Klimaschutz per Gerichtsbeschluss


Umweltverbände setzen immer mehr auf Klimaklagen. Nach spektakulären Urteilen, etwa gegen den Mineralölkonzern Shell, stellt sich die Frage: Was bedeutet diese Entwicklung für die Unternehmen aus Transport, Logistik und Schifffahrt?

Was der Logistikbranche in puncto Klimaschutz drohen könnte, erlebt gerade die Automobilindustrie: Nachdem ihre Aufforderungen, sich sofort zu einer drastischen Reduzierung der CO2-Emissionen ihrer Fahrzeuge und einem Verbrenner-Ausstieg ab 2030 zu verpflichten, seitens Mercedes-Benz und BMW sowie VW abgelehnt wurden, reichten die Deutsche Umwelthilfe (DUH) am 21. September sowie Greenpeace am 8. November Klimaklagen gegen die Autokonzerne ein.

Die Klagen haben nicht nur viel mediale Aufmerksamkeit erregt – ihnen könnte auch stattgegeben werden. „Ich schätze die Erfolgschancen als nicht ausgeschlossen, aber unter 50 Prozent ein“, meint Sebastian Rünz, Rechtsanwalt in der Kanzlei Taylor Wessing in Düsseldorf, der sich auf die Beratung für Produktion, Einkauf und Verkauf sowie Compliance spezialisiert hat. „Das ergibt sich meines Erachtens insbesondere daraus, dass die verklagten Automobilhersteller bei ihrem CO2-Ausstoß innerhalb geltender Umweltgesetze gehandelt haben.“

Ob sich solche Klagen auch in anderen Wirtschaftszweigen wie der Logistikbranche mehren, hängt seiner Ansicht nach einerseits vom Ausgang der bereits angestoßenen Verfahren ab. Andererseits dürften sich – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – derartige Klagen vor allem gegen sehr große und bekannte Unternehmen richten, die eine Reputation zu verlieren haben. Maßgeblich für die Begründung der eingereichten Klagen ist der sogenannte Klimaschutzbeschluss des Bundesverfasungsgerichts (BVerfG) vom März dieses Jahres, in dem das deutsche Klimaschutzgesetz (KSG) in seiner vorherigen Fassung als zum Teil verfassungswidrig angesehen wurde, da der Gesetzgeber Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität hätte treffen müssen. Eine weitgehende Aufzehrung des CO2-Budgets bis zum Jahr 2030 stellt nach Ansicht der Richter eine Grundrechtsverletzung dar. Zudem wurde das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Artikels 20a des Grundgesetzes (GG) dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

Wegweisendes Urteil

Wie epochal der Beschluss des BVerfG ist, wird laut Umweltrechtler Remo Klinger unterschätzt: „Die Tragweite des Urteils wird bisher von weiten Teilen in Politik und Unternehmen noch nicht erkannt“, unterstreicht der Berliner Rechtsanwalt, der zwei der vier Verfassungsbeschwerden gegen das KSG vertreten hatte. „Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass ein Geschäftsmodell, das mit einer baldigen Treibhausgasneutralität in Konflikt gerät, keine Zukunft hat.“

Genau das sei beispielsweise bei der Automobilindustrie ein Problem und Grund für die eingereichten Klagen. „Wir haben uns angesehen, wie lange die durchschnittliche Nutzungsdauer bei Pkw ist“, berichtet Klinger, der auch der Prozessbevollmächtigte bei den Klagen gegen Mercedes-Benz und BMW ist. „Die Nutzungsdauer von neuen und mit einem Verbrennungsmotor ausgestatteten Pkw beträgt durchschnittlich 14,2 Jahre, teilweise ist sie deutlich länger. Eine Treibhausgasneutralität ab dem Jahr 2045 setzt somit einen Ausstieg aus dem Vertrieb solcher Fahrzeuge spätestens ab dem 31. Oktober 2030 voraus.“

Der Rechtsweg wird in einer Zeit beschritten, die zum Teil bereits als „Ära der Klimaklagen“ bezeichnet wird. Besondere Aufmerksamkeit hatte dabei zunächst das Urteil gegen Shell erweckt. Darin wurde der Ölkonzern im Mai dieses Jahres erstinstanzlich dazu verurteilt, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 2019 um netto 45 Prozent zu reduzieren – ein Novum.

Auch in Deutschland sind neben den bereits erwähnten Klagen weitere bei Gericht anhängig, darunter Klimaklagen der DUH gegen den Energiekonzern Wintershall DEA vom 4. Oktober und seit Mitte September zusammen mit 16 jungen Menschen gegen fünf Bundesländer. Der Trend ist eindeutig – und das nicht nur in Deutschland: In der Datenbank „Climate Change Laws of the World“ des Grantham Research Institutes on Climate Change der London School of Economics sind Ende November 2021 insgesamt bereits 1.843 Klimaprozesse in über 30 Ländern verzeichnet – viele davon in den Vereinigten Staaten.

Was das für deutsche Logistikunternehmen bedeuten könnte, möchte Klinger so direkt zwar nicht beantworten, sagt dann allerdings doch: „Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass sie sowohl durch die Produktion als auch Nutzung der von ihnen produzierten Güter mit den Vorgaben des KSG, also Klimaneutralität bis 2045, übereinstimmen. Potenziell beklagt werden kann daher jedes Unternehmen mit einem Geschäftsmodell, das mit den Klimaschutzzielen in Konflikt gerät.“ Wie also gehen die Logistikunternehmen damit um, und vor allem: Wie schätzen sie ihr Risiko ein, selbst verklagt zu werden?

Wir beobachten die Entwicklung [...] gelassen. Wir glauben nicht, dass die Situation [...] übertragbar ist.

Christian Denso, Pressesprecher des Verbands Deutscher Reeder (VDR)

„Wir beobachten die Entwicklung in Zusammenhang mit den erwähnten Gerichtsverfahren aufmerksam, aber auch ein Stück weit gelassen“, unterstreicht Christian Denso, Pressesprecher des Verbands Deutscher Reeder (VDR). „Shell zum Beispiel war ja als Energieproduzent angeklagt. Da die Schifffahrt (genauso wie der Luftverkehr) als Kunde der Energiekonzerne aber letztlich davon abhängig ist, welche Energieträger von Konzernen wie Shell und anderen angeboten werden, glauben wir nicht, dass die Situation ohne weiteres übertragbar ist.“

Grundsätzlich kann man Klimaschutzklagen [...] nicht ausschließen, auch nicht in der maritimen Wirtschaft.

Tim Seifert, Pressesprecher der Hamburger Containerreederei Hapag-Lloyd

Ähnlich sieht es die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd: „Grundsätzlich kann man Klimaschutzklagen natürlich nicht ausschließen, auch nicht in der maritimen Wirtschaft“, sagt Pressesprecher Tim Seifert. „Gleichwohl liegt der Fokus doch aktuell eher bei den Energiekonzernen und anderen Verkehrsmitteln, auch vor dem Hintergrund einer beschleunigten Transformation und Entwicklung umweltfreundlicherer Treibstoffe. Ob solche Klagen letztendlich auch erfolgversprechend sind, kann man nicht vorhersagen und ist sicherlich auch von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet sehr unterschiedlich.“

Symbolklagen wie die gegen Automobil- oder Mineralölkonzerne halte ich [...]für eher unwahrscheinlich.

Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des DSLV Bundesverband Spedition und Logistik

Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des DSLV Bundesverband Spedition und Logistik, schätzt das Klagerisiko für die Mitgliedsunternehmen des Verbands ebenfalls als gering ein: „Natürlich trägt jede Branche eine Verantwortung, auch die Logistik. Jedes Unternehmen muss seine Produktionsprozesse umweltoptimal weiterentwickeln.“ Entscheidend sei aber die Verfügbarkeit von Alternativen. Die Zulieferer der Logistik, wie die Automobilindustrie, die Energiewirtschaft und auch das System Schiene müssten der Logistik entsprechende Produktionsmittel anbieten können: „Die Speditionsbranche würde lieber heute als morgen emissionsfrei arbeiten, wenn sie es könnte“, unterstreicht Huster. „Symbolklagen wie die gegen Automobil- oder Mineralölkonzerne halte ich gegen Logistikdienstleister für eher unwahrscheinlich.“

Rechtsdogmatisch problematisch

Rein juristisch betrachtet gibt es sowohl aufseiten der Kläger als auch der beklagten Unternehmen materiellrechtlich grundsätzlich tragfähige Argumente. Die Rechtslage wird daher erst nach den ersten höchstrichterlichen Entscheidungen abschließend geklärt sein. Daneben stellt sich allerdings auch die Frage nach der Rolle der Gerichte auf dem Weg zur Klimaneutralität im Kontext der Gewaltenteilung.

„Rechtspolitisch befürworte ich den Druck durch die Klimaklagen, rechtsdogmatisch halte ich das Vorgehen für problematisch“, sagt Alexander Proelß. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung können die Gerichte die anderen Staatsgewalten nur ausnahmsweise dazu verpflichten, spezifische Maßnahmen zum Schutz der Grundrechte vor Beeinträchtigungen durch Private zu treffen. Der Professor für internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg bezieht sich dabei auch auf den Klimaschutz-Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, in dem es einerseits heißt: „Der Staat ist durch das Grundrecht auf den Schutz von Leben und Gesundheit in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG zum Schutz vor den Gefahren des Klimawandels verpflichtet.“ Andererseits habe das Gericht unterstrichen, dass eine Verletzung dieser Schutzpflicht nur dann festgestellt werden kann, wenn „Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.“

„Vereinfacht gesagt sollten also wesentliche Entscheidungen von der Legislative selbst getroffen und nicht von der Judikative entschieden werden“, so Proelß. Zudem gebe es auch keinen absoluten Vorrang des Klimaschutzes: „Bei der Abwägung von kollidierenden Gütern sind Gerichte daher gut beraten, einen zurückhaltenden Ansatz zu pflegen, um Interventionen anderer Staatsgewalten zu verhindern.“

Tendenz zu Klimaklagen nimmt zu

Die vom Bundesverfassungsgericht im Klimaschutz-Beschluss erstmals in Bezug genommene Funktion der Freiheitsrechte als Gewährleistung intertemporaler Freiheitssicherung wirft nach Ansicht von Proelß ebenfalls dogmatische Fragen auf. Zudem sollte die Bedeutung des Shell-Urteils nicht überschätzt werden: „Das Urteil basiert auf der niederländischen Rechtsordnung und ist daher nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar.“ Der Trend sei jedoch eindeutig: „Die allgemeine Tendenz zu Klimaklagen nimmt zu“, erwartet auch der Hamburger Professor.

Parallel dazu steigt nicht nur, aber auch in Deutschland der Druck auf Politik und Wirtschaft, stärker für den Klimaschutz einzutreten als in der Vergangenheit, um sich nicht von Umweltverbänden und Aktivisten treiben zu lassen. Zudem ist das Bewusstsein für den Klimawandel inzwischen auch in weiten Teilen der Bevölkerung angekommen, so dass viele Unternehmen, nicht zuletzt auch aus Gründen der Reputation und der Compliance, ihre Klimaschutzmaßnahmen verstärken dürften.

Rechtsanwalt Klinger erwartet die mündlichen Verhandlungen vor den Landgerichten in Stuttgart und München im Sommer 2022. Bis dahin dürfte jedoch mit weiteren Klagen zu rechnen sein. (ol)

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