Die Prachter kommen!

Die Corona-Pandemie wird die Anzahl der aktiven Airlines deutlich vermindern. Profitieren tut aktuell ein Segment ganz allein: die Luftfracht. Das wachsende Frachtgeschäft reicht jedoch nicht aus, um die Verluste der Luftfahrtindustrie aufzufangen, sagt Prof. Christopher W. Stoller, Leiter des Studiengangs BWL-Spedition, Transport & Logistik an der DHBW Lörrach, im DVZ-Thesencheck.

Die Luftfahrt durchlebt aktuell die größte Krise ihrer Geschichte, sagt Prof. Christopher W. Stoller. (Foto: DHBW Lörrach)

Die Corona-Pandemie wird die Anzahl der aktiven Airlines deutlich vermindern. Profitieren tut aktuell ein Segment ganz allein: die Luftfracht. Das wachsende Frachtgeschäft reicht jedoch nicht aus, um die Verluste der Luftfahrtindustrie aufzufangen, sagt Prof. Christopher W. Stoller, Leiter des Studiengangs BWL-Spedition, Transport & Logistik an der DHBW Lörrach, im DVZ-Thesencheck.

These: Das Feld der aktiven Airlines wird sich in Folge der Corona-Pandemie deutlich ausdünnen. Auf dem Luftfrachtmarkt hingegen werden sich künftig mehr Wettbewerber bewegen, da der Wegfall der Bellyfracht in den regulären Linienmaschinen rasch kompensiert werden muss.

Richtig. Die Luftfahrt durchlebt aktuell die größte Krise ihrer Geschichte. Die Ankunft der Corona-Pandemie im März 2020 brachte Europas Linienflugverkehr nahezu zum Erliegen. Nach mehr als einem Jahr der Pandemiebekämpfung leidet die Branche noch immer unter den massiven Reisebeschränkungen. Die Folge: Viele Airlines sind auf Staatshilfen angewiesen. Nicht nur die zum Großteil stillgelegten Flotten werden verkleinert. Auch Belegschaften sind durch nicht aufhörende Meldungen über Personalkürzungen verunsichert.

Jedoch hatte die Branche schon vor Corona zu kämpfen. Jahr um Jahr wurden zwar neue Passagierrekorde gemeldet. Profitabel flogen dabei aber nur noch wenige Fluggesellschaften. Befeuert durch das Aufkommen von Billigfliegern entfachten sich viele Preisschlachten zu bitteren Abnutzkriegen. Schwächere Airlines sollten dabei ganz verdrängt werden. Dies bewiesen zahlreiche Insolvenzen in den vergangenen Jahren. Air Berlin, Germania, Small Planet – alle konnten im Umfeld niedriger Preise und starker Konkurrenz nicht bestehen. Die Corona-Krise hat diese Entwicklung weiter beschleunigt. Durch die anhaltend hohen Infektionsraten und die bestehenden Reisebeschränkungen, ist vor 2025 nicht mit einer Erholung des Passagierverkehrs zu rechnen. Deshalb wird es auch in den nächsten Monaten und Jahren es eine stärkere Konsolidierung auf dem Luftfahrtmarkt geben.

Vor Corona noch oftmals ein Sorgenkind, profitiert aktuell ein Segment ganz allein: die Luftfracht. Trotz der erschwerten Rahmenbedingung hält sie globale Liefer- und Versorgungsketten aufrecht und stellt dabei auch den weltweiten Transport wichtiger pharmazeutischer und medizinischer Güter sicher. Auch dank des wachsenden Online-Handels boomt das Geschäft. Jedoch fehlen die Belly-Kapazitäten der Passagierflugzeuge, sodass sich auch die Luftfracht mit großen Herausforderungen auseinandersetzen muss. Auch der vermehrte Einsatz von Vollfrachtern und Expressfrachtern konnte den Kapazitätsverlust nicht ausgleichen. Um die große Nachfrage zu bedienen, wurden die Airlines daher kreativ. Sogenannte „Prachter“ transportieren Fracht zusätzlich in leer geräumten Passagierkabinen.

Auch 2021 wird die Nachfrage nach Luftfrachtkapazitäten groß sein. Insbesondere mit Hinblick auf den Transport der in allen Ländern der Erde dringend benötigten Corona-Impfstoffe ist die Luftfracht unverzichtbar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nach der Pandemie erst einmal weniger Destinationen angeflogen werden als zuvor. Das würde jedoch bedeuten, dass weiterhin Frachtkapazitäten fehlen. Es ist somit absehbar, dass Airlines weiterhin verstärkt auf Fracht setzen. Schon jetzt transportieren zahlreiche Boeing 787 von Tui oder British Airways Frachtgüter und auch der Ferienflieger Condor startete eine Partnerschaft mit der Deutschen Post. Derweil bauen klassische Frachtgesellschaften wie Lufthansa Cargo, aber auch Express-Frachtgesellschaften wie die Deutsche Post ihre Kapazitäten weiter aus.

Das wachsende Frachtgeschäft reicht jedoch nicht aus, um die Verluste der Luftfahrtindustrie aufzufangen. Es würde weitere finanzielle Hilfen benötigen, um Ressourcen auszugleichen und in weitere Frachter zu investieren. Fraglich ist auch, wie lange die Luftfracht noch boomt. COVID-Impfstoffe werden derzeit per Lkw transportiert – und nicht mit Flugzeugen. Damit bleiben die Hoffnungen der Luftfrachtbranche auf zusätzliche Einnahmen durch das Pharmageschäft bislang weit hinter den Erwartungen zurück. Darüber hinaus hängt die Fracht an der Konjunktur der Weltwirtschaft und noch ist unklar, wie diese nach der Corona-Krise verläuft. Sicher ist jedoch: Die Corona-Krise wird die Luftfahrt nachhaltig verändern. (ben)

Zur Person: Prof. Christopher W. Stoller

Der studierte Jurist ist nach fast 20 Jahren in der Logistikpraxis in die Hochschullandschaft gewechselt. Als Professor für Logistikmanagement leitet er heute den Studiengang BWL-Spedition, Transport & Logistik an der DHBW Lörrach. Zudem ist er Honorarprofessor und Präsident des Aircargo Club Deutschland. Erst jüngst wurde er als Fellow am Chartered Institute of Logistics and Transportation berufen.

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