Vorsicht vor dem Schwarzen Peter

Angesichts andauernder Lieferkettenschwierigkeiten und einer sich verfestigenden Inflation reiten mehr und mehr Politiker Attacken gegen die Logistikbranche. Das ist unfair – und es kann teuer werden, warnt Chefredakteur Sebastian Reimann.

Es ist keine zwei Jahre her, da stand die Logistikbranche in der öffentlichen Wahrnehmung so gut da wie wohl niemals zuvor. Logistikunternehmen wurden für ihre Leistungsfähigkeit und Agilität angesichts einer plötzlich hereingebrochenen Pandemie gepriesen. Sie waren die, die für volle Regale und ausreichend Schutzmasken sorgten und auch die hochkomplexe Impfstofflogistik aus dem Stegreif beherrschten.

Szenenwechsel: Am Freitag trat US-Präsident Joe Biden im Hafen von Los Angeles vor die Mikrofone. Die Sonne schien, er präsentierte sein strahlend weißes Lächeln – und las den im US-Verkehr tonangebenden Linienreedereien die Leviten. Die Abzocke sei nun vorbei, bellte er. Das Signal dahinter: Die US-Regierung wird es sich nicht länger gefallen lassen, dass die Carrier basierend auf deutlich gestiegenen Frachtraten hohe Gewinne einstreichen, während die US-Konsumenten höhere Preise zahlen müssen. Eine Verschärfung des US Shipping Act soll zeitnah in Kraft treten.

Um den Auftritt richtig einordnen zu können, muss man drei Dinge wissen: Der Schutz der Verbraucherinteressen hat in den USA seit jeher einen höheren Stellenwert als hierzulande oder wird zumindest von der Politik öffentlich stärker in den Mittelpunkt gestellt. Biden hat zudem eine Rekord-Inflation von 8,6 Prozent im Nacken. Und der US-Präsident hat die Midterm-Wahlen im November vor der Brust. Damit lässt sich erklären, warum sich Biden in L.A. fast schon in einen Trump-Klon verwandelte.

Logistiker werden zunehmend für die Lieferkettenmisere verantwortlich gemacht

Logistik-Bashing ist dieser Tage aber längst kein reines US-Phänomen mehr. Schon Anfang dieses Monats attackierten britische Parlamentsabgeordnete die heimischen Transporteure wegen deren angeblicher Unfähigkeit, die Lkw-Fahrer-Knappheit zu beseitigen. In einem entsprechenden Bericht eines Unterhaus-Sonderausschusses für Verkehr wird die Regierung unmissverständlich aufgefordert, Druck auf die Branche auszuüben. Die Rede ist von „jahrelanger Trägheit“ aufseiten der Logistiker.

Sowohl in den USA als auch im Vereinigten Königreich lässt die Politik dabei Erkenntnisse von Experten außer acht, die ein differenzierteres Bild zeichnen. So hat die US-Schifffahrtsbehörde FMC erst vor wenigen Tagen die Linienreedereien vom Vorwurf freigesprochen, dass die hohen Raten in irgendeiner Weise auf marktverzerrendes Verhalten der Unternehmen zurückzuführen seien. Und in UK gab es mehr als genug Expertisen, die darauf hinwiesen, dass es im Zuge des Brexits zu Lieferkettenengpässen und einer ausgeprägten Fahrerknappheit kommen würde.

Kommt bald auch eine Übergewinnsteuer für Logistiker?

Hierzulande wird den Logistikunternehmen der Schwarze Peter noch nicht so deutlich zugesteckt. Nur wie lange noch angesichts einer Inflation von zuletzt schon 7,9 Prozent? Die Saat für eine Krisengewinner-Debatte ist mit dem Ruf nach einer Übergewinnsteuer auch hierzulande gelegt. Der Sprung von den Mineralölkonzernen zu den Logistikern, von denen zuletzt viele ebenfalls von einer Angebotsknappheit profitierten, ist nicht weit.

Die Logistikbranche ist daher gut beraten, weiterhin über die wahren Ursachen gestiegener Transportpreise aufzuklären. Ferner sollten Diskussionen mit der Verladerschaft über Kapazitätsknappheit und Ratenerhöhungen nicht in einen handfesten Streit ausarten. Denn häufig genug haben diese eher das Ohr der Politik als die Logistik. Und drittens ist es tunlichst zu vermeiden, die Lage in anderen Ländern auch noch bewusst auf den deutschen Markt zu übertragen – á la: „Bald haben wir hier Zustände wie in ...“ Denn damit kann auch die entsprechend undifferenzierte Kritik ausgelöst werden.

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