefläche manchmal sogar unverschlossen. Der Grund: Die Diebe würden andernfalls die Planen aufschlitzen, nur um zu sehen, welche Güter transportiert werden und ob diese einen Raubzug lohnen.

Status quo nicht mehr tragbar

Generell sei die Situation auf öffentlichen Raststätten ausbaufähig, meint Köhler und spielt damit auch auf die Qualität an: „Gerade im Vergleich zu Österreich, der Schweiz oder Italien, die ich von privaten Touren kenne, hat Deutschland noch viel Aufholbedarf“, sagt er. In jedem Fall müsse zeitnah etwas passieren. Denn der Status quo sei schon längst nicht mehr tragbar für Berufskraftfahrer. Nach seiner Auffassung müssten die Kosten für eine verbesserte Infrastruktur aufgrund des erhöhten Transitverkehrs hierzulande über die Mauteinnahmen finanziert werden.

Auch Verlader arbeiten an der Verbesserung der Situation der Fahrer. „Die Industrie ist offen für Veränderungen. Wir sind diesbezüglich mit gewerblichen Verladern im Austausch, um gemeinsam neue Lösungen für Fahrer zu entwickeln. Dabei geht es beispielsweise um die Möglichkeit, vor Ort zu duschen, oder darum, einen Ruheraum vorzufinden, in den man sich zurückziehen und einen Kaffee trinken kann.“ Auf seiner Tour mit Pavel habe Köhler zwar ausschließlich positive Erfahrungen bei verladenden Kunden gemacht; er wisse aber, dass das längst nicht die Regel sei. Das Verhältnis liege bei 50:50.

Überlegung zu Veränderungen

Für den Mitgründer und Geschäftsführer von Sennder sei der Trip in jedem Fall absolut bereichernd gewesen: „Es war unheimlich spannend, tiefere Einblicke in den Arbeitsalltag unserer Fahrer zu erhalten. Das war sicherlich nicht die letzte Tour, die ich begleitet habe“, resümiert Köhler. Denn über die Erfahrungen hinaus hat er auch in Gesprächen mit Pavel mehr Erkenntnisse über die kleinen Wünsche erhalten. So sei beispielsweise die Frage nach einer Vernetzungsmöglichkeit mit anderen Fahrern, die für Sennder unterwegs sind, aufgekommen, um sich untereinander austauschen zu können. „Wir haben diese Daten vorliegen und ziehen in Betracht, unseren Fahrern eine Lösung anzubieten.“

Ein weiteres Anliegen von Pavel ist die mangelnde Bewegung im Berufsalltag, die auch gesundheitliche Folgen haben kann. Auch hier überlegt Sennder, etwas in Gang zu bringen. Ein erster Ansatz ist die Planung eines Aktivitäts-Trackers, der zum Beispiel die Schritte pro Tag zählt. „Fahrer, die sich daran beteiligen wollen, könnten sich so gegenseitig ermuntern, ihre Schrittzahl zu erhöhen. So kommt noch mehr Bewegung in die Sache.“

Die unkonventionelle Aktion war aber nicht nur aus beruflicher Sicht ertragreich, wie Köhler abschließend berichtet: „Nachdem wir uns während der Fahrt schon super verstanden hatten, ist aus der anfänglichen Geschäftsbeziehung eine Whatsapp-Freundschaft geworden, die wir auch künftig pflegen wollen.

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