Luftfahrtexperte Stoller: „Wir werden mit Wasserstoff fliegen“

Nach dem pandemiebedingten Boom haben sich die Verhältnisse in der Luftfrachtbranche normalisiert. Im Thesencheck der DVZ ordnet Marktexperte Prof. Christopher Stoller Trends und mögliche Entwicklungen ein.

Prof. Christopher Stoller ist Luftfrachtexperte und Präsident des Aircargo Club Deutschland. (Foto: Koebe)

Nach dem pandemiebedingten Boom haben sich die Verhältnisse in der Luftfrachtbranche normalisiert. Im Thesencheck der DVZ ordnet Marktexperte Prof. Christopher Stoller Trends und mögliche Entwicklungen ein.

In den kommenden zwölf Monaten werden sich Player wie etwa Aliscargo aus Italien oder ZFG Air aus UK, die neu in den Markt eingestiegen sind, wieder verabschieden.

Falsch. Lange Zeit war der Luftfrachtmarkt kaum für Newcomer zugänglich, da der Markt vorwiegend durch eher niedrige Margen gekennzeichnet war. Als die Pandemie die Preise für Luftfracht in die Höhe trieb, bauten bestehende Anbieter ihre Kapazität aus und neue traten in den Markt ein. Aliscargo und ZFG Air sind daher nur zwei Beispiele in einer Reihe von neuen Luftfrachtgesellschaften der letzten Jahre, die im Zuge hoher Raten, knapper Kapazitäten und dem E-Commerce-Boom gegründet wurden.

Doch der Luftfrachtmarkt ist nach wie vor hart umkämpft und zuletzt war die Nachfrage eher wieder rückläufig. In diesem Markt ist es für Newcomer schwer sich gegen die großen und etablierten Fluggesellschaften zu behaupten. So scheint es vielleicht wenig überraschend, dass Alis Cargo mittlerweile die Betriebslizenz verloren hat. Doch mit einem guten Konzept können auch neue Player am Markt bestehen.

Luft-Frachter werden immer benötigt.

Richtig. Die Instabilität von Lieferketten ist während der Pandemie schmerzlich spürbar geworden. Um die Risiken zu reduzieren, spielt die Diversifizierung von Transportmitteln und ‑wegen eine wichtige Rolle, um jenseits des stark belasteten internationalen Containerverkehrs eine weitgehend ungestörte Warenzirkulation zu ermöglichen. Hierbei kam der Luftfracht eine noch größere Bedeutung für die Versorgung von Gesellschaft und Wirtschaft zu.

Trotz der erschwerten Rahmenbedingung trug sie dazu bei, die globale Liefer- und Versorgungsketten aufrecht zu erhalten und dabei auch den weltweiten Transport wichtiger pharmazeutischer und medizinischer Güter sicherzustellen. Auch in Zukunft geht es nicht ohne Luftfracht. Die Branche sorgt dafür, dass Waren zuverlässig, sicher und schnell von A nach B transportiert werden und leistet damit einen entscheidenden Beitrag für das soziale und wirtschaftliche Leben.

Die Dekarbonisierung des Luftfracht-Sektors kann nur durch den vollständigen Umstieg auf SAF gelingen.

Teilweise richtig. Sustainable Aviation Fuels (SAF) sind ein wichtiger Hebel für nachhaltigen Luftfrachtverkehr und eine kurzfristig realisierbare Lösung, um die CO₂-Emissionen zu reduzieren. Die Verfügbarkeit von Biokerosin ist jedoch noch stark limitiert und die Kosten betragen das Zwei- bis Dreifache im Vergleich zu fossilem Kerosin. Power-to-Liquid, also die Umwandlung von Strom in regenerative Treibstoffe, könnte beispielsweise eine langfristige Lösung für grüneren Treibstoff in der Luftfracht sein.

Doch die Dekarbonisierung im Luftfrachtverkehr wird nicht nur über den Treibstoff erfolgen, sondern auch über Digitalisierung sowie effizientere Motoren und Triebwerke. So kann die Digitalisierung beispielsweise dazu beitragen, Routen zu optimieren und Kapazitäten effizienter auszulasten. Auch andere Antriebe werden in Zukunft eine größere Rolle spielen. Elektrisches Fliegen wird wahrscheinlich auf der Kurzstrecke zum Einsatz kommen. Und wir werden in Zukunft sehr sicher auch mit Wasserstoff fliegen. Damit die Dekarbonisierung gelingt, müssen die entscheidenden Schritte jedoch in Industrie und Politik unternommen werden.

Mit Wasserstoff betriebene Frachtflugzeuge werden auch mittelfristig keine sinnvolle Option sein.

Teilweise richtig. Grüner Wasserstoff gilt bei verschiedenen Verkehrsträgern als Schlüsselelement für die Energiewende. Auch im Bereich der Luftfracht wird Wasserstoff eine entscheidende Rolle mit Blick auf das Flugzeug der Zukunft spielen. Hersteller wie beispielsweise Airbus arbeiten bereits an Flugzeugmodellen, die auf Wasserstoff-Technologie setzen. Der große Unterschied zwischen Wasserstoff und SAF ist jedoch, dass man bei Wasserstoff eine völlig andere Infrastruktur benötigt – nicht nur bei den Flugzeugen selbst, sondern auch am Boden an den Flughäfen. Bis Wasserstoff flächendeckend im Einsatz ist, wird es daher noch dauern, sodass die Branche kurz- bis mittelfristig weiter auf SAF setzen wird.

Der zunehmende Fachkräftemangel könnte nur durch konsequentes Insourcing behoben werden. 

Richtig. Der Fachkräftemangel stellt eines der größten Geschäftsrisiken für Unternehmen dar und zählt gleichzeitig branchenübergreifend zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Dies betrifft auch die Logistik- und Luftfahrtbranche und damit im besonderen Maße auch den Luftfrachtsektor.

Viele Arbeitskräfte haben sich während der Pandemie beruflich umorientiert, sind in Rente gegangen oder wurden entlassen. Gleichzeitig konnten Stellen nicht nachbesetzt werden, denn auf dem Arbeitsmarkt gibt es derzeit keine Reserven, um die Lücken zu füllen. Dieser Engpass wird in den kommenden Jahren zunehmend zum Problem, denn die Nachfrage nach Luftfracht ist beispielsweise durch den wachsenden E-Commerce ungebremst.

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen die Unternehmen in der Luftfrachtbranche innovative Lösungen entwickeln. Dazu gehören Maßnahmen wie die Förderung von Nachwuchskräften und die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen ebenso wie die Steigerung der Wertschätzung, um Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Auch eine engere Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und Bildungseinrichtungen und ein insgesamt noch stärkerer Fokus auf die Aus- und Weiterbildung können dazu beitragen, Arbeitslose zu aktivieren und neue Fachkräfte zu gewinnen.

Die deutsche Luftfracht muss die sehr strengen Sicherheitsregeln aufgeben.

Richtig. Sicherheit spielt im Luftverkehr eine enorm wichtige Rolle und dies wird auch in Zukunft so bleiben. Jedoch riskiert das Luftfahrtbundesamt mit bürokratischen Hürden die Abwanderung von Fracht ins Ausland sowie weitere personelle Engpässe bei der Luftfracht-Abfertigung. Allein die Sicherheitsüberprüfung für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauert in Deutschland vier bis sechs Wochen, während die Überprüfungen außerhalb Deutschlands nur wenige Tage in Anspruch nehmen.

Auch das sogenannte Sonderkontrollverfahren für Güter in verschlossenen Behältern wie zum Beispiel Klebstoffe, das Deutschlands Flughäfen jahrzehntelang ohne jeglichen Zwischenfall praktizierten, strich die Behörde des Bundesverkehrsministeriums ersatzlos. Dies hat zur Folge, dass die Fracht zu Flughäfen in anderen EU-Länder per Lkw transportiert wird, wo es weiterhin solche Sonderkontrollverfahren gibt. Nach erteilten Sicherheitszertifikat werden die Güter wieder zurück transportiert, denn die Zertifikate gelten EU-weit und damit auch in Deutschland.

Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass die deutschen Sicherheitsregularien zu bürokratisch sind und eine Vereinheitlichung zumindest in der EU sinnvoll ist. Ansonsten droht in Deutschland eine zusätzliche Verschärfung der anhaltenden Personalengpässe sowie mittelfristig die Abwanderung von Luftfrachtverkehren ins Ausland.

Im Zuge der Klimakrise, wird es in der Luftfracht zu einer Verzichtsdebatte kommen.

Richtig. Vor allem verderbliche Lebensmittel werden per Luftfracht transportiert. Letztendlich entscheiden jedoch die Konsumenten darüber, welche Lebensmittel in den Supermarktregalen landen. Im Zuge der Klimakrise erachte ich eine Debatte darüber, ob es beispielsweise Erdbeeren zu Weihnachten braucht, durchaus sinnvoll. Schon jetzt verzichten Discounter und Supermärkte auf den Import von Obst und Gemüse via Luftfracht und setzen stattdessen vermehrt auf regionale und saisonale Produkte. Dadurch wird sich über kurz oder lang auch das Kaufverhalten und letztendlich die via Luftfracht transportierten Güter verändern.

Der zunehmende Zwang, Lieferketten nachhaltig und langfristig sogar klimaneutral zu gestalten, führt unweigerlich zum Aus für die Air-Cargo-Branche.

Falsch. Die Transformation zu einer nachhaltigeren Luftfahrt ist im Gang und notwendig, denn ohne Luftfahrt geht in unserer global vernetzten Welt fast nichts. Als zentrale Säule im gesamtwirtschaftlichen Gefüge verbindet sie Menschen und Märkte auf der ganzen Welt. Auch und gerade für die Exportnation Deutschland ist die Anbindung an die globalen Märkte essenziell. Für eine ganze Reihe von zeitkritischen Produkten, ist der Lufttransport aufgrund von Schnelligkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit alternativlos.

Zur Person

Prof. Christopher W. Stoller ist ein international erfahrener Logistikexperte mit weitreichenden Kenntnissen über globale Lieferketten. Er ist Präsident des Aircargo Club Deutschland sowie Autor und Redner zu den Themenbereichen Logistik und internationale Transporte.

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